Link zum Material: https://www.china-schul-akademie.de/materialien/m-quellen-fernsehserie
Urheber | Autor | Titel | Datum | Übersetzung | Rechte der Übersetzung | Einordnung |
---|---|---|---|---|---|---|
Regisseur: Xia Jun 夏骏 (1962- ) | Drehbuchautoren: Su Xiaokang 苏晓康 (1949- ) und Wang Luxiang 王鲁湘 (1956- ) | Titel: „Heshang“ 河殇 (Flusselegie) | Entstehungsdatum und -ort: Beijing 1988 | Übersetzung: Olivia Wenzel | Rechte der Übersetzung: CC BY-SA 4.0 | Einordnung: Zur Serie Die Serie „Flusselegie“ sprach die in den 1980er-Jahren in intellektuellen Kreisen und der Gesellschaft der Volksrepublik China kontrovers diskutierten Themen wie Traditions- und Modernisierungsvorstellungen an und übte Kritik an Chinas Politik, Geschichte und Kultur. Die Dissertation der Sinologin Christina Neder bietet den umfänglichsten deutschsprachigen Überblick über die Serie. Neder (1996, 47-48) fasst den Inhalt der Serie wie folgt zusammen: „Die sechs Folgen, die den konzeptionellen Rahmen der Fernsehserie bilden, konzentrieren sich auf sechs ‚Themen‘, die inhaltlich-logisch aufeinander aufbauen und sich jeweils assoziativ am Gelben Fluss orientieren: In der ersten Folge führt die ‚Suche nach dem Traum‘ (xunmeng), nach dem Traum nationaler und kultureller Größe, zur Erkenntnis vom Niedergang der Zivilisation. Die Ursachen des Niedergangs veranschaulicht die zweite Folge ‚Schicksal‘ (mingyun) an der selbstgewählten Isolation Chinas. In der dritten Folge, die sich auf die Situation der Intellektuellen konzentriert, wird nach den Gründen für die fehlende ‚Erleuchtung‘ (lingguang) durch wissenschaftlichen und kreativen Geist in China gefragt. Welche Folgen und Probleme dies für die wirtschaftliche Entwicklung Chinas hat, zeigt die vierte Folge, die Reformen für einen Aufbruch ins ‚Neue Zeitalter‘ (xin jiyuan) propagiert. Die fünfte Folge fordert, den Kreislauf aus ‚Not und Elend‘ (youhuan) durch politische, wirtschaftliche und sozio-kulturelle Reformen zu durchbrechen, was nur erreicht werden kann, - so schließt die sechste Folge – wenn sich China an der ‚Azurblau(en)‘ (weilan se) Zivilisation, der ozeanischen Industriezivilisation des Westens, orientiert. Die jeweiligen Inhalte werden nicht durch einen stringent-geschlossenen Text vorgestellt, sondern mit historischem Material veranschaulicht oder in Gesprächsrunden mit Intellektuellen und in Interviews erläutert.“ Außerdem wechseln sich Dokumentationsaufnahmen des Gelben Flusses, Porträts historischer Persönlichkeiten und Landschaftsaufnahmen in der Serie miteinander ab, während ein Sprechtext aus dem Off die Bildsprache verdeutlicht. Der chinesische Name der Serie setzt sich aus den Zeichen he 河 und shang 殇 zusammen: He bedeutet Fluss und meint hier insbesondere den Gelben Fluss (Huang He 黄河). Dieser nimmt in der chinesischen Mythologie einen besonderen Stellenwert ein, da er als Wiege und Symbol der chinesischen Zivilisation gesehen und mit der Kultur und Entwicklung Chinas assoziiert wird (Yang 2008, 341-344). Die wörtliche Übersetzung für shang ist „jung sterben“, es verweist aber auch auf guoshang 国殇, „die Totenklage eines Staates“, einem der Neun Gesänge (Jiuge 九歌) aus den in den Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung verfassten Elegien von Chu (Chuci 楚辞) (Neder 1996, 47). Mit dieser Assoziation auf ein berühmtes Stück chinesischer Literatur und Geschichte findet automatisch ein Rückbezug auf die chinesische Kultur statt. Dieser Rückbezug im Namen drückt gleichzeitig Kritik aus: So erklärte einer der beiden Drehbuchautoren von „Flusselegie“, Su Xiaokang, dass der Name Heshang den Niedergang bzw. das zu frühe Sterben der gelben (traditionellen chinesischen) Zivilisation suggerieren soll, indem er auf ihren Stillstand und ihren Status quo als „halb tot, halb lebendig“ verweist (Neder 1996, 47–48). Die wörtliche Bedeutung von Heshang ist also eine Klage über den vorzeitigen Tod der Menschen am Fluss (Chen, Chen, und Jin, 1997, 221). In weiterer Interpretation kann Heshang auch als „Der frühe Tod des Gelben Flusses“ übersetzt werden (Roetz 2018, 19). Der Gelbe Fluss stellt in „Flusselegie“ eine Metapher für den Zustand Chinas dar und verbildlicht die nationale Identitätskrise (R. Yang 2008, 342). Er ist ein Symbol für die scheinbar alte, stagnierende Tradition des Landes, die weggeschwemmt werden muss, damit China vorankommen kann. Die Notwendigkeit zur Veränderung und Modernisierung wird durch die Mündung des Gelben Flusses in das in der Serie für die westliche Zivilisation stehende, „azurblaue“ Meer verdeutlicht. China solle sich der westlichen Zivilisation öffnen und einen sozio-kulturellen, politischen und ökonomischen Wandel nach westlichem Vorbild vornehmen, so wie sich der Gelbe Fluss am Ende seines Laufes dem „azurblauen“ Meer öffnet. Die Köpfe hinter „Flusselegie“ Xia Jun 夏骏 (1962- ) ist Redakteur und Regisseur von „Flusselegie“. Geboren und aufgewachsen in einer ländlichen Gegend in der Provinz Jiangsu 江苏 studierte er ab 1979 an der Rundfunk- und Fernsehanstalt in Beijing. Nach seinem Masterabschluss 1986 in moderner chinesischer Literatur an der Zentralen Akademie für Schauspiel in Beijing, die als die beste Institution für Theater-, Film- und Fernsehkunst des Landes gilt, wurde Xia Redakteur und Reporter beim staatlichen Fernsehsender CCTV (Su und Wang 1988, Einband). Viel Bildmaterial von „Flusselegie“ stammt aus einer von CCTV geplanten Dokumentation namens Great Yellow River, bei der Xia Regie führte (Chen, Chen, und Jin, 1997, 218). Su Xiaokang 苏晓康 (1949- ) ist einer der beiden Chefautoren von „Flusselegie“. Er wurde in der Provinz Sichuan 四川 geboren und stammt aus einer Intellektuellenfamilie. Seine Jugend verbrachte er in der Provinz Henan 河南 und besuchte ein Berufskolleg Mitte der 1960er. Während der Kulturrevolution, die er auf dem Land verbrachte, schwand sein Enthusiasmus für diese und für Mao Zedong und er begann, angesichts der furchtbaren Auswirkungen für die chinesische Gesellschaft, Zweifel gegenüber der KPCh zu hegen (Neder 1996, 65–66). Er machte 1982 seinen Masterabschluss an der renommierten Peking Universität. Nach seiner Arbeit als Journalist bei Zeitungen wie der Henan Daily oder der People’s Daily in Beijing lehrte er in der Abteilung für Journalismus an der Rundfunk- und Fernsehanstalt, wo er auf Xia Jun traf (Chen, Chen, und Jin, 1997, 219). Das chinesische Verständnis des Begriffes „Kultur“ durchlief während dem „Kulturfieber“ in den 1980er-Jahren eine Neubestimmung. Gleichzeitig wiederholte sich aber auch die Flut des Antitraditionalismus und der kulturellen Erneuerung, die bereits zuvor in den 1910er- und 1920er-Jahren die chinesische Gesellschaft eingenommen hatte (Jin Wang 1996, 52). Der chinesische Film der 80er-Jahre war vor allem durch die Abkehr von Darstellungen sozialistischer Helden, die typisch für die filmischen Arbeiten der Kulturrevolution waren, geprägt (Neder 1996, 29). Die ersten Absolventen der Beijinger Filmakademie, die ihr Studium durch die Unruhen der Kulturrevolution unterbrechen mussten, versuchten mit ihren Verfilmungen, ihre Erfahrungen als landverschickte Jugendliche während der Kulturrevolution zu verarbeiten, wodurch ein starker Fokus auf das Landleben und die Lebensrealität der Bauern entstand (Neder 1996, 29). „Flusselegie“ lehnte sich semantisch und bildlich an einige Ausschnitte ebensolcher Filme, z.B. „Die gelbe Erde“ (Huang tudi 黄土地, 1984) von Chen Kaige 陈凯歌 (1952- ) oder „Alter Brunnen“ (Lao jing 老井, 1987) von Zhang Yimou 张艺谋 (1950- ) an (Su und Wang 1991, 274). Nach der Ausstrahlung von „Flusselegie“ im Juni 1988 fielen die meisten Zuschauerkommentare sehr positiv aus, und viele Zuschauer wünschten sich eine Wiederholung der Serie. Die Autoren und Produzenten der Serie hatten es geschafft, theoretische Fragen der Intelligenzia mit Themen zu verknüpfen, die die einfache Bevölkerung betrafen; darunter auch heikle politische Fragen wie Inflation, Armut auf dem Land, Korruption in den Behörden und die Krise des chinesischen Bildungswesens (Su und Wang 1991, 63). Diese Popularität in Verbindung mit politischen Fragen machte „Flusselegie“ aber auch zum Gegenstand öffentlicher, politischer Debatten (Chong, 1989, 51): Trotz heftiger Kritik durch Wang Zhen 王震 (1908-1993), den damaligen Vizepräsidenten, wurde die Serie im August des gleichen Jahres noch einmal ausgestrahlt. Dies geschah nicht zuletzt durch die Fürsprache Zhao Ziyangs 赵紫阳 (1919-2005), der zu dieser Zeit Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) war. Nach der Veröffentlichung von “Flusselegie“ fanden zahlreiche Foren und Diskussionen zu den Inhalten der Serie statt und es erschienen viele Interviewberichte, Kolumnen und Essays mit Kritik und Bewertungen aller Art in Zeitungen, Zeitschriften und anderen Publikationen in und außerhalb der Volksrepublik China. Im Folgenden soll eine Auswahl dieser Artikel aufzeigen, wie „Flusselegie“ rezipiert und kritisiert wurde. Ein besonderer Fokus bei diesem Forschungsüberblick zu „Flusselegie“ soll auf deutsch- und englischsprachigen Werken liegen, die einen Überblick zur Debatte liefern, und solchen, die Informationen zum sozio-historischen Hintergrund geben, sowie gängige Übersetzungen vorstellen. Chen, Fangzheng, Fong-ching Chen und Guantao Jin. 1997. From Youthful Manuscripts to River Elegy: the Chinese Popular Cultural Movement and Political Transformation 1979 - 1989. Monographs in contemporary Chinese culture 2. Hong Kong: Chinese Univ. Press. Zitieren
Chong, Woei-Lien. 1989. Su Xiaokang on his Film" River Elegy". China Information 4, Nr. 3: 44–55. Zitieren
Guan, Jieming. 1992. A Masterpiece of Mainland „Graze-Ball“ Reform Literature: A Critique of the Television Series River Elegy. Chinese Sociology & Anthropology 24, Nr. 4: 29–42. http://doi.org/10.2753/CSA0009-4625240429, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.2753/CSA0009-4625240429 (zugegriffen: 28. Januar 2023). Zitieren
Jin, Guantao. 1992. Let Us Come Together with the People to Think (Selections of Remarks Made at a Forum on River Elegy). Chinese Sociology & Anthropology 24, Nr. 4: 16–28. http://doi.org/10.2753/CSA0009-4625240416, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.2753/CSA0009-4625240416 (zugegriffen: 11. Januar 2023). Zitieren
Jin, Ren. 1992. Comrade Zhao Ziyang’s intervention theory and the" new epoch" of River Elegy. Chinese Sociology & Anthropology 24, Nr. 4: 71–79. Zitieren
Kane, Daniel. 1989. Jin Guantao, Liu Qingfeng and Their Historical Systems Evolution Theory: A New Theory of Chinese History. Papers on Far Eastern History, Nr. 39: 45–73. Zitieren
Klose, Carola. 1994. Jin Guantaos und Liu Qingfengs „Neues Decamerone“: Zur Modernisierungsdebatte über Tradition und kulturelle Erneuerung in China. Chinathemen 7. Bochum: Bockmeyer. Zitieren
Literaturverz. S. 177 - 192 Li, Fengxiang 李風祥. 1990. 《河殇》百謬. Beijing: Zhongguo wenlian chubanshe 中國文聯出版社. Zitieren
Li, Junpeng. 2017. The Making of Liberal Intellectuals in Post-Tiananmen China. New York: Columbia University. Zitieren
Li, Yang. 1992. Professor Li Yining Discusses River Elegy. Chinese Sociology & Anthropology 25, Nr. 1: 48–52. http://doi.org/10.2753/CSA0009-4625250148, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.2753/CSA0009-4625250148 (zugegriffen: 28. Januar 2023). Zitieren
Lull, James. 1991. China Turned On: Television, Reform, and Resistance. Routledge Library Editions: Television 10. London ; New York: Taylor & Francis. (zugegriffen: 16. März 2023). Zitieren
Mo, Liren. 1992. A Critique of the Criticism of River Elegy. Chinese Sociology & Anthropology 25, Nr. 1: 72–82. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.2753/CSA0009-4625250172 (zugegriffen: 28. Januar 2023). Zitieren
Neder, Christina. 1996. Flusselegie: Chinas Identitätskrise: die Debatte um die chinesische Fernsehserie Heshang 1988 - 1994. Edition Cathay 20. Dortmund: Projekt-Verlag. Zitieren
Bibliogr. S. 163 - 187. - Teilw. als: Reihe Europäisches Projekt zur Modernisierung in China Peschel, Sabine, Hrsg. 1991. Die gelbe Kultur: der Film Heshang: Traditionskritik in China. Bad Honnef: Horlemann. Zitieren
Roetz, Heiner. 2018. Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Der Aufstieg der Gegenwart im China der Zeit der Streitenden Reiche. Bochumer Jahrbuch zur Ostasienforschung, Nr. 41: 17–67. Zitieren
Su, Xiaokang. 1992. A Discussion on River Elegy. Chinese Sociology & Anthropology 24, Nr. 4: 80–91. http://doi.org/10.2753/CSA0009-4625240480, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.2753/CSA0009-4625240480 (zugegriffen: 28. Januar 2023). Zitieren
Su, Xiaokang, Wang Luxiang und Richard W. Bodman. 1991. Deathsong of the River: a Reader’s Guide to the Chinese TV Series Heshang. Cornell East Asia series 54. Ithaca, N.Y.: Cornell University. Zitieren
Includes bibliographical references Wang, Xiaodong und Tiancao Qiu. 1992. The Shadow in the Passion: A Critique of the Television Series River Elegy. Chinese Sociology & Anthropology 24, Nr. 4: 57–62. http://doi.org/10.2753/CSA0009-4625240457, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.2753/CSA0009-4625240457 (zugegriffen: 28. Januar 2023). Zitieren
Xia, Jun 夏骏. 1992. Afterthoughts on Directing the Television Series River Elegy. Chinese Sociology & Anthropology 24, Nr. 4: 12–15. http://doi.org/10.2753/CSA0009-4625240412, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.2753/CSA0009-4625240412 (zugegriffen: 28. Januar 2023). Zitieren
Xie, Xuanjun. 1992. The Shadow in the Passion" and the Passion of "The Shadow. Chinese Sociology & Anthropology 24, Nr. 4: 63–70. http://doi.org/10.2753/CSA0009-4625240463, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.2753/CSA0009-4625240463 (zugegriffen: 28. Januar 2023). Zitieren
Yang, Xiaokai. 1992. Critiquing the „New Intellectual Current“ Represented by River Elegy: A Criticism of the „Cultural Rethinking“ on the Mainland. Chinese Sociology & Anthropology 25, Nr. 1: 53–71. http://doi.org/10.2753/CSA0009-4625250153, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.2753/CSA0009-4625250153 (zugegriffen: 28. Januar 2023). Zitieren
Zhong Huamin 钟华民. 1989. 重评《河殇》. Hangzhou: Hangzhou Daxue chubanshe 杭州大学出版社. Zitieren
|