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Autor | Titel | Entstehungsdatum und -ort | Objektbeschreibung | Rechte | Einordnung |
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Urheber*in: Stefanie Elbern, basierend auf: Lin, Bonny. 01.09.2022. „Enabling “Patriots” to Be Masters of the Island: Evolution of Xi’s Policy on Taiwan Since 2013“. China Leadership Monitor, 01.09.2022. | Titel: VR-chinesischen Außenpolitik gegenüber der Republik China (Taiwan) | Entstehungsdatum und -ort: Heidelberg, September 2023 | Objektbeschreibung: Tabelle mit Textauszügen | Rechte: CC-BY-SA 4.0 | Einordnung: Die im Material enthaltenen Zitate wurden zusammengestellt unter Verwendung von drei Dokumenten, die die VR-chinesische Außenpolitik gegenüber Taiwan entscheidend geprägt haben:
Unter den Amtsvorgängern von Xi Jinping 习近平 (1953 - ) wurde die Taiwan-Politik maßgeblich in dem unter Jiang Zemin verabschiedetem Weißbuch aus dem Jahr 2000 und im Anti-Sezessionsgesetz von 2005 ausformuliert. Beide Papiere werden als Reaktion auf taiwanesische „Provokationen“ interpretiert: Im Juli 1999 hatte der damalige Präsident der Republik China (Taiwan), Lee Teng-hui (李登輝 1923-2003, Kuomintang), als Vorgabe für die bilateralen Beziehungen formuliert, die Verhandlungen zwischen den beiden Seiten müssten auf einem „besonderen Staat-zu-Staat-Verhältnis“ (teshu de guo yu guo guanxi 特殊的國與國關係) beruhen. (Chai 2000; „Additional Documents on Relations between the Chinese Mainland and Taiwan: Document 10: President Lee Teng-Hui, Comments on a ‚Special State-to-State Relationship,‘ from Interview by ‚Deutsche Welle‘, 9 July 1999“ 2000; Mattlin 2004, 27). Das Anti-Sezessionsgesetz von 2005 wiederum folgte auf wiederholte Erklärungen der DFP-geführten Regierung von Präsident Chen Shui-bian (陳水扁 1950- ), auf beiden Seiten der Taiwan-Straße gebe es ein Land (Yibian yiguo 一邊一國) (Mattlin 2004, 28). Das Anti-Sezessionsgesetz legte daraufhin rote Linien fest, einschließlich einer Auflistung von Umständen, unter denen das Ergreifen nicht-friedlicher Mittel durch die VR China unumgänglich wäre. Sowohl hinsichtlich des „Wanns“ einer Lösung der Taiwan-Frage als auch im Blick auf die Frage des Einsatzes von nicht friedlichen Mitteln haben in beiden Texten aber hinreichend vage Formulierungen über viele Jahre hinweg strategische Ambiguität ermöglicht. Unter Xi Jinping änderte sich dies in eine weniger flexible Haltung, wie ein Zitat von ihm aus dem Jahr 2016 deutlich macht: „China wird niemals zulassen, dass irgendjemand, irgendeine Organisation oder irgendeine politische Partei zu irgendeiner Zeit in irgendeiner Form irgendeinen Teil unseres Territoriums an sich reißt.“ (Xi 11.11.2016) Bonny Lin, Senior Fellow für Asiatische Sicherheitsfragen am US-amerikanischen Think Tank Center for Strategic and International Studies (CSIS) identifiziert vier zentrale Aspekte dieser neuen politischen Ausrichtung der Taiwan-Politik (Lin 01.09.2022):
Ausweitung der Definition: Was macht taiwanesische Unabhängigkeit aus und wie ist der Status quo? Unter Xi Jinping erscheint ausweislich entsprechender politischer Kommentierungen wesentlich genauer analysiert zu werden, welche Schritte von Seiten Taiwans unternommen werden, die Einfluss auf die Unabhängigkeit haben könnten. Also etwa Veränderungen in Schulbüchern, die in Taiwan veranlasst wurden; erhöhte Waffenverkäufe der USA an Taiwan; erhöhte Zahl der Besuche von Kongressabgeordneten in Taiwan; ein geringeres Interesse insbesondere unter der jüngeren Bevölkerung in Taiwan an einer Vereinigung. Alle diese Aspekte werden in den Blick genommen, wenn es darum geht, ein Streben nach Unabhängigkeit festzustellen (Lin 01.09.2022, 2,3).
Nexus von „nationaler Renaissance“ (bis 2049) und Vereinigung mit Taiwan Die nationale Renaissance (fuxing 复兴), die Xi Jinping bis 2049 erreichen möchte, mit der Wiedervereinigung in einen Zusammenhang zu stellen ist dann ein weiterer neuer Aspekt. Xi Jinping formuliert dies wie folgt: „Aus dem Rückblick in die Vergangenheit können wir Inspiration für die Gegenwart und die Zukunft schöpfen. Unser Land muss wiedervereinigt werden, und es wird sicherlich wiedervereinigt werden. Dies ist eine historische Schlussfolgerung, die sich aus der Entwicklung der Beziehungen zwischen beiden Seiten der Taiwan-Straße in den letzten sieben Jahrzehnten ergibt; sie ist auch entscheidend für die Renaissance der chinesischen Nation in der neuen Ära.“ (Xi 02.01.2019) Das im Sommer 2022 erschienene aktuelle Weißbuch zu Taiwan geht dann noch einen Schritt weiter, indem es erklärt: „Die nationale Wiedervereinigung ist der einzige Weg, um das Risiko einer erneuten Invasion und Besetzung Taiwans durch fremde Länder zu vermeiden, die Versuche externer Kräfte, China einzudämmen, zu vereiteln und die Souveränität, die Sicherheit und die Entwicklungsinteressen unseres Landes zu schützen.“ (The Taiwan Affairs Office of the State Council 10.08.2022, (III.1.)) Gleichzeitig lässt auch diese Formulierung aber in dem Zeitraum bis 2049, dem für die Vervollständigung der Renaissance anvisierten Zeitpunkt, viel Flexibilität. (Lin 01.09.2022, 5,6)
„Ein Land, zwei Systeme“: Kontrolle Taiwans in den Händen Beijings Deng Xiaoping legte 1979 für Hongkong, Macao und für Taiwan unter dem Begriff „Ein Land, zwei Systeme“ (Yiguo liangzhi 一国两制) fest, wie die bilateralen Beziehungen ausgestaltet werden sollen. Für Taiwan war damit anvisiert, das bestehende kapitalistische System und die Lebensweise auf der Insel für einen langen Zeitraum unverändert zu belassen. Unter Xi Jinping verschob sich dann aber die Betonung in diesem Zweiklang: Die Erfahrungen in Hongkong seit den Protestbewegungen von 2019 führten dazu, dass Beijing sich dem Prinzip des „Ein Land, zwei Systeme“ weiter verschrieb, aber unter stärkerer Betonung von 1 Land, „ein China“; Aussagen, die in der VR China aktuell (2023) über HK verlautbart werden lassen für Taiwan wenig Raum für die Hoffnung auf ein echtes „Ein Land, zwei Systeme“-Prinzip. Der im Weißbuch 2022 versprochene hohe Grad an Autonomie wird nur dann gewährt, wenn es zu einer friedlichen Wiedervereinigung kommen wird. Das Weißbuch enthält keine Erwähnung mehr von eigenen Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsbefugnissen für Taiwan; keinen Hinweis darauf, dass Taiwan seine inneren Angelegenheiten selbst regeln kann; keine Zusicherung, dass ein eigenes Militär behalten werden kann und dass chinesisches Militär dort nicht stationiert wird; einzig das „soziale System“ soll erhalten bleiben. Ebenso wie für Hongkong fordern Xi Jinping und beispielsweise der Vizedirektor des Büros für Taiwan-Angelegenheiten des Staatsrats, dass die Regierung Taiwans im Falle einer Wiedervereinigung „mit Patrioten“ zu besetzen sei (The Taiwan Affairs Office of the State Council 10.08.2022; Lin 01.09.2022, 9,10; Liu 08.06.2022).
Eskalation und Verstärkung von Zwangsansätzen (politisch, militärisch und ökonomisch) Seit 2016 sind offizielle Gespräche mit Taiwan durch die Volksrepublik China ausgesetzt worden. Für Staaten, Personen und Organisationen, die zu Taiwans Unabhängigkeit öffentlich positiv Stellung beziehen, haben sich in dieser Zeit die Spielräume verengt. Gegen einzelne Personen (Gan und Chang 25.04.2023), Unternehmen und Staaten (Weaver-Lee 08.02.2023) wurden entsprechend Strafmaßnahmen ergriffen. Einige konkrete Beispiele für diese „Politik von Zuckerbrot und Peitsche“ sind: Selbst unter Corona-Bedingungen wurde Taiwan trotz der anfänglich überzeugenden Erfolge in der Bekämpfung der Pandemie weiterhin von World Health Association/World Health Organisation ausgeschlossen. Wirtschaftlich wuchs der Druck auf internationale und taiwanesische Firmen, die auf dem Festland tätig sind, sich der Sicht der VR China anzuschließen. Es gibt mittlerweile hohe Hürden für taiwanesische Agrarimporte sowie andere Güter, insbesondere dann, wenn sie aus Regionen stammen, die offen pro Demokratische Fortschrittspartei 民主進步黨 sind. Insbesondere nach dem Besuch von Nancy Pelosi, Sprecherin des US-amerikanischen Repräsentantenhauses im Sommer 2022, wurden militärische Aktionen sowie Cyberattacken mit hohem Droh- und Einschüchterungspotenzial gestartet (Hunter u. a. 2023, 58,59; Lin 01.09.2022, 15–17).
Lin schlussfolgert, dass die VR-chinesische Außenpolitik im Blick auf Taiwan im Vergleich zur Herangehensweise von Xi Jinpings Amtsvorgängern aggressiver, weniger flexibel, einseitig festgelegt sowie von Zwangsmaßnahmen geprägt ist (Lin 01.09.2022, 17,18).
(Stefanie Elbern, Dezember 2023.) Weiterführende Literatur Chai, Winberg. 2000. Relations between th Chinese Mainland and Taiwan: PRC White Paper, February 2000. Asian Affairs 27, Nr. 1: 37–38. https://www.jstor.org/stable/30172990 (zugegriffen: 30. November 2023). Zitieren
Gan, Nectar und Wayne Chang. 2023. Taiwan activist formally arrested for suspected „secession“ in China. CNN. 25. April. https://www.cnn.com/2023/04/25/china/taiwan-activist-arrest-secession-charges-china-intl-hnk/index.html (zugegriffen: 30. November 2023). Zitieren
Hunter, Fergus, Daria Impiombato, Yvonne Lau, Adam Triggs, Albert Zhang und Urmika Deb. 2023. Appendix 3: Coercive diplomacy dataset. Countering China’s coercive diplomacy. JSTORhttp://www.jstor.org/stable/resrep47327.14 (zugegriffen: 1. Dezember 2023). Zitieren
Liu, Junchuan. 2022. 刘军川:统一后,拥护祖国统一的台湾同胞将在台湾真正当家做主|统一_新浪财经_新浪网. Sina Finance. 6. August. https://finance.sina.com.cn/wm/2022-06-08/doc-imizmscu5795136.shtml (zugegriffen: 30. November 2023). Zitieren
Mattlin, Mikael. 2004. Same Content, Different Wrapping: Cross-Strait Policy Under DPP Rule. China Perspectives, Nr. 56: 26–33. http://www.jstor.org/stable/24051938 (zugegriffen: 30. November 2023). Zitieren
The State Council, People’s Republic of China. 2000. The One-China Principle and the Taiwan Issue. 21. Februar. (Hu 31.12.2008). Zitieren
The Taiwan Affairs Office of the State Council, The State Council Information Office. 2022. The Taiwan Question and China’s Reunification in the New Era. 8. Oktober. https://english.www.gov.cn/archive/whitepaper/202208/10/content_WS62f34f46c6d02e533532f0ac.html (zugegriffen: 15. November 2022). Zitieren
Weaver-Lee, Zoe. 2023. Combating Beijing’s Multifaceted Economic Coercion Strategy against Taiwan. E. Global Taiwan Institute. 2. August. https://globaltaiwan.org/2023/02/combatting-beijings-multifaceted-economic-coercion-strategy-against-taiwan/ (zugegriffen: 30. November 2023). Zitieren
Xi, Jinping. 2016. Speech at the Conference to Commemorate the 150th Anniversary of the Birth of Dr. Sun Yat-Sen. Gehalten auf: Conference to Commemorate the 150th Anniversary of the Birth of Dr. Sun Yat-Sen, 11. November. https://interpret.csis.org/translations/speech-at-the-conference-to-commemorate-the-150th-anniversary-of-the-birth-of-dr-sun-yat-sen/ (zugegriffen: 30. November 2023). Zitieren
Xi, Jinping. 2019. Speech at the Meeting Marking the 40th Anniversary of the Issuance of the Message to Compatriots in Taiwan. 1. Februar. https://interpret.csis.org/translations/speech-at-the-meeting-marking-the-40th-anniversary-of-the-issuance-of-the-message-to-compatriots-in-taiwan/ (zugegriffen: 30. November 2023). Zitieren
O A. 2000. Additional Documents on Relations between the Chinese Mainland and Taiwan: Document 10: President Lee Teng-hui, Comments on a „Special State-to-State Relationship,“ from Interview by „Deutsche Welle“, 9 July 1999. Asian Affairs 26, Nr. 4: 223–224. https://www.jstor.org/stable/30172495 (zugegriffen: 30. November 2023). Zitieren
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