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Autor | Titel | Quellen | Datum | Objektbeschreibung | Rechte | Einordnung |
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Urheber*in: Sascha Zhivkov | Titel: Chinas Machthaber ringen um Sozialismus und Kapitalismus | Quellen: Siehe Material-Zitation | Entstehungsdatum: 06.06.2024 | Quelle: Zitatesammlung von reformorientierten sowie konservativen Führungskadern der Kommunistischen Partei der 1980er und -90er Jahre | Rechte: CC BY SA 4.0 | Einordnung: Auch wenn wir dazu neigen, einen mittlerweile über 40-jährigen Wirtschaftsprozess wie „Reform und Öffnung“ als linear zu betrachten, ist er das bei genauerem Hinsehen nicht. Schon der Beginn der Reformen war von einem heftigen Machtkampf in der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) geprägt. Dies ist in unterschiedlichen Publikationen, auch teils mit Fokus auf die einzelnen individuell handelnden Personen, aufgearbeitet worden (u.a. Burton 1987, Chen 1995, Schoenhals 1991). Der Reformkurs von Deng Xiaoping 邓小平 (1904-1997) stand gegen den Kurs des damaligen Regierungschefs Hua Guofeng 华国锋 (1921-2008), der nach dem Tod von Mao Zedong 毛泽东 (1893-1976) als Generalsekretär der Partei fungierte. Deng Xiaoping selbst gilt als ultimativer Pragmatiker, der in seiner Jugend auch Zeit in Frankreich verbracht hatte und dem zum Erreichen seiner Ziele auch die westlichen kapitalistischen Methoden sowie privatwirtschaftliche Tätigkeit zulassen wollte. Dies hatte er bereits unter Mao Zedong in den 1950er- und 1960er-Jahren versucht, konnte sich jedoch nicht dauerhaft durchsetzen. Angemerkt sei auch, dass der Reformkurs Dengs auch die bereits 1965 noch in der Mao-Zeit angestoßenen Wirtschaftsreformen von dem damaligen Premierminister Zhou Enlai 周恩來 (1898-1976) aufgriff, fortsetzte und später als „Vier Modernisierungen“ kanonisierte (Naughton 1993: 499). Das berühmte erste obige Zitat illustriert seine Haltung: Es sei egal, ob die Katze weiß oder schwarz sei, Hauptsache sie fange Mäuse. Deng äußerte dies bereits 1962, also weit bevor er die nötige Macht hatte, Wirtschaftsreformen nachhaltig anzustoßen. Interessanterweise zitiert er im Original ein Sprichwort aus Sichuan, welches gelbe (nicht weiße!) und schwarze Katzen gegenüberstellt. Das angeführte zweite, weit spätere Zitat hingegen zeigt, dass Deng trotz aller Offenheit für kapitalistische Ideen ein überzeugter Kommunist war. Er sucht nach einer Form des Kommunismus, der Wohlstand ermöglichte. Generalsekretär Hua hingegen propagierte nach 1976 „Zwei Alles“ (liang ge fanshi 两个凡是) und wollte Mao Zedong in allem, was er gesagt und getan hat, weiter folgen. Er wollte nach sowjetischem Vorbild die Schwerindustrie fördern, die Mechanisierung der Landwirtschaft erreichen und - erstmals - im großen Stil ausländische Technologie kaufen. Deng hingegen strebte an, privatwirtschaftliche Tätigkeit zuzulassen und ausländische Unternehmen nach China zu locken. Auch wenn die Stärke ihrer Gegensätzlichkeit zwischen Deng und Hua vielleicht überzeichnet wurde, wie neuere Forschung andeutet (Hao 2022): Öffentlich zu Tage trat die Kontroverse schließlich 1978 in der Wahrheitskriterien-Debatte. Hu Yaobang 胡耀邦 (1915-1989, später Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas 1980-1987) orchestrierte zur Lancierung dieser Diskussion wichtige Unterstützung für Deng in der Zentralen Parteischule. In ihren Publikationen stellten sie fest, dass die KPCh signifikante Fehler in der Vergangenheit begangen habe, gerade weil sie die „Wahrheit“ nicht ausreichend „in der Praxis“ (shishiqiushi 实事求是) getestet hätten. Deng und seine Gruppe setzten sich schließlich auf der 3. Sitzung des 11. Zentralkomitees der Partei 1978 durch und der Reformprozess konnte beginnen. Besonders stark trieb Generalsekretär Zhao Ziyang 赵紫阳 (1919-2005) in den 1980er-Jahren den Reformkurs voran. Er war der Ansicht, dass der Sozialismus ohne Reformen langfristig zum Scheitern verurteilt wäre. Wie die Zitate zeigen, behielt er diese Haltung behielt er auch zum Höhepunkt der Studentenproteste 1989 noch bei, als der sowjetische Generalsekretär Mikhail Gorbachev (1931-2022) die VR China besuchte. Wegen seiner liberalen Haltung und seinem entgegen gebrachten Verständnis gegenüber den Studierenden wurde Zhao kurze Zeit nach Niederschlagung der Proteste entmachtet und bis zu seinem Lebensende in Hausarrest gesteckt. Dort nahm er geheime Tonbänder auf, die sogar noch weitergehende demokratische Reformen für die VR China als zu seiner Amtszeit forderten (Zhao 2010). Eine inhaltliche Anmerkung: Es gibt zwei Versionen der geäußerten Zitate vom Treffen mit Gorbachev 1989. Beide sind beim Material verlinkt, wobei die chinesische Variante nur digital vorlag und nicht in Print letztgeprüft werden konnte. Im Buch von Gorbachev wird die Systemfrage Kapitalismus-Sozialismus in den Transkripten der Zitate noch stärker betont. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Marktkurs auch schon zuvor in den 1980er-Jahren nicht immer wieder herausgefordert worden wäre. Die Zitate des Materials zeigen dies deutlich. Obwohl er Deng grundsätzlich unterstützte, formulierte etwa der konservative Wirtschaftspolitiker Chen Yun 陈云 (1905-1995) im Jahr 1982 die Vogelkäfigtheorie, welche vor zu weitgehenden Reformen warnte: Der Vogel (also die Marktwirtschaft) müsse immer im Käfig (also der Planwirtschaft) bleiben, auch wenn dessen Größe angepasst zu bemessen sei. Einen vertieften Überblick zu dieser Theorie bieten die Weiterführenden Informationen zu dieser Quelle hier. Symbolisch standen für Dengs Paradigmenwechsel vor allem die Sonderwirtschaftszonen, welche den globalen Kapitalismus gewissermaßen Tür und Tor nach China öffneten. Nicht wenige Konservative in der Partei weigerten sich die Zonen überhaupt zu besuchen und/oder äußerten sich abfällig über sie. Das angeführte Zitat des ersten Präsidenten der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften Hu Qiaomu 胡乔木 (1912-1992) ist in diesem Kontext exemplarisch zu sehen. Auch nach der völligen Freigabe der Preise 1987, welche zu hoher Inflation führte, gab es kritische Äußerungen. Exemplarisch steht das im Material angebrachte Zitat des ehemaligen Staatspräsidenten der Volksrepublik China Li Xiannian 李先念 (1909-1992) hierfür. Ähnlich wie hier, allerdings noch schärfer, äußerte er sich angeblich nach Niederschlagung der Tian’anmen-Proteste 1989 im engsten Parteikreis (Liang et. al 2001: 567f). Li sah seine frühere kapitalismuskritische Haltung bestätigt – obwohl er Dengs generellen Reformkurs unterstützt hatte. Li und Chen übten nach 1989 in der Folge erheblichen Einfluss aus, und die KPCh verabschiedete eine Resolution, welche das Reformtempo als zu hoch brandmarkte. Tatsächlich stagnierten Reform und Öffnung in der Folge für einige Jahre. Erst Deng Xiaopings Reise in den Süden (Deng Xiaoping nanxun 邓小平南巡) im Januar 1992 über fast einen Monat wendete das Blatt. Deng, mittlerweile 87 Jahre alt, hielt während seiner Reise viele Reden in Shenzhen, Zhuhai, Guangzhou und Shanghai, welche von den Medien in Südchina sowie in Hongkong aufgegriffen wurden. Deng äußerte, dass diejenigen, „die nicht Reformen vorantreiben, von ihren Führungspositionen enthoben werden sollten“ (übersetzt nach Deng 1994). Weiterhin sagte er unter anderem in Shenzhen: „Die Regierung von Shenzhen sollte bei der Durchführung von Reform und Öffnung mutiger sein, [sie soll] es wagen, Experimente durchzuführen, und nicht als Frau mit gebundenen Füßen auftreten“ (übersetzt nach ebd.). Dengs Autorität als „überragender Führer“ zwang schließlich das Machtzentrum der Partei, in Form des Politbüros unter Jiang Zemin, Deng öffentlich zu unterstützen und den Reformkurs fortzusetzen. In der Folge stiegen wichtige chinesische Politiker wie der spätere Ministerpräsident Zhu Rongji auf, die dieses Erbe Dengs fortführen sollten. Die Reise in den Süden gilt als Deng Xiaopings letzte große politische Tat, da er kurz darauf schwer erkrankte und schließlich 1997 verstarb. Die nachhaltige Bedeutung dieser Reise für die VR China wurde erst kürzlich wieder in einem neuen Buch herausgehoben (Chatwin 2024). Sascha Zhivkov, 22.07.2024 Verwendete Literatur Burton, Charles. 1987. China’s Post-Mao Transition: The Role of the Party and Ideology in the „New Period“. Pacific Affairs 60, Nr. 3: 431–446. http://doi.org/10.2307/2758882, https://www.jstor.org/stable/2758882 (zugegriffen: 9. Juli 2024). Zitieren
Chatwin, Jonathan. 2024. The Southern Tour: Deng Xiaoping and the Fight for China’s Future. Bloomsbury. https://newbooksnetwork.com/the-southern-tour (zugegriffen: 15. Juli 2024). Zitieren
Deng, Xiaoping. 1994. Selected Works of Deng Xiaoping Vol. III. Beijing: CBT China Book Trading. Zitieren
Deng, Xiaoping. 1992. Selected works of Deng Xiaoping, 1938-1965. Beijing : Foreign Languages Press. http://archive.org/details/selectedworksofd0000deng (zugegriffen: 9. Juli 2024). Zitieren
Feng, Chen. Economic Transition and Political Legitimacy in Post-Mao China. Suny Press. https://sunypress.edu/Books/E/Economic-Transition-and-Political-Legitimacy-in-Post-Mao-China2 (zugegriffen: 9. Juli 2024). Zitieren
Liang, Zhang, Andrew J. Nathan und Perry Link. 2001. Die Tiananmen-Akte. München Berlin: Propyläen. Zitieren
Naughton, Barry. 1993. Deng Xiaoping: The Economist. The China Quarterly 135 (September): 491–514. http://doi.org/10.1017/S0305741000013886, https://www.cambridge.org/core/journals/china-quarterly/article/abs/deng-xiaoping-the-economist/9B34955D03847C9E38261C989AB25318 (zugegriffen: 15. Juli 2024). Zitieren
Schoenhals, Michael. 1991. The 1978 Truth Criterion Controversy. The China Quarterly 126 (Juni): 243–268. http://doi.org/10.1017/S0305741000005191, https://www.cambridge.org/core/journals/china-quarterly/article/abs/1978-truth-criterion-controversy/AE17E4D14C3A51D13B7B202746383654 (zugegriffen: 9. Juli 2024). Zitieren
Zhao, Ziyang. 2010. Prisoner of the State: The Secret Journal of Chinese Premier. Simon & Schuster UK. Zitieren
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