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Autor | Titel | Datum | Objektbeschreibung | Rechte | Einordnung |
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Urheber*in: Kurzbiographien: Odila Schröder und Meng Desai; Fotos und Originalzitate: siehe Quellenangaben | Titel: Ein Dutzend chinesische Menschenrechtsaktivist*innen im Portrait. | Entstehungsdatum und -ort: Heidelberg, März 2025 | Objektbeschreibung: Galerie und Kurzbiographien chinesischer Menschenrechtsaktivist*innen | Rechte: Kurzbiographien CC-BY-SA 4.0 | Einordnung: Im Folgenden soll vor allem die Auswahl und Repräsentativität der vorgestellten Personen sowie die Geschichte prodemokratischer Proteste in der Volksrepublik China diskutiert werden. Allgemeine Informationen zur Menschenrechtslage in der Volksrepublik China finden Sie z.B. hier: https://www.lpb-bw.de/china-menschenrechte. Die hier vorgestellten Personen sind ausgewählt worden, weil sie in einem Gedicht, das während der Corona-Proteste im November 2022 auf dem Campus der Columbia Universität in New York von einem chinesischen Studenten vorgetragen wurde, vorkommen. Im Gedicht werden politische Fehler von Lokal- und Zentralregierungen in der Volksrepublik China aufgelistet, dabei findet auch eine Identifizierung mit den Opfern der Fehler von Korruption, Missmanagement und Verfolgung statt. Zentral im Gedicht ist eine Liste von Personen, die sich in der Volksrepublik für Menschenrechte eingesetzt haben und die der politischen Verfolgung ausgesetzt sind – Personen, die im Ausland als politische Gefangene bzw. „Dissidenten“ bekannt sind. Auch mit diesen Personen findet über die Anapher „Wir sind [Name]“ eine Identifikation statt. Diese Personen repräsentieren keineswegs das breite Spektrum derer, die in der Volksrepublik China Widerstand gegen Regierungsvorhaben leisten oder gegen Missstände protestieren. Noch weniger repräsentiert die Auswahl all diejenigen, die sich in der Volksrepublik zivilgesellschaftlich engagieren. Vielmehr handelt es sich um eine Auswahl von Personen, die sich durch ihren Einsatz gegen die Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei Chinas bzw. die Intensität der Verfolgung auszeichnet und auch international Bekanntheit und Anerkennung erlangt hat. Neben der Auseinandersetzung mit den Portraitierten bieten diese weiterführenden Informationen für bestimmte Personengruppen daher auch Einblicke über den engen Kreis der Portraitierten hinaus. Die hier präsentierten Personen, allen voran Liu Xiaobo 刘晓波 (1955–2017), Liu Xianbin 刘贤斌 (1968– ), Chen Wei 陈卫 (1969– ) und Peng Zaizhou 彭载舟 (1974– ) haben sich in besonderem Maße für politische Reformen bzw. eine Demokratisierung eingesetzt. Dies ist im Spektrum der trotz Restriktionen omnipräsenten Proteste in der Volksrepublik ungewöhnlich: Die meisten Proteste in der Volksrepublik China sind sozioökonomisch motiviert und zielen nicht direkt auf Demokratisierung ab (Göbel und Ong 2012; Li 2017). Dennoch blickt die Volksrepublik auf eine lange Geschichte prodemokratischer Proteste und der Verfolgung von Demokratie-Aktivist*innen zurück (siehe unten). Häufige Auslöser für Proteste waren und sind Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern, Arbeitgebern und Lokalregierungen. Durch öffentlichen Protest oder Petitionen machen außerdem Enteignete und Opfer von Korruption auf sich aufmerksam. In der hier präsentierten Auswahl sind mit Ausnahme des Arbeiteraktivisten Li Wangyang 李旺阳 (1950–2012) nicht etwa Protestierende selber, sondern mit Cao Shunli 草顺利 (1961–2014), Gao Zhisheng 高智晟 (1964– ), Yu Wensheng 余文生 (1967– ) und Zhang Zhan 张展 (1983– ) vor allem Anwälte vertreten, die sich u.a. für die Rechte von Arbeiter*innen und Enteigneten, aber auch für aufgrund ihres Glaubens oder religiöser Praxis verfolgte Personen eingesetzt haben. Wichtige Arbeiteraktivisten sind Han Dongfang 韩东方 (1963– ) und Li Qiang 李强 (1972– ). Han lebt seit 1993 Hongkong, wo er die Nichtregierungsorganisation China Labour Bulletin (Zhongguo Laogong Tongxun 中国劳工通讯) gründete, das unter anderem Daten und Kartenmaterial zu Streiks in der Volksrepublik bereitstellt. Li Qiang lebt in den USA und gründete 2000 die Organisation China Labor Watch, die ebenfalls über Arbeiterrechte in China berichtet. Vertreter*innen verschiedener Glaubensrichtungen (Muslime, Christen, tibetische Buddhisten) und spiritueller Praktiken wie Falun Gong haben sich vielfach staatlichen Vorgaben entzogen, widersetzt und gegen die Einschränkung von Glaubensfreiheit protestiert. Damit verbunden sind vor allem in Tibet und Xinjiang teils gewaltvolle Proteste gegen die von Han-Chines*innen geführte Regierung bzw. mangelnde Autonomie und Selbstverwaltung der Regionen. In der Auswahl vertreten ist mit Ilham Tohti ein Vertreter der Rechte von Uigur*innen. Bekannte Vertreter christlicher Hauskirchen sind etwa Zhang Rongliang 张荣亮 (1951– ) und Xu Yonghai 徐永海 (1960– ). In den vergangenen Jahren hat auch fehlende Transparenz durch Zensur von Medien bei medizinischen Krisen besonderes zivilgesellschaftliches Engagement bei der Aufdeckung notwendig gemacht. So arbeitete die hier portraitierte Gao Yaojie 高耀潔 (1927–2023) jahrelang gegen mangelnde Aufklärung und staatliche Missinformation über die Verbreitung von HIV/AIDS an. Internationale Bekanntheit erlangte auch der Arzt Li Wenliang 李文亮 (1985–2020), der im Dezember 2019 vor einer neuartigen Lungenerkrankung (Covid-19) warnte und von lokalen Behörden zunächst dafür verwarnt wurde. Über die Covid-19-Pandemie berichtete die hier portraitierte Bürgerjournalistin Zhang Zhan. Nicht repräsentiert sind hier jedoch weitere Whistleblower wie etwa Jiang Yanyong 蒋彦永 (1931–2023), der 2003 vor der Intransparenz über Fallzahlen während der SARS Epidemie warnte, andere Menschenrechts- und AIDS-Aktivist*innen wie Hu Jia 胡佳 (1973– ) oder etwa Zhao Lianhai 赵连海 (1972– ), der sich für Betroffenen des Milchpulverskandals von 2008 einsetzte. Auch Umweltaktivismus macht spätestens seit den 2000er Jahren einen (jedoch relativ geringen) Teil zivilgesellschaftlichen Engagements aus. Dabei richten sich Proteste meist gegen lokale Vorhaben, etwa den Bau von Chemiefabriken oder Müllverbrennungsanlagen. Da der Einsatz für Umweltschutz aber – zu einem gewissen Grad – im Sinne der Parteilinie verstanden werden, kann gibt es in diesem Bereich weniger prominente „Dissident*innen“. Ein prominenter Umweltaktivist ist etwa der Gründer der Gruppe Naturfreunde (Friends of Nature, 自然之友), Liang Congjie 梁从诫 (1932–2010), der für sein Engagement jedoch keiner Verfolgung ausgesetzt war. Radikalere Forderungen, vorgebracht etwa von der Fridays for Future Aktivistin Ou Hongyi 欧泓奕 (2002– ), wurden hingegen behördlich unterbunden. Auffällig ist, dass unter den hier vorgestellten zwölf Personen nur drei Frauen vertreten sind. Dies entspricht nicht den Realitäten zivilgesellschaftlichen Engagements in der Volksrepublik China. Frauen sind als Anwälte, Ärztinnen, Arbeiter*innenführerinnen und Umweltschützerinnen aktiv. Neben den hier Portraitierten, AIDS-Aktivistin Gao Yaojie, Anwältin und Bürgerjournalistin Zhang Zhan und Anwältin Cao Shunli, ließen sich etwa Menschenrechtsanwältin Wang Yu 王宇 (1971– ), die Umweltaktivistin Dai Qing 戴晴 (1941– ), die Radio-Stimme des Autonomen Gewerkschaftsbunds Beijing (Beijing Gongren zizhi lianhehui 北京工人自治联合会) Lü Jinghua 吕京华 (1960– ) und die Vizevorsitzende der Hongkonger Allianz zur Unterstützung patriotischer Demokratiebewegungen (Xianggang Shimin Zhihuan Aiguo Minzhu Yundong Lianhehui 香港市民支援爱国民主运动联合会) Chow Hang-tung (Zou Xingtong 邹幸彤, 1985– ) nennen. Besondere Bekanntheit genießen international die Tian’anmen Mütter (Tian’anmen muqin 天安門母親), eine Gruppe, die sich für Demokratie und das Gedenken an die Opfer des Tian’anmen Massaker einsetzt. Ebenfalls international bekannt sind die Partner*innen von berühmten männlichen Aktivisten als Fürsprecher und Sprachrohr der Inhaftierten. Mittlerweile in Deutschland exiliert ist etwa die Frau des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, Künstlerin Liu Xia 刘霞 (1961– ). Ebenfalls bekannt ist die Partnerin des Anwaltes Xu Zhiyong 许志永 (1973– ), Frauen- und Arbeiter*innenrechtsaktivistin Li Qiaochu 李翘楚 (1991– ). Zum anderen finden Aktivistinnen, die sich explizit für Frauenrechte einsetzen, eine gewisse Aufmerksamkeit, allen voran die für ihre Aktionen inhaftierten sogenannten „Feministischen Fünf“ – Li Tingting 李婷婷 (1989– ), Wu Rongrong 武嵘嵘 (1985– ), Zheng Churan 郑楚然 (1989– ), Wei Tingting 韦婷婷 (1989– ) und Wang Man 王曼 () – und #Metoo-Aktivistinnen wie Liang Xiaowen 梁小门 (1992– ) und Huang Xueqin 黄雪琴 (1988– ). Auffällig ist bei den hier vorgestellten Personen zudem das sehr hohe Bildungsniveau. Ong und Han (2019, 240) zeigen in einer Studie zu Protest in der Volksrepublik einen starken negativen Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Protestwahrscheinlichkeit. Teilnehmende von Demonstrationen – insbesondere Streiks – haben also tendenziell ein niedrigeres Bildungsniveau. Mit Ausnahme des Arbeiter*innenführers Li Wangyang verfügen alle hier vorgestellten Personen jedoch über einen Hochschulabschluss oder waren sogar als Professorinnen tätig. Auch die Verteilung der Studienrichtungen und Tätigkeitsfeldern der hier präsentierten Personen ist auffällig: So handelt es sich vor allem um Schriftsteller (Liu Xiaobo, Liu Xianbin und Chen Wei), Jurist*innen bzw. Anwälte (Cao Shunli, Gao Zhisheng, Yu Wensheng und Zhan Zhan) und Ärzte (Gao Yaojie und Li Wenliang). Tatsächlich handelt es sich bei Schriftsteller*innen und Rechtsanwälten – aber auch Journalist*innen, die kaum repräsentiert sind – um Personen, die sich als Intellektuelle regelmäßig öffentlich zu gesellschaftlichen Entwicklungen und Konflikten äußern und dadurch sowohl dem kritischen Augenmerk der Behörden unterliegen, aber auch international eine gewisse Sichtbarkeit erlangen. Weitere namhafte chinesische Anwälte sind etwa Xu Zhiyong 许志永 (1973– ) und Xia Lin 夏霖 (1969– ). Journalist*innen sind hier nur mit der (nicht-professionellen) Bürgerjournalistin Zhang Zhan vertreten. Reporter ohne Grenzen berichtet jedoch über eine große Zahl in China inhaftierter Journalist*innen – die oben als Vertreterin der MeToo-Bewegung genannte Investigativjournalistin Huang Xueqin etwa verschwand 2021 und wurde 2024 zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die hier vorgestellten Personen mögen außerdem den Eindruck vermitteln, dass jüngere Generationen nicht politisch aktiv seien. Dies entspricht nicht der Realität. Neben den oben bereits gelisteten Aktivist*innen finden sich einige in den 1980ern Geborene. Aber auch die Generation der nach 1990 Geborenen macht aktivistisch auf sich aufmerksam, so etwa der YouTuber und Bürgerjournalist Li Zehua 李泽华 (Kcriss Li, 1995– ) und die vielen jungen Hongkonger Studierenden, die 2019 gegen den Einfluss der Zentralregierung in der Sonderverwaltungszone protestierten, darunter der mittlerweile zu vier Jahren und 8 Monaten Haft verurteilte Joshua Wong (Huang Zhifeng 黃之鋒, 1996– ). Mit Ausnahme der in die USA emigrierten Ärztin Gao Yaojie sind unter den zwölf vorgestellten Personen keine im Ausland lebenden und als „Dissident*innen“ bekannte Chines*innen. Dies mag an dem Gedicht liegen, das der Auswahl zu Grunde liegt und auf die Opfer der Alleinherrschaft der KPCh fokussiert. Neben den zwölf hier vorgestellten Personen werden im Gedicht jedoch auch der taiwanische Aktivist Lee Ming-che (Li Mingzhe 李明哲, 1975– ) und der schwedische Publizist Gui Minhai 桂敏海 (1964– ) genannt. Beide sind zeitweise von chinesischen Behörden inhaftiert worden. Zu international bekannten chinesischen Dissident*innen im Ausland gehören aber auch Personen wie der Künstler Ai Weiwei 艾未未 (1957– ), die ehemalige Dozentin an der Zentralen Parteihochschule (Zhonggong Zhongyang Dangxiao 中共中央党校) Cai Xia 蔡霞 (1952– ), der Karikaturist RebelPepper (Wang Liming 王立铭, 1973– ) oder der blinde Menschenrechtsaktivist Chen Guangcheng 陈光诚 (1971– ). In Deutschland leben zum Beispiel der Schriftsteller Liao Yiwu 廖义武 (1958– ), der Komponist Wang Xilin 王西麟 (1936– ), die Künstlerin Liu Xia und der Journalist Shi Ming 史明 (1957– ). Typisch für sogenannte „Dissident*innen“ ist hingegen deren zeitweise Nähe zu Staat, Militär und Partei. Mit Liu Xiaobo, Gao Yaojie und Ilham Tohti sowie Li Wenliang sind Professoren staatlicher Universitäten sowie ein Angestellter eines staatlichen Krankenhauses vertreten. Auch Anwälte interagieren eng mit staatlichen Behörden und sind Teil des Rechtssystems der Volksrepublik. Mit Anwalt Gao Zhisheng und dem Arzt Li Wenliang sind hier zudem (ehemalige) Mitglieder der Kommunistischen Partei Chinas vertreten. Gao diente außerdem in der chinesischen Volksbefreiungsarmee. Auch andere bekannte Dissident*innen sind für ihren Kontakt bzw. Dienst am chinesischen Staat bekannt. So war etwa der heute für seine scharfe Kritik des Systems bekannte Künstler Ai Weiwei an den Entwürfen für das Nationalstadion in Beijing (Guojia Tiyuchang 国家体育场), das für die Olympischen Sommerspiele 2008 gebaut wurde, beteiligt. Auch der erste von der chinesischen Regierung als chinesischer Nobelpreisträger anerkannte Schriftsteller Mo Yan 莫言 (bürgerlicher Name Guan Moye 管谟业, 1955– ), dessen Werke vielfach zensiert wurden, war Mitglied der Volksbefreiungsarmee und ist seit 2006 einer der Vize-Vorsitzenden des Chinesischen Schriftstellerverbandes (Zhongguo Zuojia Xiehui 中国作家协会). Ebenfalls typisch sind die in den Kurzbiografien dargestellten Abläufe bei Festnahmen, Inhaftierungen und Verurteilung von politisch Andersdenkenden. Diese werden häufig zunächst ohne Haftbefehl festgenommen, verschwinden für Tage bzw. Monate, bevor eine offizielle Anklage erhoben wird. Typische Anklagepunkte sind „Untergraben der Staatsmacht“ (shandong dianfu guojia zhengquan zui 煽动颠覆国家政权罪), „Streit suchen und Ärger provozieren“ (xunxin zishi zui 寻衅滋事罪), „konterrevolutionärer Propaganda und Aufwiegelung“ (fan geming xuanchuan shandong zui 反革命宣传煽动罪) oder „Separatismus“ (fenlie guojia zui 分裂国家罪). Personen, bei denen besonderes internationales Interesse erwartet wird, wird der Prozess oft im Dezember (zwischen Weihnachten und Neujahr) gemacht, so dass Nachrichten über ihre Verurteilung weniger Aufmerksamkeit erregen. Die Verurteilten werden dann meist tatsächlich nach Ablauf der offiziellen Haftzeit entlassen, jedoch oft unter Hausarrest gestellt bzw. wieder verhaftet. Politische Gefangene genießen eine gewisse internationale Anerkennung und Aufmerksamkeit. Dabei werden Informationen über politische Gefangene vor allem von Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International und Reporter ohne Grenzen, aber auch von (teils chinesischsprachigen) Medien im Ausland wie Radio Free Asia oder der Falun Gong nahestehenden Zeitung Epoch Times öffentlich gemacht. Chinesische Menschenrechtsaktivist*innen haben renommierte Preise, wie den Friedensnobelpreis (Liu Xiaobo, 2010), den Martin Ennals Award for Human Rights Defenders (Wu Hongda 吴弘达 (1937–2016), 1994; Ilham Tohti, 2016; Yu Wensheng, 2021), oder den Sacharow Preis (Wei Jingsheng 魏京生 (1950– ), 1996; Hu Jia 胡佳 (1973– ), 2008; Ilham Tohti, 2019) erhalten. Viele der Organisationen, für die sich die hier ausgewählten Personen eingesetzt haben, darunter die Demokratische Partei Chinas (Zhongguo Minzhudang 中国民主党), die Liberaldemokratische Partei Chinas (Zhongguo Zimindang 中国自民党) oder der Unabhängige Chinesische PEN Club (Independent Chinese PEN Center, Duli Zhongwen Bihui 獨立中文筆會), aber auch Opfergruppen wie die Tian’anmen Mütter (Tian’anmen muqin 天安門母親) sind weiterhin im Ausland tätig. Geschichte prodemokratischer Proteste in der Volksrepublik China Die Volksrepublik blickt auf eine lange Reihe pro-demokratischer Proteste und Verfolgung von Demokratiebefürworter*innen zurück: Bereits 1957 wurden mit der Anti-Rechts-Kampagne die erst kurz zuvor zu Kritik an der Regierung ermutigten Intellektuellen verfolgt. Während der Machtübernahme durch Deng Xiaoping 邓小平 (1904-1997) nach der Kulturrevolution und dem Tod Mao Zedongs 毛泽东 (1893-1976) kam es 1978/1979 zu zeitweisen Lockerungen und größerer Meinungsfreiheit. Während der als „Pekinger Frühling“ (Beijing zhi chun 北京之春) bekannten Periode wurden in Beijing an der sogenannten „Mauer der Demokratie“ (Xidan minzhuqiang 西单民主墙) neue Ideen und Vorschläge für politische Reformen präsentiert. Forderungen nach einer Demokratisierung, wie sie etwa Wei Jingsheng formulierte, waren jedoch weiterhin unzulässig. Wei blieb bis 1997 (mit einer kurzen Unterbrechung 1993) in Haft und wurde anschließend in die USA abgeschoben. Die 1980er Jahre waren zwar von einer gewissen Offenheit geprägt, die Macht der Zentralregierung durfte dabei jedoch nicht angetastet werden: Prodemokratische Proteste von Studierenden 1986 führten zu keinen grundlegenden Veränderungen. Landesweite Massenproteste im Jahr 1989 wurden brutal niedergeschlagen. Bis heute sind diese Proteste und deren Niederschlagung ein wichtiger Identifikationspunkt – sowohl für weiterhin aktivistisch tätige Beteiligte, als auch für Opferverbände wie die „Tian’anmen Mütter“ und für Aktivisten jüngerer Generationen in der Volksrepublik China, Hongkong und der chinesischen Diaspora, die in der Niederschlagung der Proteste die Illegitimität der Alleinherrschaft der KPCh kristallisiert sehen. Unter den hier vorgestellten Personen waren drei direkt involviert: Liu Xiaobo, Liu Xianbin und Chen Wei. Auch jüngere Aktivist*innen, wie etwa der Hongkonger Aktivist Joshua Wong (Huang Zhifeng 黃之鋒, 1996– ), beziehen sich bei ihrem Aktivismus auf die Geschehnisse von 1989 und nahmen bis zu deren Verbot immer wieder an Gedenktagen zur Erinnerung an das Tian’anmen-Massaker am 4. Juni teil. Auch führende Vertreter der ab den 2000er Jahren etablierten Weiquan-Bewegung traten nicht nur für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, sondern auch für demokratische Reformen ein. Die ebenfalls von Anwälten getragene und 2010 begründete „Neue Bürgerbewegung“ setzte sich für Demokratie ein. International besonders bekannt sind die Verfasser und Unterzeichner der 2008 erschienenen Charta 08, einem Manifest, das politische Reformen in der Volksrepublik und den Schutz von Menschenrechten fordert. Unzufriedenheit über die weiteren Einschränkungen von Meinungsfreiheit und politischer Repräsentation verschiedener – parteiinterner – Meinungen unter Xi Jinping 习近平 (1953– ) und letztlich die Abschaffung der Amtszeitbeschränkung 2018, einschließlich der Wiederwahl Xis für eine dritte Amtszeit 2022 führten zu heftigem Protest. So veröffentlichte etwa ein Professor für Rechtswissenschaften der Tsinghua-Universität Xu Zhanrun 徐章润 (1962– ) mehrere Essays, in denen er Xi zum Rücktritt auffordert. 2020 kritisierte Xu den Umgang der Regierung mit der Pandemie. Die letzten landesweiten Proteste, die sich zunächst ebenfalls gegen die strikte Null-Covid-Politik der Regierung wendeten, bei denen aber auch direkte Kritik an der Führung der KPCh und Zentralregierung geäußert wurde, fanden im November 2022 statt. Die Protestierenden, die vor allem in Shanghai und in Beijing, aber auch in anderen chinesischen Städten und im Ausland zusammenkamen, hielten dabei leere A4-Papiere wie Protestplakate in die Luft und brachten damit ihre Unzufriedenheit mit der strikten Zensur, aber auch ihre Macht als Volk (nach Mao ist das chinesische Volk ein „unbeschriebenes Blatt Papier“) zum Ausdruck. Schon im Oktober 2022, kurz vor dem 20. Parteitag der KPCh (Zhongguo Gongchandang Di Ershi Ci Quanguo Daibiao Dahui 中国共产党第二十次全国代表大会), bei dem Xi Jinping zum dritten Mal zum Generalsekretär der Partei gewählt wurde, publizierte der portraitierte Peng Zaizhou sein Pamphlet und protestierte gegen die „Ermächtigung“ Xi Jinpings auf der Sitong-Brücke in Beijing (Beijing Sitongqiao 北京四通桥). Eine Übersicht prodemokratischer Proteste in der Sonderverwaltungszone Hongkong finden Sie im Modul zu den Protesten. (Odila Schröder, 10.03.2025) Weiterführende Literatur |