Wer regiert China? Die politische Elite der Volksrepublik – Druck
Thematische Einführung
Wer regiert China und wer hat China früher regiert? Wie blicken wir auf das politische System der Volksrepublik China (Zhonghua Renmin Gongheguo 中华人民共和国, kurz: VR China)? Und wie haben Europäer vor einigen hundert Jahren auf das Kaiserreich China geblickt? Lehnen wir das politische System als autoritär ab oder hat China vielleicht sogar das „überlegene“ System (Hirn 24.06.2015)? Aufhänger für dieses Modul ist ein TED-Talk von Eric X. Li (Li Shimo 李世默), einem erfolgreichen Unternehmer und Investor aus Shanghai 上海, der regelmäßig in US-amerikanischen Zeitschriften publiziert (M1.2). Li versteht die VR China als politische Meritokratie – ein Staat also, in dem nicht nur Verwaltungsbeamte und Berater*innen nach einem individuellen Leistungsprinzip ausgewählt und befördert werden (administrative Meritokratie), sondern auch Politiker*innen – die strenge Prüfungen ablegen und erst mit langjähriger Erfahrung in die höchsten Führungsämter aufsteigen (Li 2013). Eric X. Li verweist außerdem auf die lange Tradition der Meritokratie in China und die extrem hohe Zustimmung in der Bevölkerung, die das politische System laut Umfragedaten genießt.
Lis Argumentation gleicht damit der einer Reihe von chinesischen, US-amerikanischen und deutschen Intellektuellen, die das „Modell China“ als Inspiration für den Umgang mit strukturellen Problemen demokratischer Systeme in den politischen Diskurs einbringen. Dabei wird das politische System der VR Chinas als politische Meritokratie und „Modell“ für die Zukunft verstanden. Der Begriff wurde geprägt von Daniel A. Bell, ein unter anderem an der renommierten Tsinghua Universität (Qinghua Daxue 清华大学) in Beijing 北京 tätiger Philosoph und Intellektueller, der das Konzept in seinem Buch The China Model systematisch ausgearbeitet hat (Bell 2015) (vgl. Forschungsperspektiven). Leitfrage für dieses Modul ist also die Frage, ob das politische System der VR China der Vision einer politischen Meritokratie gerecht wird und ob ein solches System erstrebenswert ist.
Positive Assoziationen mit dem „Leistungsprinzip“ einer Meritokratie scheinen auch in seriösen europäischen Zeitungen eine gewisse Sogkraft zu entwickeln, wie sich an diesen Titeln aus bekannten europäischen und US-amerikanischen Tageszeitungen und Magazinen zeigen lässt (vgl. M1.1). Zudem gaben über 37% der Befragten in einer repräsentativen Umfrage in Deutschland 2017-2018 an, ein politisches System, in dem Expert*innen die Entscheidungen treffen, „gut“ oder sogar „sehr gut“ zu finden (Haerpfer u. a. 2020). Selbst wenn wir schlussendlich die Charakterisierung des politischen System Chinas als Meritokratie als Augenwischerei und Verschleierung eines autokratischen Systems abtun, sollten wir versuchen solche Argumente in ihrer historischen Dimension zu erfassen und als Herausforderung zur Stärkung unseres Demokratiebewusstseins ernst zu nehmen.
In ihrer Argumentation (vgl. M1.2, M7 und M8) beziehen sich Befürworter*innen der Meritokratie-These insbesondere auf das Kadermanagementsystem der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) und seine „meritokratischen“ Aspekte: Angehende Staatsdiener*innen und Politiker*innen absolvieren strenge Prüfungen, die neben der kognitiven Leistungsfähigkeit und umfangreichem Allgemein- und Fachwissen auch politische und ideologische Fragen prüfen. Im Laufe ihrer Karriere werden Kader von der Organisationsabteilung der KPCh (Zhongguo Gongchandang Zhongyang Weiyuanhui Zuzhibu 中国共产党中央委员会组织部) regelmäßig bewertet und entsprechend interner Kriterien befördert. Diese erfassen die Erfüllung wirtschaftlicher und politischer Zielsetzungen, aber auch ideologische Konformität und persönliche Integrität der jeweiligen Kader oder einer gesamten Abteilung. Als Vorteile einer solchen „leistungsorientierten“ Auswahl der politischen Elite und eines Systems, das nicht dem demokratischen Prinzip „eine Person eine Stimme“ gehorcht, werden die langfristige Planbarkeit von politischen Zielen, die Möglichkeit der Repräsentation von Nichtwähler*innen, die Vermeidung von Populismus und die Konsensorientiertheit angepriesen. Dem gegenübergestellt werden strukturelle Probleme demokratischer Systeme – insbesondere des US-amerikanischen Systems – wie die Anfälligkeit für Populismus, die Folgen kurzsichtiger Entscheidungen und die Spaltung der Gesellschaft durch „Dauerwahlkampf“, ausbleibende Reformen, der überproportionale Einfluss von finanziell einflussreichen Individuen oder Interessengruppen, die fehlende Zukunftsorientierung und Berücksichtigung von Nichtwählern, z.B. zukünftiger Generationen oder vulnerabler Gruppen sowie die Ineffizienz bürokratischer Prozesse (Bell 2015, 14–150). Dem Erfolg des „Modell China“ steht also eine „Krise der Demokratie“ gegenüber.
Während eine solche Gegenüberstellung klar eine Systemrivalität suggeriert, wird insbesondere von chinesischer Seite zurückhaltender von Systempluralismus gesprochen (vgl. M1.2, M7 und M8). Nicht für die Ablösung von demokratischen Idealen durch eine Vision der politischen Meritokratie wird geworben, sondern für die Akzeptanz einer politischen Meritokratie als legitime Alternative in einer pluralistischen, globalisierten Welt. Die Konfrontation mit solchen Argumenten fordert uns angesichts der Schwachstellen auch demokratischer Systeme heraus die Vor- und Nachteile und Entwicklungspotentiale von Elementen beider Systeme zu überdenken.
Dabei sind sich viele Vertreter*innen des „Modell China“ der Diskrepanz zwischen der hier präsentierten Vision einer politischen Meritokratie und den Realitäten des chinesischen politischen Systems in Hinblick auf Korruption, Datenmanipulation, Chancenungleichheit und ideologiebasierte Auswahlkriterien durchaus bewusst (Bell 2015, 110–50). Kritiker*innen der politischen Meritokratie und des dem System zugrundeliegenden Leistungsprinzips stellen die folgenden Aspekte in Frage: 1. die objektive Messbarkeit von Leistung, 2. die Intransparenz der Bewertungskriterien, 3. die individualisierte Bewertung von Leistung und damit verbundener Verlust von Leistungspotentialen anderer Menschen, 4. die Annahme von Chancengleichheit, welche soziale Ungerechtigkeiten und damit verbundene Ausschlussprinzipien ausblendet, sowie 5. die Fokussierung auf das Endprodukt der Leistung (Gruber 2015, 17–18). Zudem wird darauf hingewiesen, dass die Idee einer politischen Meritokratie auf einem Menschenbild basiert, welches dem eines autonomen, eigenverantwortlichen Individuums diametral entgegengesetzt ist (Müller-Hofstede 2021).
Handelt es sich also bei heutigen Darstellungen des chinesischen Systems um gewinnbringende Alternativvorschläge, die zur Verbesserung demokratischer Systeme beitragen können? Oder dient eine verklärte Darstellung des „Modell China“ nur der Verwirklichung autokratischer Phantasien und dem Wunsch nach Effizienz und beständigem Wachstum? Die folgenden vier Ansatzpunkte für Kritik an der Meritokratie-These werden in diesem Modul entwickelt:
- Sozio-kulturelle Argumente, die auf Chinas lange „meritokratische“ Tradition hinweisen, werden zurückgewiesen. In M2 wird das kaiserzeitliche Beamtenprüfungssystem (keju 科舉) vorgestellt und seine Vorbildfunktion für die moderne europäische Verwaltung erarbeitet. Das kaiserzeitliche Beamtenprüfungssystem bot in den Augen früher europäischer Staatstheoretiker Anhaltspunkte für politische Reformen im Sinne eines leistungsorientierten politischen Systems. Es kann also gezeigt werden, dass die Projektion von eigenen politischen Vorstellungen auf China und eine zuweilen überzogen positive Darstellung von Chinas politischem System als Meritokratie eine lange Geschichte hat. In einigen Darstellungen des „Modell China“ wird zudem eine falsche Kontinuität zwischen dem kaiserzeitlichen Beamtenprüfungssystem und der heutigen Praxis der Beamtenrekrutierung und -beförderung suggeriert: Das heutige Beamtenrekrutierungs-, Bewertungs- und Beförderungssystem entspringt jedoch dem sowjetischen Nomenklatura-System (zhiwu mingcheng biao zhidu 职务名称表制度) (Rigby 1988) und wurde in seiner heutigen Form erst um 1980 wiederbelebt (Manion 1985, 205–7). Behauptungen über die Kontinuität des Systems von der Kaiserzeit bis in die Gegenwart sind also nicht haltbar.
- In L2 werden die Auswahl- und Bewertungskriterien der politischen Elite der VR China heute beleuchtet. Da die Auswahl- und Beförderungskriterien Loyalität gegenüber der Partei und Systemerhalt besonders berücksichtigen, werden diese unserem Verständnis einer leistungsorientierten Auswahl, gemessen an akademischen Standards und politischer Erfahrung und einem Streben nach Allgemeinwohl, nicht gerecht. Anhand von Statistiken kann gezeigt werden, dass die Auswahl nicht der Repräsentation der Gesamtbevölkerung dient oder die Förderung herausragender Persönlichkeiten fördert (Burns 2007; Heilmann, Shih, und Hepp 2016, 100–108).
- Korruption wird auch von den Vertreter*innen der Meritokratie-These als Haupthindernis der Verwirklichung ihrer meritokratischen Vision anerkannt. In L4 wird daher ein Blick auf die Praxis der Datenmanipulation geworfen. Der Politikwissenschaftler Sebastian Heilmann notiert: „Sehr anfällig ist die quantitative Leistungsmessung allerdings für die Manipulation von Ergebnis- und Datenberichten (etwa in der Wirtschafts-, Sozial- oder Umweltstatistik), die zu systematischen Verzerrungen und Beschönigungen von Evaluationsergebnissen genutzt werden können.“ (Heilmann u. a. 2016, 304) Doch das bestehende System wird kontinuierlich weiterentwickelt und verbessert. Es wird in seiner Effektivität zunehmend dem Ideal gerecht (vgl. hierzu die Hintergrundinformationen im Modul „https://www.china-schul-akademie.de/lernmodule/china-unter-der-lupe/“). Eine Argumentation gegen eine politische Meritokratie kann sich also nicht rein auf „noch nicht funktionierende“ Elemente des Systems der VR China stützen, sondern muss tiefer ansetzen. Zum Beispiel bei systemimmanenten Problemen wie der Gefahr der Machtmonopolisierung oder der Abhängigkeit von Repression (vgl. M4.2 und M5.2).
- Umfragen, die eine überwältigende Zufriedenheit der Bevölkerung der VR China mit der Regierung suggerieren, können einer ebenso positiven Einstellung gegenüber Demokratie und einer negativen Einstellung gegenüber Expertenherrschaft gegenübergestellt werden. „Meritokratie“ als Ideal wird in der VR China selbst nicht in der Form diskutiert wie von den prominenten Vertreter*innen des „Modell China“. Demokratie hingegen stellt im politischen Diskurs nach wie vor ein Ideal und Ziel eines Entwicklungsprozesses dar. Umstritten ist jedoch, in welcher Form demokratische Elemente in das politische System aufgenommen werden sollen oder schon Teil des Systems sind – was den Demokratiebegriff teilweise extrem ausdehnt (Drinhausen 2021). In L5 werden außerdem der Einfluss von eingeschränkter Meinungsfreiheit, Möglichkeiten der politischen Partizipation und das Angewiesensein der Regierung der VR China auf Rückmeldungsmechanismen aus der Bevölkerung gezeigt.
Verwendete Literatur
Eine abgeschwächte Variante der Meritokratie-These findet sich in diesem Buch des deutsch-amerikanischen Unternehmers und Gründer des Berggruen China Centers Nicolas Berggruen und des Journalisten Herausgebers des Noema Magazins und Mitgründes des Berggruen China Centers, Nathan Gardels.
Wertvoller Überblick zu Chinas Kadermanagementsystem mit statistischen Daten und Erläuterung der Zuständigkeiten von Kadern.
John P Burns identifiziert mehrere Phasen, in denen das Nomanklaturasystem nicht effizient der Auswahl qualifizierter Kader gedient hat: Die Kulturrevolution, 1952-1953, Mitte der 1980er Jahre und in den 1990er Jahren. Burns sieht die primäre Funktion des Systems im Selbsterhalt und zeigt, dass das System selbst in Zeiten relativer Sicherheit – insbesondere aufgrund weitverbreiteter Korruption – nicht effiziert funktioniert hat.
Die englischsprachige Berkshire Encyclopedia of China richtet sich an die interessierte Öffentlichkeit. Der Artikel ist von Benjamin Elman verfasst, einem anerkannten Spezialisten für das kaiserzeitliche Prüfungssystem. Der Artikel enhält auch ein berühmtes Zitat des Qing-zeitlichen Prüfungskandidaten und Schriftstellers Pu Songling, das die Strapazen der Prüfungen besonders farbig illustriert.
Umfasst Hintergruninformationen zur Ideengeschichte des Leistungsprinzips und Meritokratie.
Dieser Artikel, publiziert in der renommierten Zeitschrift Foreign Affairs, kann als Grundlage und Ausführung von Eric X. Lis TED-Talk verstanden und herangezogen werden.
In diesem Blogbeitrag stellt der renommierte Politikwissenschaftler und Experte für Chinas Parteistaat Andrew Nathan das von Daniel Bell im Buch The China Model entworfene System einer politischen Meritokratie in Frage.
Ausführliche Informationen folgen in Zukunft. Bei Fragen wenden Sie sich gerne jederzeit an [email protected].
Ausführliche Informationen folgen in Zukunft. Bei Fragen wenden Sie sich gerne jederzeit an [email protected].
Lernziele/Kompetenzen
Inhaltliche Kompetenzen: Die Schüler*innen…- …verfügen über Grundwissen zur politischen Elite und zum Verwaltungsapparat der Volksrepublik China (VR China).
- …können die Vor- und Nachteile des politischen Systems und Verwaltungsapparats der VR China diskutieren, bewerten und mit demokratischen Systemen vergleichen.
- …reflektieren kritisch über Auswahlverfahren von politischen Eliten.
- …können mediale Berichterstattung zum politischen System der VR China kritisch reflektieren.
- …können die historische Entwicklung von meritokratischen Elementen in unserem demokratischen Verwaltungssystem im Kontext globalgeschichtlicher Verflechtungen zwischen Europa und Asien einordnen.
- …mediale Darstellungen kritisch hinterfragen und eigenständige Fragen zu Detailaspekten entwickeln.
- … Texten und Grafiken Informationen entnehmen und diese in eine vorstrukturierte Diskussion einbringen.
- …statistische Daten und Grafiken analysieren, zur Beantwortung ausgewählter Fragestellungen heranziehen und auf ihre Vergleichbarkeit hin überprüfen.
- …eigenständig Argumente formulieren.
- Sowohl die Gruppenarbeit als auch eine Diskussion im Plenum fördern die sozialen Kompetenzen der Schüler*innen
Didaktisch-methodischer Kommentar
Dieses Lernmodul baut auf Grundwissen zum politischen System der Volksrepublik China (VR China) auf und setzt Kenntnisse über Grundbegriffe wie „Demokratie“, „Autokratie“ und „Einparteienstaat“ voraus. Es kann als Vertiefungsmodul zum Modul „Wer regiert China? Partei, Staat, Gesellschaft“ genutzt werden. Aber auch alleinstehend bietet das Modul vielfache Ansatzpunkte, um das politische System der VR China erfahrbar zu machen, aktuelle Herausforderungen zu umreißen sowie historische Kontinuitäten in Europa und China zu hinterfragen. Das Modul fordert die Schüler*innen heraus, sich im Angesicht von Systempluralismus die Werte einer demokratischen Grundordnung bewusst zu machen.
- M1.1: Die Zeitungsüberschriften zeigen zum einen die Aktualität des Themas, können aber zum anderen als Aufhänger zur Einführung des Begriffes „Meritokratie“ und der Reflektion zu leistungsorientierten Auswahlsystemen in demokratischen politischen Systemen dienen. Funktioniert das politische System der VR China besser als demokratische Systeme? Erscheint uns die Methode der Auswahl der politischen Elite in der VR China wünschenswert? Angesichts populistisch geprägter Wahlergebnisse, kurzsichtiger Entscheidungen und einer ineffizienten Verwaltung in Europa und den USA stellen viele Journalisten in europäischen und US-amerikanischen Zeitschriften sich genau diese Fragen.
- M1.2 dient der Vorstellung und Begründung der Meritokratie-These in Form eines TED-Talks. Dabei dient das Video zur schnellen Einführung in alle später aufgegriffenen Aspekte des politischen Systems und Verwaltungsapparates der VR China: seine vermeintlichen historischen Ursprünge im Kaiserreich, die Zusammensetzung von Chinas politischer Elite, die Zustimmung zum autokratischen System innerhalb der Bevölkerung und aktuelle Herausforderungen. Das Format eines TED-Talks als Aufbereitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und persönlicher Erfahrungen für die interessierte Öffentlichkeit dürfte den Schüler*innen bekannt sein (vgl. Einordnung M1.2). Unkritische Erwartungshaltungen gegenüber einem als seriös geltenden Medium und die unkritische Aufnahme der im Video wiedergegebenen Informationen können im Verlauf des Moduls problematisiert werden. Trotz seiner inhaltlich problematischen Aussagen kann der Kurzvortrag auch als rhetorisches Vorbild und zur Analyse wichtiger rhetorischer Mittel genutzt werden.Gegebenenfalls sollte das Video zweimal gezeigt und die Argumentation im Plenum nachvollzogen werden.
Alternativ zu M1.2 können M8 oder M9 zum Einstieg angeboten werden. In beiden Fällen handelt es sich ebenfalls um propagandistische Videos, die jedoch weniger genau auf den Aufbau des Verwaltungsapparates eingehen.
- L2-5 können als Gruppenarbeit erledigt werden und dienen der Vorbereitung einer qualifizierten Diskussion zum Thema. Dabei sind die Textlängen und Aufgabentypen aufeinander abgestimmt und sollen die SuS auf mögliche Argumentationslinien stoßen. Die Ergebnisse der Gruppenarbeit können im Anschluss in einem Gruppenpuzzle ausgetauscht werden. Es ist jedoch auch denkbar, alle Materialien in Einzelarbeit betrachten zu lassen, um in der Abschlussdiskussion für alle SuS einen umfassenderen Wissensstand zu garantieren. Die würde die Zeit der Alleinarbeit jedoch um ein Vielfaches erhöhen.
- L6: Auf die Gruppenarbeit kann eine Pro-Contra Diskussion zur Leitfrage oder zu einer der vorgeschlagenen Thesen folgen. In Vorbereitung einer Diskussion kann M1.2 noch einmal kontrastierend zu den in L2-5 gelieferten Informationen gezeigt werden. Die Argumente der Diskussion können verschiedenartig festgehalten werden. Denkbar ist ein Tafelbild in Form einer Mindmap oder einer Tabelle mit verschachtelten Pro- und Kontraargumenten, aber auch die Verwendung eines Tools wie https://www.kialo-edu.com/, das zur Visualisierung verschiedener Argumentationsstränge genutzt werden kann. Die SuS können so Argumente vorstrukturieren und in einer Debatte oder in einer Seminararbeit aufgreifen.
- M8 und M9 können zur vertiefenden Auseinandersetzung im Rahmen einer Hausaufgabe oder als Grundlage für eine Diskussion im Rahmen einer Seminararbeit dienen.
- Als Einzelmaterial kann L2 auch als historische Hintergrundinformation in der Auseinandersetzung mit Chinas Bildungssystem und Hochschulzulassungsprüfung gaokao 高考 dienen. L2 kann aber auch in Verbindung mit einem Radiobeitrag des SWR 2 zum kaiserlichen Beamtenprüfungssystem und einem Kriminalroman des chinesischen Schriftstellers Qiu Xiaolong eingesetzt werden (Lorenz 2019). Dies ermöglicht die Verbindung der Themen politisches System der VR China, kaiserzeitliches China und moderne chinesische Literatur.
- Die in M3.2 und M5.1 präsentierten statistischen Daten können als Einzelmaterial ergänzend zu Themen wie den Grundlagen des politischen Systems der VR China, der Repräsentation von Frauen und nationalen Minderheiten und zur Illustration des Demokratieverständnisses der Bevölkerung der VR China genutzt werden.
Ablauf
Odila Schröder
M1.1: Zeitungsüberschriften zur Volksrepublik China als Meritokratie
So wird das politische System der VR China in Zeitungsüberschriften betrachtet:
Zur Einsicht detaillierter Quellenangaben sowie weiterführender Informationen und Literaturhinweise zum Material besuchen Sie bitte die Plattform ChinaPerspektiven. [https://www.china-schul-akademie.de/materialien/m-wrc-m1-1]
Weiterführende Informationen
M1.1: Aufgabe 1
M1.1: Aufgabe 2
M1.2: Ist China eine Meritokratie?
In diesem TED-Talk – einem Kurzvortrag bei einer Konferenz der Organisation TED Conferences LLC (Technology, Entertainment, Design) – stellte Eric X. Li 2013 drei Gründe für die Stabilität des chinesischen politischen Systems vor: Flexibilität, Meritokratie und Legitimität. In dem hier gezeigten Abschnitt (8:12 - 13:19) wird die Auswahl der chinesischen politischen Elite nach dem Leistungsprinzip vorgestellt und die Legitimität des Systems begründet.
Li, Eric X. 2013. „Eric X. Li: Zwei politische Systeme“. TED. Link mit deutschen Untertiteln [Abschnitt: 8:12-13:19]. Weiterführende Informationen
Li, Eric X. 2013. „Eric X. Li: Zwei politische Systeme“. TED. Link mit deutschen Untertiteln [Abschnitt: 8:12-13:19]. Weiterführende Informationen
Zur Einsicht detaillierter Quellenangaben sowie weiterführender Informationen und Literaturhinweise zum Material besuchen Sie bitte die Plattform ChinaPerspektiven. [https://www.china-schul-akademie.de/materialien/m-wrc-m1-2]
Weiterführende Informationen
M1.2: Aufgabe 1
M1.2: Aufgabe 2
M2.1: Das kaiserzeitliche Beamtenprüfungssystem (keju 科举)
Wer durfte den chinesischen Kaiser beraten? Und wie wurde man im kaiserzeitlichen China Staatsbeamter?
Nach ersten Ansätzen in der Han-Dynastie dienten seit dem siebten Jahrhundert bis zur Abschaffung des Beamtenprüfungssystems im Jahr 1905 schriftliche Prüfungen zu einem festen Bildungskanon der Auswahl von Staatsbeamten. Die Beamten, oft Mandarine genannt, sollten den Kaiser in politischen Fragen beraten. Ziel und Inhalt der Prüfungsvorbereitung war die Herausbildung einer voll der konfuzianischen Ethik verschriebenen Persönlichkeit. Im Zentrum des über die Jahrhunderte nur leicht angepassten Bildungskanons standen klassische philosophische, historiographische und literarische Schriften, darunter die der konfuzianischen Schule zugeschriebenen Fünf Klassiker (Wu Jing 五經) und Vier Bücher (Si Shu 四書). All diese Schriften mussten auswendig gelernt werden – in Summe etwas über 600.000 chinesische Zeichen. Das Auswendiglernen der Klassiker alleine bedeutete ein Studium von ca. sechs bis acht Jahren. Dazu kam die Kenntnis wichtiger Kommentare und aktueller politischer Diskussionen. Zudem mussten Prüfungsfragen in verschiedenen Textgenres beantwortet werden: z.B. in der Form klassischer Gedichte oder nach strengen Regeln und in Parallelstrukturen aufgebauter Texte – den sogenannten achtfüßigen Aufsätzen (baguwen 八股文). Auch kalligraphische und formale Standards mussten unbedingt eingehalten werden.
Die Prüfungen wurden auf allen politischen Ebenen des Reiches abgehalten, ein Kandidat arbeitete sich also vom Bezirksexamen über das Provinzexamen bis zum Palastexamen hoch. Die Teilnahme an den Prüfungen stand allen chinesischen Männern mit einigen Ausnahmen von Berufsständen wie Bordellbetreibern oder Mönchen offen. Jedoch stellte die Prüfungsvorbereitung eine große finanzielle Hürde dar – absolute Chancengleichheit bestand also nicht wirklich. Dennoch sorgte das System für eine gewisse soziale Mobilität und einen durchaus beträchtlichen Austausch von Eliten innerhalb der oberen Schichten.
Nicht nur die Vorbereitung, auch die Prüfungen selber waren mit physischen und psychischen Strapazen verbunden: Während der Qing-Dynastie bekamen die (fast) ausnahmslos männlichen Kandidaten für die drei mal drei Tage und zwei Nächte des Palastexamens eine Prüfungszelle. Essen, Schreibunterlagen und Windschutzschilder etc. mussten selbst mitgebracht werden. Viele Kandidaten kollabierten unter dem Leistungsdruck. Dabei waren ihre Erfolgschancen insgesamt extrem gering. Schon im Bezirksexamen schieden ca. 95% der Kandidaten aus. An den Prüfungen konnte jedoch wiederholt teilgenommen werden. Einige Kandidaten erlangten erst im fortgeschrittenen Alter Rang und Namen. Den erfolgreichen Kandidaten jedoch winkten extremes Prestige, Aufstiegsmöglichkeiten und zahlreiche Privilegien.
Die Durchführung dieser Examina bedeutete einen extremen Verwaltungsaufwand – von der Erstellung der Prüfungsfragen, der Durchsuchung der Kandidaten und Überwachung der tausenden Prüfungszellen, um Betrugsversuche zu identifizieren, der Abschrift der Arbeiten, um die Bevorzugung bekannter Kandidaten zu verhindern, bis hin zur mehrfachen Durchsicht der Arbeiten und Verkündigung der Ergebnisse. Doch das Prüfungssystem war nicht frei von Korruption und Betrug.
Der feste Bildungskanon und die Herausbildung einer auf das kaiserzeitliche Prüfungssystem ausgerichteten intellektuellen Elite trug maßgeblich zur Stabilität des Kaiserreiches bei – das Prüfungssystem blieb über viele Dynastien und Fremdherrschaften hinweg erhalten. Abgeschafft wurde es erst 1905, kurz vor der Gründung der Republik. Der Fokus der Prüfungen auf philosophisches, literarisches und geschichtliches Wissen kam in die Kritik, Reformversuche und Anpassungen der Prüfungsinhalte wurden als gescheitert betrachtet. Nicht gut genug schienen die fast ausschließlich klassisch gebildeten Beamten vorbereitet auf die Herausforderungen der sich mit Kanonen ankündigenden Moderne. In Europa jedoch hatte die Kunde vom chinesischen Beamtenprüfungssystem bereits Spuren hinterlassen.
Zur Einsicht detaillierter Quellenangaben sowie weiterführender Informationen und Literaturhinweise zum Material besuchen Sie bitte die Plattform ChinaPerspektiven. [https://www.china-schul-akademie.de/materialien/m-wrc-m2-1]
Weiterführende Informationen
M2.2: Das Chinabild europäischer Staatsdenker im 18. und frühen 19. Jahrhundert
Informationen über das chinesische Beamtenprüfungssystem erreichten Europa schon im späten 16. Jahrhundert mit den Berichten christlicher Missionare. Schriftliche Prüfungen zum Eintritt in den Staatsdienst sind in Europa jedoch nicht vor dem späten 18. Jahrhundert eingeführt worden. Die folgenden Zitate aus Werken europäischer Staatstheoretiker illustrieren das Chinabild von europäischen Staatsdenkern der Zeit.
Weiterführende Informationen
Weiterführende Informationen
Weiterführende Informationen
Zur Einsicht detaillierter Quellenangaben sowie weiterführender Informationen und Literaturhinweise zum Material besuchen Sie bitte die Plattform ChinaPerspektiven. [https://www.china-schul-akademie.de/materialien/m-wrc-m2-2]
M2.3: China als Vorbild für die europäische Verwaltung
Die deutsche Historikerin Susan Richter weiß mehr über das Chinabild europäischer Staatsdenker im 18. und frühen 19. Jahrhundert und damit zusammenhängende Reformen des Verwaltungssystems.
Zur Einsicht detaillierter Quellenangaben sowie weiterführender Informationen und Literaturhinweise zum Material besuchen Sie bitte die Plattform ChinaPerspektiven. [https://www.china-schul-akademie.de/materialien/m-wrc-m2-3]
Weiterführende Informationen
L2: Aufgabe 1
L2: Aufgabe 2
M3.1: Auswahl- und Bewertungskriterien von Politiker*innen in der Volksrepublik China (VR China)
Wie sieht die Karriere eines Beamten in der VR China aus? Was sind die Kriterien, nach denen Beamte heute ausgewählt und befördert werden?
Die Auswahl chinesischer Staatsbeamter wird von der Organisationsabteilung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) vorgenommen. Über 80% der Kader sind Parteimitglieder – über der Kreisebene sogar über 95% (Brødsgaard 2012, 74). Schon bei der Aufnahme in die Partei wird eine strenge Vorauswahl getroffen. Angehende Mitglieder legen Prüfungen ab, besuchen Kurse und müssen ihre Treue gegenüber ideologischen Prinzipien nachweisen. Zudem werden Schüler*innen und Student*innen mit herausragenden Leistungen zum Eintritt in die Partei angehalten. Auch für Berufstätige stellt der Eintritt in die Partei häufig eine Voraussetzung für den Karriereaufstieg dar. Um die Leistungsfähigkeit der Kader zu erhöhen werden seit den 1990er Jahren bevorzugt junge Universitätsabsolvent*innen in die Partei aufgenommen – gleichzeitig stieg der Anteil der Universitätsabsolvent*innen in der Gesamtbevölkerung. Der Prozentsatz der Parteimitglieder mit Universitätsabschluss ist von 11,3% im Jahr 1998 auf 46,6% im Jahr 2019 angestiegen (Thomas 2020b). Dabei ist der Anteil von Arbeiter*innen und Bauern/Bäuerinnen – die traditionelle Hauptklientel der Partei – auf unter 35% gesunken (Grünberg 2021). Zugleich wächst der Anteil an Privatunternehmer*innen in der Partei. Die meisten angehenden Staatsbeamten legen strenge Prüfungen ab: Die Beamtenprüfung für den Staatsdienst der VR China (guojia gongwuyuan kaoshi 国家公务员考试, kurz: guokao 国考) findet jedes Jahr statt. Mittlerweile nehmen ca. anderthalb Millionen Kandidat*innen teil, nur ca. jeder 60. Kandidat*in bekommt eine Stelle. Die Prüfung umfasst über 130 Multiple-Choice-Fragen in den Bereichen Allgemeinwissen, Textverständnis, Mathematik, Logik, Materialanalyse, die in zwei Stunden bearbeitet werden müssen, sowie eine dreistündige schriftliche Prüfung mit Aufsätzen zu politischen Themen (offcn.com 2021). Da vor allem die ältere Beamtenschaft starke Defizite zeigte, werden Kader heute im weiteren Verlauf ihrer Karriere wiederholt fortgebildet (Heilmann, Shih, und Hepp 2016, 108).
In die obersten Führungsriegen schaffen es jedoch nur wenige. Entscheidend für den Karriereaufstieg von Anwärter*innen sind Alter, Bildungsabschlüsse, Erfahrung und Leistung auf Provinzebene (Landry, Lü, und Duan 2017; Kostka und Xiaofan 2015), sowie das Geschlecht (Shen 2020) – aber auch persönliche Verbindungen zur Führungselite der Partei und Faktionszugehörigkeit spielen eine Rolle (Shih, Adolph, und Liu 2012; Yang Zhang 2014; Jia, Kudamatsu, und Seim 2015).
2019 wurden die offiziellen Bewertungskriterien von sogenannten Führungskadern (Beamte auf Provinz-, Stadt- und Bezirksebene, lingdao ganbu 领导干部) weiter überarbeitet. Dabei handelt es sich um Zielsetzungen und Ideale, die offiziell angestrebt, in der Praxis jedoch nicht voll erfüllt werden. Sie geben jedoch Aufschluss über die Priorisierung der Kriterien. Hier ein Ausschnitt:
Artikel 8. Bewertungskriterien für die Führungskader umfassen hauptsächlich:
- Tugend. […] Bewertung der politischen Qualität der Führungskader, die sich durch das Verständnis der festen Ideale und Überzeugungen, Loyalität gegenüber der Partei, Respekt für die Parteiverfassung, die Einhaltung der politischen Disziplin und politischen Regeln, sowie ein hohes Maß an Übereinstimmung in Ideologie, Politik und Verhalten mit Genosse Xi Jinping als dem Kern der Partei auszeichnen. […]
- Können. Umfassende Beurteilung der Führungskader in Bezug auf die Erfüllung ihrer Aufgaben und Verantwortlichkeiten, insbesondere in Bezug auf die Reaktion auf Notfälle, Massenereignisse, politische Fähigkeiten, Professionalität und organisatorische Führungsfähigkeit.
- Fleiß. […] fleißig und engagiert, pflichtbewusst und verantwortungsbewusst, schnell, risikofreudig, nicht verantwortungsscheu, hart arbeitend, mit Bereitschaft zur Aufopferung.
- Leistung. [Kader] führen ihre Pflichten aus, erledigen ihre tägliche Arbeit, übernehmen dringende und schwierige Aufgaben, befassen sich mit komplexen Fragen […]
- Integrität. […] unparteiische Nutzung der Macht […]
Zur Einsicht detaillierter Quellenangaben sowie weiterführender Informationen und Literaturhinweise zum Material besuchen Sie bitte die Plattform ChinaPerspektiven. [https://www.china-schul-akademie.de/materialien/m-wrc-m3-1]
Weiterführende Informationen
M3.1: Aufgabe 1
M3.2: Die politische Elite der Volksrepublik China (VR China) in Zahlen
Die folgenden Diagramme geben Aufschluss über die Zusammensetzung der politischen Elite der VR China im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Die politische Elite der VR China wird hier repräsentiert 205 Mitglieder des Zentralkomitees der KPCh und der 24 Mitglieder des Politbüros der KPCh. Zum Vergleich werden hier auch Daten der „repräsentativen“ Organe von Partei und Staat, dem Parteitag der KPCh und dem Nationalen Volkskongress – sowie die Zusammensetzung des deutschen Bundestags dargestellt.
Die folgenden Diagramme geben Aufschluss über die Zusammensetzung der politischen Elite der VR China im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Die politische Elite der VR China wird hier repräsentiert 205 Mitglieder des Zentralkomitees der KPCh und der 24 Mitglieder des Politbüros der KPCh. Zum Vergleich werden hier auch Daten der „repräsentativen“ Organe von Partei und Staat, dem Parteitag der KPCh und dem Nationalen Volkskongress – sowie die Zusammensetzung des deutschen Bundestags dargestellt.
Zur Einsicht detaillierter Quellenangaben sowie weiterführender Informationen und Literaturhinweise zum Material besuchen Sie bitte die Plattform ChinaPerspektiven. [https://www.china-schul-akademie.de/materialien/m-wrc-m3-2]
Weiterführende Informationen
M3.2: Aufgabe 1
M3.2: Aufgabe 2
M4.1: Bewertungskriterien und Datenmanipulation
Nach welchen Kriterien werden chinesische Beamte heute beurteilt und befördert? Wie wirksam werden diese Kriterien erfasst?
Die VR China ist in sechs administrative Ebenen gegliedert: Die zentrale Ebene, die Provinz-, die Bezirks-, die Kreis-, die Gemeinde- und die Dorfebene. Innerhalb des Kadermanagementsystems entscheiden zumeist die jeweils übergeordneten Ebenen über die Beförderung der Kader auf der Ebene darunter (Qi, Shi, und Wang 2020, 3). Bewertet wird der Erfolg der Umsetzung von politischen Zielsetzungen anhand von Messdaten und der Befragung von Kolleg*innen und Untergebenen. Seit den 1990er Jahren werden die Bewertungskriterien regelmäßig den Prioritäten der Parteiführung angepasst (Heilmann, Shih, und Hepp 2016, 102–3). Dabei fließen das lokale Wirtschaftswachstum, die politische Stabilität der Region, aber auch Bemühungen um nachhaltige Entwicklung und das Verhalten der Kader im privaten Bereich in ihre Bewertung ein. Manchmal sind Zielsetzungen jedoch widersprüchlich oder nicht auf die lokalen Gegebenheiten anwendbar. Und oft sind die Bewertungskriterien nicht gut messbar. Daher ist die Bewertung anfällig für Datenmanipulation. Lokale Kader versuchen also, Verpflichtungen zu umgehen oder Daten zu beschönigen, was zu Verzerrungen der leistungsorientierten Auswahl der politischen Elite führen kann (Heilmann u. a. 2016, 304). Die folgende Anekdote aus einem wissenschaftlichen Artikel illustriert solche Vorgehensweisen:
Aufgrund solcher Manipulationen werden kontinuierlich Verbesserungen in der Erhebung quantitativer Daten vorgenommen. So üben die Zentralregierung und Parteiführung Druck auf die Provinzebene aus, damit Zahlen stärker der Realität entsprechen (Leng 2019). In ausgewählten Bereichen werden außerdem seit Mitte der 2010er Jahre Datenerhebungen von nicht-staatlichen, markwirtschaftlich organisierten Akteuren in die Evaluation einbezogen (Niu u. a. 2020). Offen bleiben die Fragen, ob die Erfüllung der vorgegebenen Ziele erstrebenswert ist und ob die erhobenen quantitativen Daten ein gutes Abbild individueller Leistung und Eignung als Politiker*in bieten.
Zur Einsicht detaillierter Quellenangaben sowie weiterführender Informationen und Literaturhinweise zum Material besuchen Sie bitte die Plattform ChinaPerspektiven. [https://www.china-schul-akademie.de/materialien/m-wrc-m4-1]
Weiterführende Informationen
M4.1: Aufgabe 1
M4.1: Aufgabe 2
M4.2: Machtkonzentration
Die obersten Führungspositionen in Partei, Staat und Militär der VR China (Generalsekretär der KPCh, Staatspräsident und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission) wurden seit 1993 in Personalunion zunächst von Jiang Zemin 江泽民, dann von Hu Jintao 胡锦涛 und seit 2013 von Xi Jinping 习近平 eingenommen. Während die Position des Generalsekretärs der KPCh keiner formalen Amtszeitbeschränkung unterworfen ist, war die Amtszeit des Staatspräsidenten bis 2018 auf zwei Wahlperioden, also 10 Jahre, beschränkt. Diese Beschränkung der Amtszeit des Staatspräsidenten auf zwei Wahlperioden wurde am 11. März 2018 per Verfassungsänderung durch den Nationalen Volkskongress abgeschafft.
Xu Zhangrun 徐章润 (1962- ) ist ein mittlerweile suspendierter Professor für Rechtswissenschaften an der renommierten Tsinghua Universität (Qinghua Daxue 清华大学) in Beijing. Im Sommer 2018 veröffentlichte er das Essay „Unsere derzeitigen Ängste und Hoffnungen“, in dem er in „vier grundlegende Prinzipien“ die Gründe für die Duldung der Alleinherrschaft der KPCh und damit die Hauptpfeiler ihrer Legitimität seit den 1990er Jahren darlegt: Sicherheit und Stabilität, Schutz von Eigentumsrechten, ein basaler Schutz von Grundrechten, sowie die Beschränkung der Amtszeit politischer Führer auf 10 Jahre. Die Verfassungsänderung von 2018 kommentiert er wie folgt:
Die Einhaltung von Amtszeitbeschränkungen. In den letzten dreißig Jahren hat es, trotz einer merklichen Pluralisierung der Gesellschaft und gewisser Toleranz in der Politik, tatsächlich keinerlei fortschrittliche Reformen im gesamten politischen System gegeben. Im Kern basiert [das System] nach wie vor auf den verrotteten und unbarmherzigen Prinzipien der Diktatur und des [parteiinternen] Kampfes gegeneinander; nach außen sieht man die hässliche Fratze des habgierigen Allesfressers, der das Land ausbeutet. Aber verfassungsrechtlich war ein System der Amtszeitbeschränkung festgesetzt, welches auch für den Staatspräsidenten und Premierminister galt. Die Menschenrechte sind in die Verfassung aufgenommen worden. Und mit der friedlichen innerparteiliche Machtübergabe nach zehn Jahren war 2003 endlich die verfassungsrechtliche Bestimmung von zwei Amtszeiten und höchstens zehn Jahren realisiert. Es schien als sei die bisher nur auf dem Papier [existierende] verfassungsrechtliche Bestimmung damit zur „Verfassungskonvention“ geworden. Es schien als seien Recht und Realität in Einklang gebracht. All dies gab den Menschen ein gewisses politisches Sicherheitsgefühl und veranlasste auch die internationale Gemeinschaft zu glauben, in China beginne eine Zeit der modernen Politik.
Man kann sagen, dass [die Amtszeitbeschränkung] über die letzten dreißig Jahre hinweg das einzige sichtbare, fassbare, substantielle Ergebnis politischer Reformen darstellt – egal wie viel leeres Geschwätz es gab über systemischer Veränderung, das System blieb sonst vollkommen unverändert. In den Augen der Bevölkerung [war nun klar], dass egal wer [an der Staats- und Parteispitze] ist und wie er sich verhält, es sich nur um eine Angelegenheit von 10 Jahren handelt. […] Endlich gab es diese „zehnjährige Amtszeit“, man glaubte es gäbe eine Versicherung gegen potentiell jederzeit ausbrechende politische Übergriffe und könne sich in aller Ruhe um die persönlichen alltäglichen Angelegenheiten kümmern.
第四,實行政治任期制。三十多年里,究其實質,雖說社會多元與政治容忍度明顯增長,但整個政治體制未見任何具有實質進步意義的變革,骨子裡依舊是那一套陳腐而殘忍的敵我鬥爭與專政理念,外加上「吃江山」的貪婪醜態。但因立憲規定了包括國家主席和國務總理在內的政治任期制,以及「人權入憲」,並經2003年以還的十年任期後實現黨內和平禪讓,終於兌現了最多連任兩屆、最長十年這一憲法規定,紙上的憲法規定至此似乎積習而為「憲法慣例」,好像立法與實踐均雙雙塵埃落地,這便總算給予國民以一定政治安全感,也令國際社會覺得中國正在步入現代政治。 不妨說,三十多年里嚷嚷政體改革而政體巋然不動,這是唯一看得見摸得著也拿得出手的政治改革成果。在大家看來,不管你如何,不過就是十年的事。[諸位,百姓無辜,小民螻蟻,平時面朝黃土背朝天,分散如沙,為養家糊口而勞生息死,根本無力抵抗任何組織化強權。] 此刻終於好歹有此「十年任期」,似乎感覺也還算是對於隨時可能爆發的政治任性的一招制約,這便隨遇而安地打理自家油米柴鹽也。
Die sieben Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros der KPCh repräsentieren die höchste Führungsebene der Partei. Die Zusammensetzung dieses Gremiums gibt Aufschluss über die Mächteverhältnisse zwischen innerparteilichen Gruppen und die politische Ausrichtung der Volksrepublik. Im Oktober 2022 wurde beim Parteitag der KPCh in Beijing die personelle Zusammensetzung der obersten Parteigremien der KPCh (Zentralkommitee, Politbüro und Ständiger Ausschuss des Politbüros) vorgestellt. Hier eine Reaktion von Zhang Yang 张杨, Assistent Professor an der American University in Washington, DC und Experte für chinesische Elitennetzwerke.
Was wir gerade erlebt haben, ist die Bildung eines Teams „Alle Männer Xis“, der Bruch mit jahrzehntelangen Regeln und die Geburt eines uneingeschränkten obersten Führers. Das alles ist nicht vollkommen überraschend, aber Xis Griff nach der Macht übersteigt doch unsere Erwartungen. Er ist jetzt ein wirklich moderner Kaiser.
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M4.2: Aufgabe 1
M4.2: Aufgabe 2
M5.1: Zufriedenheit und Demokratieverständnis
Wie zufrieden sind die Bürger*innen der Volksrepublik China (VR China) mit ihrer Regierung? Strebt die Bevölkerung der VR China nach Demokratie oder präferiert sie eine von Expert*innen geführte Regierung?
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M5.2: Partizipation und Rückmeldemechanismen
Welche Formen der politischen Partizipation gibt es in der Volksrepublik China? Wie geht die Regierung auf die Wünsche der Bevölkerung ein?
Die Partizipationsmöglichkeiten der Bevölkerung der Volksrepublik China (VR China) sind eingeschränkt: Schon im Kaiserreich gab es zwar die Möglichkeit, der Regierung Missstände oder Vorschläge in Form einer Eingabe bzw. Petition (xinfang 信访) an die jeweils zuständige Eingabebehörde mitzuteilen – und diese Möglichkeit besteht auch in der VR China seit 1951. Doch Eingaben sind nur sehr selten erfolgreich (Q. Zhang 2018). Erfolgreicher sind bis zu einem bestimmten Maße lokale Proteste oder Streiks, die zwar nicht legal sind und durch die Polizei aufgelöst werden, aber dennoch immer wieder zur Verschiebung und Änderung von politischen Maßnahmen führen. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen können sich im Rahmen der rechtlich zugelassenen Möglichkeiten am Gesetzgebungsprozess beteiligen oder Einfluss nehmen. Die chinesische Bevölkerung wird zudem in bestehende Parteistrukturen eingebunden, z.B. in Parteizellen in Betrieben und Nachbarschaftskomitees (jumin weiyuanhui 居民委员会), oder von der Regierung als „Freiwillige“ (zhiyuanzhe 志愿者) mobilisiert und partizipiert auf diese Weise (Heberer 2010).
Gerade aufgrund der Einschränkungen der öffentlichen Beteiligung an politischen Entscheidungen ist die Regierung auf Rückmeldung über andere Kanäle angewiesen. Mögliche Kanäle der Rückmeldung sind z.B. die kompetitiven, aber von der KPCh kontrollierten und dominierten Wahlen auf Lokalebene, die Medien, die Verwaltungsgerichtsbarkeit und ein feingliedriges Netz von lokalen Informanten und Beobachtern (Göbel und Li 2020, 41–42). Zudem setzen Lokalregierungen immer mehr auf Meinungsumfragen um die öffentliche Beurteilung von Regierungshandeln zu erfassen und Unruhen vorzubeugen (Heilmann u. a. 2016, 309).
Auf digitalen Rückmeldungsplattformen, die erstmals 2001 von Lokalregierungen in Nanjing 南京 und Hangzhou 杭州 eingerichtet wurden (Göbel und Li 2020, 44), können Beschwerden öffentlich eingegeben werden. Auf solche Beschwerden wird zeitnah reagiert – insbesondere, wenn diese im Sinne der eigenen politischen Zielsetzungen sind. Zudem fließt die regelmäßige Beantwortung von Beschwerden in die Beurteilung von Regierungsabteilungen ein (Göbel und Li 2020, 50). Mittlerweile werden Beschwerden standardisiert und sollen in Zukunft der Vorhersage der Bedürfnisse der Bevölkerung dienen und Regierungshandeln bestimmen (Göbel und Li 2020, 53).
In Hangzhou 杭州, einer Stadt die als Vorreiter in Sachen Digitalisierung und als „Chinas glücklichste Stadt“ gilt, sind jährliche Umfragen mittlerweile Teil der internen Beurteilung der Stadtverwaltung, nach dem Motto „Strebe nach exzellenten Ergebnissen und stelle die Bürger zufrieden“ (chuang yiliu yeji rang renmin manyi 创一流业绩 让人民满意) (Hangzhou Performance Management Committee 2021). Dazu werden die Ergebnisse einer online-Umfrage unter anderem mit den Daten von Rückmeldungen bei Bürgerämtern, Straßenumfragen und Rückmeldungen über Online-Plattformen und soziale Medien kombiniert.
Insgesamt hat das Bewahren von Stabilität für die chinesische Regierung oberste Priorität. Dabei ist offene Repression eine relativ teure Maßnahme – sowohl Polizeipräsenz als auch Zensur sind arbeits- und kostenintensiv. Daher bemüht sich die Regierung aufkeimende Probleme und Unzufriedenheit möglichst schnell zu erfassen und zu beheben. So kann die Grundzufriedenheit eines Großteils der Bevölkerung garantiert und auf eventuelle Kritik durch weiterhin benachteiligte oder unzufriedene gesellschaftliche Individuen oder Gruppen mit härteren, teuren Maßnahmen reagiert werden.
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M5: Aufgabe 1
L5: Aufgabe 2
L6: Aufgabe 1
Diskutieren Sie eine der folgenden Thesen:
- „Das politische System der Volksrepublik China ist eine politische Meritokratie.“
- „Ein politisches System ist legitim, wenn ein Großteil der Bevölkerung zufrieden ist.“
M7: How leaders are made
Das Video „Wie man Staatschef wird“ zeigt, wie man in der Volksrepublik China (VR China) an die Spitze der politischen Elite gelangt. Es wurde produziert von einem „Studio auf der Straße der Renaissance“ (Fuxinglu Shang Gongzuoshi 复兴路上工作室) – einer Straße, auf der auch die für Informationsbeschaffung und Beeinflussung von Chinas Außenwahrnehmung zuständige der Behörde der KPCh ansässig ist, die dieses Video wahrscheinlich in Auftrag gegeben hat.
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M8: Zhang Weiwei: Auswahl und Wahl
„Auswahl und Wahl: Wie China seine Führungskräfte wählt,“ ein Vortrag von Zhang Weiwei 张维为 (1958- ), Professor am China Institute der renommierten Fudan Universität (Fudan daxue Zhongguo yanjiuyuan 复旦大学中国研究院) in Shanghai 上海, Parteimitglied, Politikberater und Autor mehrerer Bücher zu Chinas wirtschaftlichem und politischem System und globalen Zukunftsperspektiven.
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M9: Anregungen und Themenvorschläge für Seminararbeiten
Arbeit mit Umfrageergebnissen: Das World Values Survey erhebt regelmäßig Daten zu mehreren hundert Fragen. Darunter sind Fragen nach persönlichen Lebensumständen, Beziehungen, religiösen Überzeugungen und politischer Haltung, Sorgen und Problemen und Vieles mehr. Die Daten können in einem System online abgerufen, visualisiert und verglichen werden. Die Fragebögen sind auch in deutscher Sprache auffindbar. Für eine Seminararbeit könnten z.B. Umfrageergebnisse zu einem ausgewählten Thema analysiert, deren Entwicklung über mehrere Jahre beobachtet oder mit Ergebnissen aus verschiedenen Ländern verglichen werden. Sekundärliteratur, die auf Basis der Daten entstanden ist, kann in den Rubriken „Publications“ und „Paper Series“ abgerufen werden. Wichtig bei der Arbeit mit Umfragedaten wie diesen ist die Problematisierung der Erhebungstechniken, der Repräsentativität der Umfrageergebnisse und ggf. der Vergleichbarkeit über Jahre bzw. verschiedene Regionen hinweg.
(Odila Schröder, 16.06.2021)
Arbeit mit Datenbanken zur politischen Elite der Volksrepublik China (VR China): Die aufgeführten drei Datenbanken geben Aufschluss über die Zusammensetzung der politischen Elite der VR China und enthalten biographische Informationen zu relevanten Persönlichkeiten. In einer Seminararbeit könnte z.B. die Zusammensetzung der politischen Elite der VR China beschrieben und diskutiert werden. Auf Basis der auf ChinaVitae abrufbaren Daten könnten auch tagesaktuelle Aktivitäten von Chinas Eliten beobachtet und kontextualisiert werden. Denkbar wären ebenso Netzwerkprojektionen oder Analysen der Werdegänge von Eliten.
(Odila Schröder, 16.06.2021)
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