Tourismus als Gefahr? – Weiterführende Informationen

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AutorTitelDatumObjektbeschreibungInhaltEinordnung
Autor*in: Stefanie Elbern, basierend auf einem Artikel der Kolumne “Chaguan”, The EconomistTitel: Tourismus als Gefahr?Entstehungsdatum & -ort: Mai 2021Objektbeschreibung: Zusammenfassung eines Zeitungsartikels; Original siehe Thumbnail, alternativ: engl. Original einsehbar via CSAThema/Bildinhalt: Tourismus in XinjiangEinordnung: Das Material fasst einen Artikel aus der Kolumne „Chaguan“ (wörtlich „Teehaus“ 茶馆) zusammen, die seit 2018 in The Economist erscheint und mit ihrem Titel auf die chinesische Teehauskultur anspielt: Der Genuss des Teetrinkens verbindet sich in der Vorstellung der Schöpfer der Kolumne in Teehäusern mit der Idee eines freien Gedankenaustauschs (Chaguan 2020).

Der Artikel erschien Anfang 2021 unter dem Titel „China uses tourism to smother Xinjiang’s culture - Tour buses are as effective as bulldozers“. Die im Artikel beschriebenen historischen Ereignisse, die das Mausoleum des Afaqh Khoja in Kashgar zu einem wichtigen Ort in Xinjiang gemacht haben, sind nur ansatzweise in den Hintergrundinformationen dargestellt. Für eine detailliertere Darstellung können (J. A. Millward 2007, 78–123) sowie (auf Nachfrage) Zusatzmaterial herangezogen werden.


Das dem Artikel vorangestellte Bild zeigt einen Reisebus, der vor einer Moschee Touristen*innen ablädt und bietet so einen optischen Einstieg in das Artikelthema: Die Nutzung religiöser Stätten in Xinjiang für touristische Zwecke. Ähnlich wie diese als Zusatzmaterial M 4.8 aufgenommene wissenschaftliche Arbeit zum Afaq Khoja-Schrein weist der Artikel zunächst darauf hin, dass die Interpretation eines jeden Ortes ein soziales Konstrukt ist und nicht nur über die Zeit hinweg variiert (je nach Zeitpunkt und Betrachter wurde die Figur der Xiang Fei mal mehr und mal weniger mit dem Ort in Bezug gebracht, die Person des Afaq Khoja unterschiedlich bewertet), sondern auch innerhalb der Gruppen der den Ort nutzenden Personen (in diesem Falle muslimische Gläubige mit unterschiedlichen politischen Affiliationen, Han-Chines*innen als Touristen*innen/Anbieter*innen von touristischen Dienstleistungen). Der Artikel beschreibt daneben auch die negativen Einflüsse, die die staatlichen Maßnahmen haben – von der Verdrängung von Gläubigen bis hin zur teilweise vollständigen Umgestaltung religiöser Orte – aus Moscheen werden Touristencafés, aus einem Mausoleum eine Touristenattraktion. Erwähnt wird ferner die Sichtweise der chinesischen Regierung, die die Zerstörung von Kulturgütern in Xinjiang bestreitet und Entwicklungsmaßnahmen als Grund für die Aktivitäten benennt.


Eine aus Xinjiang-Aufenthalten in den Jahren 2011/2012 resultierende Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der Afaq Khoja-Schrein ein Beispiel dafür ist, wie sich durch das politisch ungleiche Kräfteverhältnis zwischen Han-Chinese*innen und Uigur*innen die Annäherung verschiedener Gruppen an den Ort verändert. Die neue Zuordnung des Mausoleums zur Person der Xiang Fei überlagert die ungewollte politische Interpretation des Ortes, die mit der Person des Afaq Khoja verbunden war, u.a. auch dadurch, dass sie die üblichen, an den Ort gebundenen Praktiken, also z.B. den Besuch des Schreins aus religiösen Gründen, einschränkt. (Joniak-Lüthi 2015, 439) Ähnliche Erfahrungen hat die Sozialanthropologin I. Bellér-Hann für die ebenfalls in Xinjiang gelegene Oasenstadt Qumul festgehalten und prägte (bereits im Jahr 2014) den Begriff des „Bulldozer-Staates“ für die Vorgehensweise der chinesischen Regierung in Xinjiang – eine Bezeichnung, die im Untertitel des Chaguan-Artikels („Tour buses are as effective as bulldozers“) anklingt (Bellér-Hann 2014).

In der Darstellung der Regierung ist der Tourismus eine wichtige Säule einer „hochwertigen wirtschaftlichen Entwicklung“ Xinjiangs und findet in Form des Besuchs von Kulturangeboten statt, in Form von „ländlichem Tourismus, Schnee und Eis-Tourismus, Reisen mit dem eigenen Auto oder Aufenthalten in Familien.“ (Sheng 30.10.2020) Während es ein breites Feld wissenschaftlicher Arbeiten zur Frage der Wirkung von Tourismus auf die Entwicklung einer betroffenen Region gibt, hält ein 2019 erschienener Artikel dreier in den USA forschender Chines*innen fest, dass die touristischen Entwicklungsmaßnahmen der Regierung in Xinjiang und ihre Wirkung auf die dort lebenden Minderheiten bisher wenig erforscht sind (Jiao, Zhang, und Meng 05.04.2019). Der Artikel beschreibt den Forschungsstand und die sozio-kulturelle Ausgangslage in Xinjiang sowie die Defizite, die die Autor*innen hinsichtlich des von der Regierung propagierten Potenzials von Tourismus als Entwicklungstreiber in Xinjiang in der Realität sehen. Der Artikel verdeutlicht, wie über von der Zentralregierung in Beijing initiierte Provinz-Patenschaften (duikou zhiyuan 对口支援, z.B. zwischen Guangdong und Kashgar) massiv bilaterale Entwicklungshilfe nach Xinjiang kanalisiert wird, die unterschiedlichste Formen annehmen kann: von Ausbildungsmöglichkeiten für Touristenführer*innen über konkrete Verkehrsanbindungen und Marketingstrategien bis hin zu Baumaßnahmen in Form von Wohnungsanlagenrenovierung oder Sanitäreinrichtungen. Die Kritik der Autor*innen an der Vorgehensweise beschränkt sich allerdings auf die als unzureichend beschriebene kulturelle Sensibilität der Han-Chines*innen gegenüber den Minderheiten der Region. Als Beispiele genannt werden die unzureichende Beteiligung (ownership) der lokalen Bevölkerung an den Entwicklungsmaßnahmen, weil Verantwortung nicht delegiert wird, sondern von nicht-lokalen Personen der Partnerprovinzen übernommen wird; sowie der Verlust an Attraktivität der Region durch die hohe Gewichtung von Sicherheit und Stabilität (z.B. durch die Sperrung als sensibel eingestufter Regionen für Tourist*innen). Die Autor*innen umgehen eine Positionierung zu der Frage, inwieweit Forderungen nach einer stärkeren Einbeziehung lokaler Interessen durch die Zentralregierung realistisch ist. Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels bzw. zum Zeitpunkt der Datenerhebung war allerdings das Ausmaß der staatlichen Eingriffe in Xinjiang, das in der im Chaguan-Artikel erwähnten Studie des ASPI (vgl. auch M 4.5) beschrieben wird, noch nicht im heutigen Ausmaß deutlich.

Verwendete Literatur

Bellér-Hann, Ildikó. 2014. The Bulldozer State: Chinese Socialist Development in Xinjiang. In: Ethnographies of the State in Central Asia, hg. von Madeleine Reeves, Johan Rasanayagam, und Judith Beyer, 173–197. Performing Politics. Indiana University Press. http://www.jstor.org/stable/j.ctt16gzghd.13 (zugegriffen: 25. Juni 2021). Zitieren
Chaguan. 2021. China uses tourism to smother Xinjiang’s culture. The Economist, 1. Februar. https://www.economist.com/china/2021/01/02/china-uses-tourism-to-smother-xinjiangs-culture (zugegriffen: 4. Januar 2021). Zitieren
Clothey, Rebecca A., Emmanuel F. Koku, Erfan Erkin und Husenjan Emat. 2016. A voice for the voiceless: online social activism in Uyghur language blogs and state control of the Internet in China. Information, Communication & Society 19, Nr. 6 (2. Juni): 858–874. http://doi.org/10.1080/1369118X.2015.1061577, http://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/1369118X.2015.1061577 (zugegriffen: 10. September 2021). Zitieren

Dieser schon etwas ältere englischsprachige Artikel eignet sich, um einen Einblick in Formen der Proteste uigurischer Minderheiten in der VR China zu erhalten.

Jiao, Yang, Yunzi Zhang und Zhenhao Meng. 2019. Tourism as Development Aid: Policies and Challenges for Tourism Planning in Xinjiang, China. Tourism Planning & Development 17, Nr. 3 (4. Mai): 335–354. http://doi.org/10.1080/21568316.2019.1597762, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/21568316.2019.1597762 (zugegriffen: 26. Mai 2021). Zitieren

Es gibt sehr wenig akademische Literatur, die sich mit dem Einfluss von Tourismus auf die Entwicklung der Autonomen Region Xinjiang bzw. seine Wirkung auf die dort lebenden Minderheiten auseinandersetzt. Die drei an chinesischen Universitäten ausgebildeten Autoren dieses Aritkels forschen in den USA an verschiedenen Universitäten und geben im Artikel sowohl einen Überblick über den Forschungsstand, die sozio-kulturelle Ausgangslage in Xinjiang und die Defizite, die sie hinsichtlich des von der Regierung propagierten Potenzials von Tourismus als Entwicklungstreiber in Xinjiang in der Realität sehen. Der Artikel verdeutlicht, wie über vond er Zentralregierung in Beijing initiierte Provinz-Patenschaften (z.B. zwischen Guangdong und Kashgar) massiv bilaterale Entwicklungshilfe nach Xinjiang kanalisiert wird, die unterschiedlichste Formen annehmen kann: von Ausbildungsmöglichkeiten für TouristenführerInnen über konkrete Verkehrsanbindungen und Marketingstrategien bis hin zu Baumaßnahmen in Form von Wohnstättenrenovierung oder Sanitäranlagen.

Die Kritik der Autoren an der Vorgehensweise beschränkt sich allerdings auf die als unzureichend beschriebene kulturelle Seinsibilität der Han-Chinesen gegenüber den Minderheiten der Region: unzureichende Beteiligung (ownership) der lokalen Bevölkerung an den Entwicklungsmaßnahmen, weil Verantwortung nicht delegiert wird, sondern von nicht-lokalen Personen der Partnerprovinzen übernommen wird; durch die hohe Gewichtung von Sicherheit und Stabilität verliert das Angebot vor Ort an Attraktivität (z.B. Unzugänglichkeit als sensibel eingestufter Regionen). 

Die Autoren umgehen eine Positionierung zu der Frage, in wieweit Forderungen nach einer stärkeren Einbeziehung lokaler Interessen durch die Zentralregierung realistisch ist.

Joniak-Lüthi, Agnieszka. 2015. Xinjiang’s geographies in motion. Asian Ethnicity 16, Nr. 4 (2. Oktober): 428–445. doi:10.1080/14631369.2014.1001162, https://doi.org/10.1080/14631369.2014.1001162 (zugegriffen: 24. Mai 2021). Zitieren

Die in der Schweiz als Sozialanthropologin forschende Autorin widment sich der Frage der subjektiven Wahrnehmung eines Raumes als dem "eigenen" - hier Han und Uighuren in Xinjiang.

Millward, James A. 2007. Chapter 3: Between Islam and China (16th - 19th centuries). In: Eurasian crossroads: a history of Xinjiang, 78–123. New York: Columbia University Press. Zitieren
Sheng, Yuan. 2020. Xinjiangs Tourismusindustrie hat mit der rasanten Entwicklung der Kulturtourismusbranche ein neues Gesicht bekommen. China Economic Net 中国经济网. 30. Oktober. http://travel.ce.cn/gdtj/202010/30/t20201030_7290471.shtml (zugegriffen: 26. Mai 2021). Zitieren