Chinas Neue Seidenstraßen-Initiative
- Lerneinheit 1: Mediale Illustrationen der Neuen Seidenstraßen-Initiative in China und Deutschland2 Materialien|1 Aufgabe
- Lerneinheit 2: Grundwissen „Die Neue Seidenstraßen-Initiative“2 Materialien
- Lerneinheit 3: Verschiedene Perspektiven auf die Neue Seidenstraßen-Initiative3 Materialien|1 Aufgabe
- M3.1: Chinesische Perspektive auf die Neue Seidenstraße
- M3.2: Europäische Perspektive auf die Neue Seidenstraße: „Warum China eine neue Seidenstraße baut“, Neue Züricher Zeitung (Video)
- M3.3: Afrikanische Perspektive auf die Neue Seidenstraßen: „Madaraka-Express Eisenbahn zwischen Nairobi und Mombasa“, Deutsche Welle (Video)
- M3.1: Chinesische Perspektive auf die Neue Seidenstraße
- Ergänzende Materialien
M2.1: Lehrvortrag: „Die Neue Seidenstraßen-Initiative“
Was hat es mit der Neuen Seidenstraßen-Initiative auf sich?
Die „Neue Seidenstraßen-Initiative“ wurde im Jahr 2013 von dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping ins Leben gerufen. Der chinesische Originalbegriff der Initiative lautet „Ein Gürtel, eine Straße“ (Yidai yilu 一带一路) und steht für die sechs Landkorridore des „Seidenstraßen Wirtschaftsgürtels“ (Sichou zhi lu jingji dai 丝绸之路经济带) und die „Maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts“ (Haishang sichou zhi lu 海上丝绸之路), die China mit Südost- und Zentralasien, Afrika und Europa verbinden sollen (M2.2). Bei dem englischen Begriff „Belt and Road Initiative“ oder abgekürzt BRI, der sich auch im deutschen Sprachgebrauch findet, handelt es sich folglich um eine wörtliche Übersetzung des chinesischen Originalbegriffs.
Die neue Seidenstraße soll dabei an die antike Seidenstraße anknüpfen, ein Netz von Karawanenstraßen, dessen Hauptroute den Mittelmeerraum auf dem Landweg über Zentralasien mit Ostasien verband. Der Begriff „Seidenstraße“ ist allerdings kein chinesischer, sondern geht auf den deutschen Geografen Ferdinand von Richthofen (1833-1905) zurück. Von Richthofen verwendete diesen erstmalig im Jahr 1877, um die Routen zu bezeichnen, über die Seide aus China nach Europa transportiert wurde. Ihre Hochzeit erlebte die historische Seidenstraße zwischen 115 v. Chr. und dem 13. Jahrhundert n. Chr., wobei sich ihre frühsten Erwähnungen bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. finden.
Mit der Neuen Seidenstraßen-Initiative verfolgt die chinesische Regierung das Ziel, die Anbindung (in der Fachsprache als „Konnektivität“ bezeichnet) zwischen China und dem Rest der Welt zu verbessern. Dabei zielt die Neue Seidenstraßen-Initiative auf einen geografischen Raum mit 138 Ländern und 4,4 Mrd. Menschen, was in etwa 63% der Weltbevölkerung entspricht. Nach der Vision der chinesischen Staatsführung soll sich Chinas Kooperation mit anderen Ländern im Rahmen der Initiative auf Bereiche wie Transport- und Telekommunikationsinfrastruktur, finanzielle Zusammenarbeit, Handel, Nachhaltigkeit und kulturellen Austausch erstrecken. Ein Netzwerk von Infrastrukturprojekten und neuen Wirtschaftszonen soll Marktzugänge und Investitionsmöglichkeiten in Südostasien, Südasien und Zentralasien erschließen und den Handel und die Kooperation mit der EU voranbringen. Dafür will China 900 Mrd. US-Dollar an chinesischen Krediten bereitstellen, weswegen die Neue Seidenstraßen-Initiative als das bisher größte Infrastrukturvorhaben der globalen Wirtschaftsgeschichte bezeichnet wird.
Die offizielle Rhetorik der chinesischen Regierung stellt vor allem entwicklungspolitische Motive in den Vordergrund. Der Infrastrukturausbau im Rahmen der Neuen Seidenstraßen-Initiative soll nicht nur die Anbindung Chinas an den Rest der Welt verbessern, sondern auch die von anderen Entwicklungs- und Schwellenländern. Bessere Infrastruktur soll den Handel erleichtern und ihnen so zu Wirtschaftswachstum und Wohlstand verhelfen. Dabei verweisen chinesische Politiker*innen oft auf das chinesische Sprichwort „Wenn du reich werden willst, baue eine Straße.“ (Yao xiang fu, xian xiulu 要想富先修路). In China, erklären sie, war Infrastruktur-Entwicklung einer der wichtigsten Treiber für die Entwicklung des Landes von der Armut zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Dieses infrastruktur-basierte Entwicklungsmodell glaubt die chinesische Führung nun in andere Entwicklungs- und Schwellenländern „exportieren“ zu können. Profitieren sollen davon beide Seiten, China und die Partnerländer der Neuen Seidenstraßen-Initiative – ein Ansatz, den China als „win-win“ bezeichnet.
Tatsächlich ist der Bedarf an globalen Infrastruktur-Investitionen, v.a. in Entwicklungs- und Schwellenländern, enorm. Er wird global auf 75-86 Mrd. US-Dollar bis zum Jahr 2030 beziffert (Bhattacharya et al. 2016). China könnte hier mit seinen Infrastruktur-Krediten wichtige Lücken schließen. Doch Kritiker*innen der Neuen Seidenstraße befürchten, dass China die Initiative vor allem zur Durchsetzung der eigenen geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen nutzen wird (M3.2). Aufgrund der geringeren Wachstumsraten in China seit der globalen Finanzkrise von 2008 hat die chinesische Bau- und Stahlindustrie Überkapazitäten aufgebaut, die nun in Infrastrukturprojekten eingesetzt werden – denn diese werden nicht nur mit chinesischen Krediten finanziert, sondern sind auch an den Einsatz chinesischer Unternehmen und chinesischen Materials gebunden. Ein ähnlicher Abbau von Überkapazitäten lässt sich auch im Energiesektor beobachten. Obwohl sich China im Inland ambitionierte Energiewende-Ziele gesetzt hat, investiert es in den Ausbau klimaschädlicher fossiler Energieträger: in 2018 flossen 40% der chinesischen Kredite im Energiesektor in herkömmliche Kohlekraftwerke (Lew et al. 2021). Doch hier gibt eine Trendwende: Chinas President Xi hat in einer Rede vor den Vereinten Nationen im September 2021 verkündet, dass China in Zukunft keine Kohlekraftwerke mehr in Entwicklungsländern bauen wird. Ferner soll die BRI in Worten der chinesischen Regierung durch Infrastrukturprojekte und Handel „Freundschaft und Zusammenarbeit“ (youyi yu hezuo 友谊与合作) zwischen China und anderen Ländern befördern (s. z.B. Außenministerium der VR China 2019) und so durch die engere Bindung von Ländern an China durch Infrastrukturprojekte und Handel Allianzen-Bildung gegen China, u.a. in den Vereinten Nationen, verhindern und Kritik an Chinas Umgang mit Menschenrechten unterbinden. Darüber hinaus haben Infrastrukturprojekte oft gravierende soziale und ökologische Folgen, da z.B. Straßen oder Eisenbahnstrecken durch Dörfer oder Naturreservate gebaut werden. Zivilgesellschaftliche Organisationen stellen daher die Frage, inwieweit breite Bevölkerungsschichten – und nicht nur die Eliten – von den Projekten der Neuen Seidenstraßen-Initiative profitieren. Zudem warnen sie, dass die kreditfinanzierte Infrastruktur-Entwicklung zu einer Überschuldung der Partnerländer der Neuen Seidenstraßen-Initiative führen könnte.
Zur Einsicht detaillierter Quellenangaben sowie weiterführender Informationen und Literaturhinweise zum Material besuchen Sie bitte die Plattform ChinaPerspektiven. [https://www.china-schul-akademie.de/materialien/m-nsi-m2-1]