M4.2: Machtkonzentration – Weiterführende Informationen

Einordnung: Während die Amtszeiten des Generalsekretärs der KPCh und der Zentralen Militärkommission keiner Beschränkung unterworfen sind, war das der Repräsentation nach außen dienende Amt des Staatspräsidenten der VR China zwischen 1982 und 2018 verfassungsrechtlich auf zwei Amtszeiten beschränkt. Dabei sind die Amtszeiten jeweils an die Wahlperioden des Nationalen Volkskongresses gekoppelt. Seit Jiang Zemin 江泽民 (1926- ) seine Präsidentschaft 2003 nach zwei Amtszeiten an Hu Jintao 胡锦涛 (1942- ) abtrat und dieser 2013 wiederum an Xi Jinping 习近平 (1953- ) galt dieses Vorgehen als Norm für die friedliche Übergabe der Staatsmacht. Dabei behielt Jiang Zemin den Vorsitz der Zentralen Militärkommission über seine Staatspräsidentschaft hinaus bis Ende 2004 inne und scheint auch darüber hinaus großen Einfluss auf die Geschicke der Partei unter Hu Jintao genommen zu haben. Dennoch galt die Einhaltung solcher institutioneller, verfassungsrechtlich verankerter Normen als ein wichtiger Faktor für die wahrgenommene Legitimität – sowohl innerhalb als auch außerhalb der VR China – und damit die Stabilität des autokratischen Systems (Nathan 2003; Noesselt 2012, 53–54).

Mit der Verfassungsänderung von 2018 wurde unmissverständlich klar, dass Xi Jinping eine dritte Amtszeit anstrebte. Damit brach Xi mit gerade etablierten institutionellen Normen der vorangegangenen Jahre und stellte die institutionelle Legitimität in Frage, die sich seit den 1990er Jahren implizit ausgebildet hatte. Im Oktober 2022 wurde Xi Jinping beim Parteitag der KPCh im Amt als Generalsekretär der KPCh bestätigt und tritt im März 2023 seine dritte Amtszeit als Staatspräsident der VR China an. Er behält damit seine Führungsrollen in Partei, Staat und Militär. Kommentator*innen sehen in der nun zeitlich unbeschränkten Macht Xi Jinpings ein weiteres Indiz für die zunehmend autoritäre Entwicklung des politischen Systems.

Xu Zhangrun 徐章润 (1962- ) war zwischen 2000 und 2020 Professor für Rechtswissenschaften an der renommierten Tsinghua Universität (Qinghua Daxue 清华大学) in Beijing. Im Sommer 2018 veröffentlichte er eine umfassende Kritik der politischen Entwicklungen in der VR China im bis 2021 in Hong Kong (seitdem in Singapur) ansässigen Medienportal The Initium (Duanchuanmei 端傳媒). In seinem Essay „Unsere derzeitigen Ängste und Hoffnungen“ kritisiert er die Machtmonopolisierung und autoritären Tendenzen in der Entwicklung des Landes.

In „vier grundlegende Prinzipien“ legt er die Gründe für die Duldung der Alleinherrschaft der KPCh und damit die Hauptpfeiler ihrer Legitimität seit den 1990er Jahren dar: Sicherheit und Stabilität, Schutz von Eigentumsrechten, ein basaler Schutz von Grundrechten, sowie die Beschränkung der Amtszeit politischer Führer auf 10 Jahre. Damit verbunden beklagt Xu unter anderem exzessive politisch-ideologische Kampagnen, Eingriffe in persönliche Freiheiten im Rahmen von Maßnahmen zur „Stabilitätswahrung“ (weiwen 维稳), die Umsiedlung bzw. Schließung von Kleinunternehmen in der Stadt Beijing und damit einhergehende Vertreibung von Menschen von niedrigem sozio-ökonomischem Status, den Umgang mit Dissidenten, Polizeistaatliche Zustände in Teilen des Landes (wie Xinjiang und Tibet),

Im Folgenden listet Xu acht derzeitige Ängste, darunter:

• Die Selbstbereicherung politischer und wirtschaftlicher Eliten
• Ideologisierung der Politik und die Einschränkung der Grenzen des Sagbaren
• Das Aufleben einer Rhetorik des „Klassenkampfes“
• Die Intensivierung von Beziehungen mit autoritären Regimen und Risiken in der Beziehung mit den USA
• Übermäßige Entwicklungshilfe im Ausland (statt sozialer Umverteilung im Inland)
• Unterdrückung von Intellektuellen
• Wettrüsten und Kriegspotentiale v.a. in der Beziehung mit den USA
• Eine Abkehr von Reform und Rückkehr zu totalitärer Politik

Dem gegenübergestellt werden acht „Hoffnungen“ bzw. konkrete Maßnahmen:

• Ein Stopp exzessiver internationaler Entwicklungshilfe und Investition in Infrastruktur, Armutsbekämpfung und soziale Sicherheitssysteme
• Stopp exzessiver Ausgaben für teure diplomatische Treffen im Inland
• Ein Ende der Privilegien der Parteielite
• Ende des Zugangs zu Luxusgütern der Parteielite
• Transparente Informationen über die Vermögenswerte der Parteielite
• Ende des Personenkults
• Wiedereinführung der Amtszeitenbeschränkung
• Eine Neueinschätzung der Geschehnisse am 4. Juni 1989 [Tag der Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des himmlischen Friedens]

(Odila Schröder, 17.11.2022)

Verwendete Literatur