Tag der Lehrer*innen 教师节

Video für eine Dankeskarte

Am 10. September – pünktlich zum Start des neuen Schuljahrs – wird in der Volksrepublik China der Tag der Lehrer*innen (jiaoshi jie 教师节) gefeiert. Obwohl kein staatlicher Feiertag ist er doch landesweit bekannt: Schülerinnen und ihre Eltern bedanken sich bei ihren Lehrer*innen mit (selbstgebastelten) Dankeskarten, Blumen oder anderen Geschenken. Was sagt dieser Gedenktag über den Status von Lehrerinnen in der Volksrepublik China im Vergleich zu Deutschland aus? Gibt es kritischere chinesische Stimmen zum Tag der Lehrer*innen? Und wie kam es eigentlich zur Entstehung dieses Gedenktags?

Video für eine Dankeskarte
Screenshot aus einem chinesischen Bastelvideo für eine Dankeskarte zum Tag der Lehrer*innen, online unter: https://www.youtube.com/watch?v=rHpvmZYqTwQ.

Status und Ansehen von Lehrer*innen

Während in der Volksrepublik China und auch auf Taiwan (dort wird der Tag der Lehrer*innen am 28. September begangen) jede*r diesen Gedenktag kennt, sieht es in Deutschland anders aus: Kaum jemand weiß beispielsweise, dass es einen Weltlehrertag gibt, der seit 1994 jedes Jahr am 5. Oktober gefeiert wird. 

Die Bedeutung des Tags der Lehrer*innen im chinesischen Kulturraum ist ein Ausdruck für das hohe gesellschaftliche Ansehen von Lehrer*innen dort. Der hohe Status von Lehrer*innen in der Volksrepublik China und anderen ostasiatischen Ländern ist auch empirisch belegbar. In einer von der Varkey Foundation, einer im Bildungsbereich tätigen britischen Stiftung, in Auftrag gegebenen Studie wurden 2018 40.000 Personen in 35 Ländern nach ihren Assoziationen zum Beruf „Lehrer*in“ befragt. So wurden die Befragten beispielsweise gebeten, aus einer vorgegebenen Liste den Beruf auszuwählen, der ihrer Meinung nach am ehesten dem des*der Lehrers*in entspricht.

Statistik zu Status des Berufs
Material aus dem Lernmodul “Schule im Vergleich”

Während im deutschsprachigen Raum (Deutschland und Schweiz) die Befragten den Beruf „Lehrer*in“ mit dem Beruf „Sozialarbeiter*in“ verglichen, sah die Mehrheit der Befragten in der Volksrepublik China den Beruf „Lehrer*in“ deutlich höher an – vergleichbar mit einem*r Ärzt*in. Auch in Korea, Taiwan und Malaysia überwogen Berufe mit einem höheren Status. Im Vergleich mit der Volksrepublik China, Taiwan und Korea würden auch nur deutlich weniger der befragten Deutschen ihr Kind dazu ermutigen, Lehrerin zu werden.

Statistik zu Lehrer*in werden
Material aus dem Lernmodul “Schule im Vergleich”

Das Ansehen von Lehrer*innen in der Volksrepublik China (aber auch in Taiwan und Malaysia) ist also höher, als bei uns in Deutschland – wie auch das Beispiel des „Tag der Lehrer*innen“ zeigt. Gleichzeitig darf dabei aber nicht vergessen werden, dass – wie ebenfalls in der Varkey Studie 2018 festgestellt wurde – das durchschnittliche Gehalt von Lehrer*innen in der Volksrepublik China (wie auch in Malaysia) fast ein Fünftel niedriger liegt als in Deutschland. Diese Durchschnittsangabe verdeckt allerdings die großen Unterschiede innerhalb der Volksrepublik China: Ein*e Lehrer*in an einer bekannten Schule in Beijing oder Shanghai verdient deutlich mehr als ein*e Lehrer*in in einer ländlichen Region Chinas. (Siehe auch die Materialien zu regionalen Ungleichheiten im Bildungssystem der Volksrepublik China.) Auch das Verbot von privatem Nachhilfeunterricht in der Volksrepublik China im Sommer 2021 hat Folgen für die chinesischen Lehrer*innen: Viele der zuvor in privaten Nachhilfeunternehmen beschäftigten Lehrer*innen sind nun arbeitslos und Lehrer*innen an staatlichen Schulen müssen teils Überstunden leisten, um den fehlenden außerschulischen Nachhilfeunterricht aufzufangen. (Siehe dazu den Hintergrundtext zu den Reformen im Bildungssystem in der Volksrepublik China 2021.)

Diese Diskrepanz zwischen einem hohen gesellschaftlichen Ansehen von Lehrer*innen in der Volksrepublik China und der Arbeitsrealität steht beispielhaft für die Komplexität des Systems Schule in der Volksrepublik China, die wir auch in unseren Materialien versuchen aufzeigen. Weitere Informationen und Unterrichtsmaterialien zum Thema Schule in China (darunter zu Themen wie Aufbau des Schulsystems, Ungleichheiten und Leistungsdruck) finden Sie in unserem Lernmodul „Schule im Vergleich“.

Debatten zum Tag der Lehrer*innen

Nicht alle in der Volksrepublik China sind jedoch glücklich mit dem Tag der Lehrer*innen – wiederholt wurde im Internet beispielsweise die Abschaffung des Gedenktages gefordert. Aus der Perspektive von Eltern liegt das vor allem am Druck mehr und mehr (und teurere) Geschenke für die Lehrer*innen zu kaufen. In einem Eintrag des Blogs „Linlins Bildungsleitfaden“ (琳琳教育指南) – dem Blog folgen knapp 30 Mio. Internetuser*innen – vom 9. September 2021 heißt es beispielsweise:

Tatsächlich gibt es viele Eltern, die am Tag der Lehrer*innen den Lehrer*innen Geschenke überreichen, in der Hoffnung, dass die Lehrer ihren Kindern in der Schule mehr Aufmerksamkeit schenken […]. In der Vergangenheit bestand ein Geschenk der Eltern vielleicht nur aus einer netten Karte, einem kleinen, von den Schüler*innen selbst gebackenen Kuchen oder selbst gebastelten Origami-Kranichen. Wichtig war die Geste und nicht, wie teuer das Geschenk war. […] Mittlerweile gibt es sogar Eltern aus wohlhabenden Familien, die viel Geld für Geschenke für die Lehrer*innen ausgeben […]. Dies hat nun dazu geführt, dass das Phänomen von Geschenken für die Lehrer*innen zu einer Wettbewerbsmentalität geführt hat: Wenn jemand ein sehr teures Geschenk macht und man selbst ein relativ preiswertes, hat man Angst, dass der Lehrer das eigene Kind aufgrund des Wertes des Geschenks anders behandeln wird. […] Deshalb reagieren immer mehr Eltern darauf, indem sie die Abschaffung des Tags der Lehrer*innen fordern.

https://www.sohu.com/a/488774306_120960385

其实也有很多家长会在教师节的时候送上自己的礼物,目的也是为了自己的孩子,希望教师可以在学校更加关注一下自己的孩子,这种现象开始越来越变了本质、过往家长送礼可能仅仅是精美的卡片,或者学生亲手准备的小点心或者千纸鹤,礼物不分贵重重要的是心意。但是现在这样美好的心意,反而开始变了本质。因为人们生活条件的提高,送老师的礼物也开始贵重了起来,甚至有家庭条件不错的家长更是花大价钱给老师买礼物,这样的现象让很多家长表示质疑。

现在给老师送礼物的现象也产生了攀比的心理,如果人家送了很贵重的礼物,自己反而送了比较平价的礼品,这样不免担心老师会因为礼物的价值而区别对待。甚至现在还出现了集家长们的钱,统一给教师买礼物的情况,很多时候家长也不好意思拒绝,于是现在越来越多的家长直接反应取消教师节。

Wie aktuell diese Problematik ist zeigt auch ein Vorfall aus dieser Woche: Am 7. September diesen Jahres berichteten dann mehrere Onlinemedien aus der Volksrepublik China über einen Vorfall in der südchinesischen Provinz Guangxi. Dort planten die Elternsprecher*innen einer Klasse für die Lehrer*innen Geschenke in Höhe von insgesamt über 300 Euro zu kaufen. Als ein Elternteil sich nicht daran beteiligen wollte, wurde er kurzerhand aus der Elterngruppe des Messengers WeChat entfernt. (Quelle: https://mp.weixin.qq.com/s/IMIjCDAuH3hXZnPgsD5aOQ)

Und auch aus der Perspektive von Lehrer*innen gibt es harsche Kritik. So antwortete ein Geographielehrer auf der Frage-und-Antwort-Plattform Zhihu 知乎  auf die Frage „Warum rufen so viele Lehrer*innen zur Abschaffung des Tags der Lehrer*innen auf?“ am 19. September 2019:

迎接教师节,大到教育主管部门小到学校、年级、班级可能都要为教师节准备活动,文艺演出、 表彰大会、家校联谊、听讲座听报告……就算什么都不弄,班主任总得安排学生给任课老师送点小 礼物表达一下。新学期开学之初,人心未定,各项事宜正逐步走向正轨,检查活动也日益增多, 本身就是事情最多的时候,偏偏要过教师节,还不如叫〃教师劫“,这不是自己给自己找事。

Um den Tag der Lehrer*innen gebührend feiern zu können müssen alle, von den Beamten des Bildungsministeriums bis hin zu den Schulen, Jahrgangsstufen und Klassen, Veranstaltungen wie kulturelle Darbietungen, Preisverleihungen, Veranstaltungen für die Eltern, Vorträge und Präsentationen vorbereiten. Auch wenn nichts organisiert wird, muss der Klassenlehrer dafür sorgen, dass die Schüler*innen ihren [anderen] Lehrer*innen kleine Geschenke machen. Der Beginn des neuen Schuljahres ist eine Zeit der Ungewissheit, die Zeit, wo am meisten Aufgaben anfallen […] und gerade dann wird der „Tag der Lehrer*innen“ gefeiert. Da sollte man doch eher von „Anschlag auf die Lehrer*innen“ sprechen […].“


https://www.zhihu.com/question/345411976

Es überrascht daher nicht, dass es auch wiederholt Überlegungen gab, ein anderes Datum für den Tag der Lehrer*innen auszuwählen.

Historische Entwicklung

Die Idee von staatlichen Feiertagen oder Gedenktagen im westlichen Sinne entwickelte sich in China zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Bereits zur Zeit des chinesischen Kaiserreichs hatten manche Kaiser zum Jahrestag des Geburtstages von Konfuzius Beamte und Gelehrte versammelt – was heutzutage von manchen als Vorbild für den Tag der Lehrer*innen betrachtet wird. Vor allem zur Zeit der Republikchina in den 1930er-Jahren mehrten sich dann Überlegungen, einen Gedenktag zu Ehren der Lehrer*innen einzuführen. 1939 legte die Republik China den Geburtstag von Konfuzius als Datum des „Tags der Lehrer*innen“ fest. Aufgrund des Krieges gegen Japan wurde dieser Gedenktag in den folgenden Jahren dann aber nicht wirklich begangen.

Nach der Gründung der Volksrepublik China 1949 wurden Lehrer*innen als Arbeiter*innen betrachtet – statt einem eigenen Gedenktag galt auch für sie der 1. Mai (Tag der Arbeit). In der Republik China auf Taiwan hingegen wurde 1952 der 28. September (laut traditioneller Auffassung wurde Konfuzius am 28. September 551 v.u.Z. geboren) als Tag der Lehrer*innen festgelegt. Bis heute wird daher der Tag der Lehrer*innen in Taiwan am 28. September begangen (und auch in Hongkong wurde dieser Gedenktag bis zur Rückgabe an die Volksrepublik China 1997 am 28. September begangen).

In der Volksrepublik China mehrten sich nach dem Tod Mao Zedongs 1978 zu Beginn der 1980er-Jahre die Stimmen, die eine Wiedereinführung des „Tags der Lehrer*innen“ forderten. Vorgeschlagen wurde unter anderem der 5. Mai (Geburtstag von Karl Marx), aber schlussendlich wurde der 10. September gewählt, da er zu Beginn eines jeden neuen Schuljahres liegt. In den 2000er-Jahren gab es jedoch auch immer wieder Stimmen, die eine Datumsänderung forderten: Die ersten Wochen des Schuljahres seien zu stressig und der Geburtstag von Konfuzius – der 28. September – sei daher aus inhaltlichen und praktischen Gründen der bessere Termin. Doch seitdem der Staatsrat 2013 öffentlich ankündigte eine Datumsänderung zu überlegen, ist nichts mehr passiert. Es bleibt also spannend, ob und wie der „Tag der Lehrer*innen“ sich in Zukunft ändern wird.