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Autor | Titel | Datum | Objektbeschreibung | Rechte | Einordnung |
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Urheber: A Tu 阿塗 (1983-) | Titel: „Ein Bild der aktuellen Lage“ (Shiju tu 時局圖) | Entstehungsdatum: 30.09.2022 | Objektbeschreibung: Karikatur | Bildrechte: Der Künstler hat die Verwendung der Karikatur auf der Plattform der China-Schul-Akademie und im Unterricht am 09.10.2022 erlaubt. | Einordnung: Dieser Einordnungstext erläutert die abgebildeten Figuren sowie den zeitlichen Hintergrund der Darstellung und stellt dar, was über den Urheber der Karikatur bekannt ist (siehe Abschnitt „Autor und Hintergrund“ unten). Die Karikatur „Ein Bild der aktuellen Lage“ (Shiju tu 時局圖) wurde am 30. September 2022 vom Hongkonger Karikaturisten A Tu 阿塗 (1983-) in sozialen Netzwerken geteilt. Die Karikatur adaptiert Titel und Bildsprache einer um 1899 erschienen Karikatur „Ein Bild der aktuellen Lage“ (Shiju tu 時局圖), die zum einen das Vorgehen der ausländischen, kolonialistischen Staaten damals, zum anderen die Tatenlosigkeit und Rückständigkeit der Qing-Regierung angesichts der Bedrohung von außen kritisiert. In seiner Karikatur von 2022 kritisiert A Tu nun die Innen- und Außenpolitik der Volksrepublik China unter Xi Jinping 习近平 (1953-), Staatschef der Volksrepublik China und Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas.
Erläuterung der Karikatur Die Karikatur von 2022 ähnelt in vielen Aspekten ihrem Vorbild, das um 1899 ebenfalls von einem Hongkonger Künstler veröffentlicht wurde. In großen Lettern prangt in beiden Karikaturen oben der Titel der Karikatur: „Ein Bild der aktuellen Lage“ (Shiju tu 時局圖). Neben der Abbildung steht außerdem links und rechts der Satz „ohne Worte begreifbar und auf einen Blick zu verstehen“ (bu yan er yu, yi mu liaoran 不言而喻, 一目了然). In der Karikatur von A Tu aus dem Jahr 2022 wurde unter der chinesischen Überschrift noch ein englischer Titel „Die Situation im Fernen Osten“ (The Situation in the Far East) hinzugefügt. Auch dies ist jedoch eine Anspielung auf die ursprüngliche Karikatur, von der eine schwarz-weiße Vorgängerversion mit diesem englischen Titel am 19. Juli 1899 in der britischen Kolonie Hongkong erschienen war. Im Mittelpunkt beider Karikaturen steht eine Karte Ostasiens mit China im Zentrum. In der Karikatur von 2022 sind die aktuellen Grenzen der Volksrepublik China eingezeichnet und umliegende Länder jeweils anders eingefärbt und mit englischen Bezeichnungen beschriftet. Teilweise wurden Figuren wie der amerikanische Adler, Russland als Bär (in der Karikatur von 2022 als Eisbär) oder Japan als Sonne übernommen und leicht abgewandelt.
Xi Jinping als Winnie the Pooh Im Zentrum der Karikatur von 2022 thront Xi Jinping 习近平 (geb. 1953), Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, Staatspräsident und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission und somit seit 2013 der höchstrangige Politiker in der Volksrepublik China. Xi ist als Bär – in Anlehnung an die Disney-Figur Winnie the Pooh – dargestellt. Dies spielt an auf das Verbot der Figur Winnie the Pooh in der Volksrepublik China 2018, nachdem chinesische Internetnutzer Bilder von Xi Jinping Bildern von Winnie the Pooh gegenübergestellt hatten (Giesen 2018). Die Kleidung die Xi Jinping trägt, ist wiederum eine Anspielung auf die Kleidung der Kaiser der Qing-Dynastie (1644-1911): Gelbgold war als Farbe dem Kaiser vorbehalten. Ein Vergleich mit Porträts des Qianlong-Kaisers (zum Beispiel unter https://commons.wikimedia.org/wiki/File:清_郎世宁绘《清高宗乾隆帝朝服像》.jpg) zeigt diese Ähnlichkeiten von den Schuhen über die Kette bis zur Kopfbedeckung deutlich. Gleichzeitig wird Xi Jinping auf der Karikatur mit Symbolen der kommunistischen Partei Chinas dargestellt: Dem gelben Stern auf seiner Kopfbedeckung, der den gelben Sternen auf der Flagge der Volksrepublik China entspricht; der Sichel als Symbol für den Kommunismus (Hammer und Sichel repräsentieren die Arbeiter*innen und Bäuer*innen als Basis der kommunistischen Partei), die sich auch auf der Flagge der Kommunistischen Partei Chinas findet sowie einem kleinen roten Buch in seiner rechten Hand, das das in der Kulturrevolution unter Mao Zedong 毛泽东 (1893-1976) weit verbreitete Rote Buch (im Ausland bekannt als „Mao-Bibel“, eigentlicher Titel „Worte des Vorsitzenden Mao“ Mao Zhuxi Yulu 毛主席语录) mit Zitaten Maos darstellt. Xi Jinping wurde in ausländischen Medien mehrfach vorgeworfen einen an Mao Zedong erinnernden Personenkult zu entwickeln (Böge 2020). Auf dem blauen Schulterkragen stehen außerdem in gelbgold die Worte „Chinesischer Traum“ (Zhongguo Meng 中国梦), ein politisches Schlagwort, das Xi Jinping zu Beginn seiner ersten Amtszeit in den Jahren 2012 bis 2014 oft verwendete und das er als Renaissance beziehungsweise Wiederaufstieg Chinas auf internationaler Ebene definierte. Das Schild rechts neben Xi Jinping und seine Aufschrift verbindet ebenfalls Geschichte und Gegenwart. Ganz oben sind darauf ein großer goldener Stern (der die Kommunistische Partei Chinas symbolisiert) sowie vier kleinere goldene Sterne (welche die vier Klassen des chinesischen Volkes – Arbeiter, Bauern, Kleinbürger und Bourgeoisie – darstellen sollen) wie auf der Flagge der Volksrepublik China zu sehen. In der chinesischen Geschichte hatten Kaiser viele verschiedene Namen (persönlicher Name, Höflichkeitsbezeichnungen, Regentschaftsnamen, Tempelnamen, Ehrentitel nach dem Tod etc.). Die Tempelnamen bestanden dabei aus drei Schriftzeichen, dem Namen der jeweils regierenden Dynastie (Herrscherhaus), einem frei gewählten Zeichen und dem Schriftzeichen für „Ahne“ zong 宗. Der Tempelname des Qianlong-Kaisers (1736-1795) der Qing-Dynastie beispielsweise lautete Qing Gaozong 清高宗 („Hoher Ahne der Qing“). Die Beschriftung auf dem Schild neben Xi – Qing Lingzong 清零宗 (wörtlich „Null Ahne der Qing“) – klingt dabei wie ein Tempelname eines Kaisers der Qing-Dynastie. Man kann diesen Ausdruck aber auch anders verstehen, denn er umfasst ein Wortspiel: Denn die Schriftzeichen Qing 清 („rein; (be)reinigen“) und Ling 零 („Null“) zusammengenommen bedeuten als Verb beispielsweise eine Krankheit auszumerzen – in Bezug auf Covid meint der Begriff einen Zero-Covid Ansatz. Indem Xi Jinping auf der Karikatur so bezeichnet wird, kritisiert der Karikaturist ebenso das Festhalten von Staat und Partei in der Volksrepublik China an einer rigiden Zero-Covid-Politik.
Dies zeigen ebenfalls die Xi Jinping umringenden Männchen in weißen Schutzanzügen: In der Volksrepublik China übernehmen die aufgrund der weißen Schutzanzüge von Internetnutzer*innen als „weiße Riesen“ (dabai 大白) getauften Personen unter anderem Aufgaben wie die Durchführung von PCR-Tests, Kontrollen oder die Versorgung der Bevölkerung bei Lockdowns (Menzel 2022). In diesen Schutzanzügen stecken teils Freiwillige, teils auch Mitarbeiter*innen von staatlichen Sicherheitsorganen. Die vier „weißen Riesen“ machen vor Xi Jinping einen Kotau – eine zur Zeit des chinesischen Kaiserreichs (beispielsweise in der Qing-Dynastie, auf die die Darstellung Xis anspielt) gebräuchliche Ehrbezeugung gegenüber höhergestellten Personen, bei der die Stirn mehrmals den Boden berührt.
Daneben sind auf dem Territorium Chinas sechs Pandas mit grünen Mützen (diese Mützen erinnern an die Uniform der Volksbefreiungsarmee) zu sehen, die die staatlichen Organe der Volksrepublik China repräsentieren. Der Panda, ein Tier, dessen natürlicher Lebensraum im Südwesten der Volksrepublik China liegt, als Symbol für China entwickelte sich im 20. Jahrhundert (Songster 2018; Liu 2022). Medial bekannt ist die sogenannte Panda-Diplomatie, bei der die Volksrepublik Pandas an Zoos in anderen Staaten verleiht (Flade, Herrmann und Strittmatter 2022). Auf der Karikatur ganz links sieht man einen Panda mit Schlagstock, der auf einen anderen Panda (ohne Mütze, aber mit blauen Flecken durch die Schläge) einschlägt und diesen mit Hilfe eines „weißen Riesens“ wegträgt. Der geschlagene Panda hält außerdem ein Schild mit einem roten Kreuz hoch – womöglich ist dies ein allgemeines Protestsymbol oder aber bezieht sich auch auf die Zensur im chinesischen Internet: Eine chinesische Künstlerin veröffentlichte 2016 das Werk „Problematic GIFs — no problem at all“, das aus einem kleinen roten Kreuz auf weißem Hintergrund besteht, ein Hinweis auf ein Bild, das entfernt wurde (Colville 2022). Diese Szene kann sich also zum einen allgemein auf die Unterdrückung von Protesten in der Volksrepublik China beziehen – wo seit Beginn der Covid-Pandemie Anti-Covid-Maßnahmen genutzt wurden, um Proteste und Kritik zu unterbinden (Dong 2022). Zum anderen kann dies aber auch eine Anspielung auf die Unterdrückung der ethnischen Minderheit in der Autonomen Region Xinjiang im Nordwesten der Volksrepublik China sein – weitere Informationen dazu finden sich im Lernmodul „Chinas Minderheitenpolitik – Infrage gestellte Harmonie“. Xinjiang ist auf der Karte außerdem ausgegraut und mit einem 404-Hinweis („Das Bild konnte nicht gefunden werden“ 找不到图片) – wenn ein Link auf eine Webseite ins Leere führt und die Seite bzw. der Inhalt nicht mehr existiert – versehen.
Unterhalb davon sieht man einen weiteren Panda mit grüner Mütze, der einem in militärische Uniform gekleideten Löwen die Hand schüttelt. Dieser Löwe, der die Fahne Myanmars in der Hand hält und an dessen Schuhen Blut klebt, symbolisiert die Militärjunta in Myanmar, die seit einem Putsch und der Absetzung der demokratisch gewählten Regierung im Frühjahr 2021 gewaltsam gegen Protestierende vorgeht und dabei vonseiten der Volksrepublik China implizit unterstützt wird (Heugas 2021, Lu 2021). Weiter südlich – an der Küste Myanmars – ist außerdem eine grüne Fahne mit den Buchstaben KK zu sehen. Dies ist ein Hinweis auf den „KK Park“ – die geläufige Bezeichnung für den Glücksspiel- und Tourismuskomplex des chinesischen Geschäftsmannes She Zhijiang 佘智江 (1982-). She investierte auch in anderen Ländern Südostasiens wie Thailand und Kambodscha und war außerdem am Menschenhandel beteiligt, bei dem Personen aus China, Taiwan, Malaysia, Vietnam und anderen Ländern unter falschen Versprechungen in südostasiatische Länder gelockt und dann zur Mitarbeit im Onlinebetrug oder zur Prostitution gezwungen wurden. Es gab außerdem Berichte über Folter bei Missverhalten und über Organhandel. She wurde 2022 von der thailändischen Polizei verhaftet (Wong 2022; Tang 2022). Der thailändische Löwe rechts neben der „KK“-Fahne – in Thailand sind diese Löwen am Eingang von Tempeln zu finden und werden Singha สิงห์ genannt – und der Panda in Kambodscha (mit braunem Hut), die gerade einen gefesselten und geknebelten Bären verschleppen, können also eine Anspielung auf den Menschenhandel in Südostasien sein, an dem chinesische Unternehmer*innen beteiligt sind. Alternativ könnte die Entführung des in Hongkong lebenden Buchhändlers mit schwedischem Pass Gui Minhai 桂敏海 (1964-) gemeint sein. Dieser hatte in Hongkong kritische Bücher über die politische Elite der Volksrepublik China veröffentlicht und war 2015 in Thailand entführt und in die Volksrepublik verschleppt worden (Willeke 2022).
Im Südchinesischen Meer ist ein weiterer Panda – mit der Flagge der Volksrepublik China in der Hand – zu sehen, der schwimmend ein Absperrband weiter nach Süden verschiebt. Dies ist eine Anspielung auf das Vorgehen der Volksrepublik China im Südchinesischen Meer, einer wichtigen Seeroute für internationale Handels- und Rohstofftransporte. Die Volksrepublik China hat dort seit mehreren Jahren militärische Stützpunkte auf Inseln errichtet und ausgebaut, die von umliegenden Staaten wie Vietnam (auf der Karikatur dargestellt als Wasserbüffel), Malaysia (dargestellt als Schabrackentapir) und den Philippinen (dargestellt als Philippinenadler) als Teile des eigenen Territoriums betrachtet werden. (Ausführlicher zu den Konflikten im südchinesischen Meer, siehe Paul 2016).
Nördlich davon ist ein weiterer Panda zu sehen, der Macao (kleinere grüne Kugel mit der Flagge der Sonderverwaltungszone Macao) und Hongkong (größere rote Kugel mit der Flagge der Sonderverwaltungszone Hongkong) in einen Käfig sperrt – ein Hinweis auf die Unterdrückung von Protesten in Hongkong durch die Regierung der Volksrepublik China in Beijing. (Weitere Informationen hierzu sind in unserem Modul zur Protestbewegung in Hongkong zu finden.) Gleichzeitig fliegen einige kleine Vögel aus dem Käfig davon – ein Hinweis auf die Auswanderung von Hongkonger Bürger*innen ins Ausland.
In der Nähe findet sich ein weiterer Panda, der mit erhobener Pistole auf Taiwan (repräsentiert durch einen bewaffneten taiwanischen Schwarzbären in militärischer Uniform, der die Flagge der Republik China hochhält) zeigt. Die Republik China auf Taiwan ist eine Demokratie, die jedoch von der Volksrepublik China als Bestandteil des eigenen Territoriums betrachtet wird. (Siehe dazu den Glossareintrag „Taiwan“.) Taiwan wird dabei – wie Japan und die Philippinen – vom US-amerikanischen Adler gestützt. Dies ist ein Hinweis auf die Rolle der USA als Verbündeter Taiwans und die militärische Unterstützung für Taiwan vonseiten der USA – beispielsweise durch den Verkauf von Waffen. Fast wirkt es aber so, als würde der sich im Anflug befindende US-amerikanische Adler, der den Blick fest auf seinen Gegner Xi Jinping gerichtet hat, Taiwan in Richtung Festlandschinas schieben. Taiwan also als kleine Schachfigur im Konflikt zwischen den USA und China? Stimmen aus Taiwan diskutieren diese Frage immer wieder und betonen dabei die Handlungsmacht (agency) von Taiwan selbst (Huang 2022).
Oberhalb von Taiwan findet sich ein weiterer Panda, der einen Sack voll Geld an einen Tiger reicht. (Der Sack ist beschriftet mit dem Währungszeichen ¥ für den Yuan 元, wie die offizielle Währung der Volksrepublik China – der Renminbi 人民币 – umgangssprachlich auch bezeichnet wird.) Der Tiger – auf dessen Brust auf der Karikatur die Flagge der Republik Südkorea prangt – ist in Mythologie und Folklore eng mit Korea verbunden. So war beispielsweise das Maskottchen der Olympischen Spiele 1988 in Seoul ein Tiger. Auf der Karikatur trägt der Tiger außerdem einen Hut – auf Koreanisch gat 갓 genannt, der von Männern in Korea vom 14. bis 19. Jahrhundert getragen wurde. Der Tiger streckt dem Panda die Flagge der Volksrepublik China entgegen, während er mit der linken Hand hinter seinem Rücken die Flagge der USA versteckt hält. Dies spielt auf die schwierige Balance der Beziehungen zwischen Südkorea und den USA sowie Südkorea und der Volksrepublik China an: Für Südkorea ist die Volksrepublik China seit 2003 wichtigster Handelspartner, doch militärisch und wertemäßig ist Südkorea ein Verbündeter der USA (Kretschmer 2022).
Nördlich von Südkorea sieht man einen weiteren Tiger – jedoch in Militäruniform – der Nordkorea repräsentiert. Diese übergibt gerade eine Rakete an einen russischen Soldaten (ein Eisbär), während ihm ein Panda auf die Schulter klopft und ihm somit Unterstützung signalisiert. Dies spielt an auf Berichte aus US-Sicherheitskreisen, laut denen Nordkorea Waffen an Russland für den Konflikt in der Ukraine liefert – diese Berichte wurden von nordkoreanischer Seite dementiert (Serich 2022).
Östlich von Nord- und Südkorea ist Japan abgebildet, das gerade ein Schwert schärft. Die Darstellung von Japan als Sonne erinnert an die seit dem 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung verwendete Eigenbezeichnung Japans 日本 (Nihon, mit den Schriftzeichen für „Sonne“ und „Ursprung“, also „Land der aufgehenden Sonne“) (Coulmas und Stalpers 2011, 13). Sie ist aber auch eine Anspielung auf die Karikatur „Ein Bild der aktuellen Lage“, die um 1899 erschien, in der Japan ebenfalls bereits als Sonne dargestellt ist. Auf dem Fähnchen hinter Japan steht „Selbstverteidigungskräfte“ 自衛隊 – der offizielle Name der japanischen Streitkräfte. Denn laut der japanischen Verfassung von 1946 darf Japan keine Kriege führen und eigentlich auch keine Streitkräfte unterhalten. Dies wurde im Nachkriegsjapan jedoch so interpretiert, dass der Aufbau Streitkräfte zur Selbstverteidigung erlaubt sei. 2015 verabschiedete das japanische Parlament – auch vor dem Hintergrund des militärischen Erstarkens der Volksrepublik China – eine neue Militärdoktrin, die ein Recht zur „kollektiven Selbstverteidigung“ umfasst. Dies bedeutet, dass Japan in Konflikten an der Seite seiner Verbündeten kämpfen kann, auch wenn es nicht direkt selbst angegriffen wird. Diese Entscheidung war und ist in der japanischen Gesellschaft stark umstritten (Hanefeld 2015).
Auf der Karikatur nördlich von China ist Russland als Eisbär mit einer Schirmmütze, wie sie beispielsweise der russische Verteidigungsminister trägt, dargestellt. Der russische Eisbär sitzt in einem Panzer, der einen weiteren Panzer zieht, an den Soldaten gekettet sind. Auf dem ersten Panzer steht der Buchstabe Z, ein von russischen Truppen in der Ukraine 2022 oft verwendetes militärisches Zeichen. Dies ist eine Anspielung auf die sogenannte „Teilmobilisierung“ im September 2022, bei der junge Männer in Russland zum Kriegsdienst eingezogen werden. Davon sind jedoch überproportional Angehörige nicht-russischer Ethnien insbesondere in Sibirien betroffen (Tikhomirova 2022). Der russische Eisbär überreicht Xi Jinping einen Liebesbrief, während er gleichzeitig einen roten Knopf für einen Angriff mit Atomwaffen umschlingt – Anspielungen auf die indirekte Unterstützung Russlands durch die Volksrepublik China (siehe dazu unseren Werkstattbericht „China und der Ukrainekonflikt“) sowie Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen durch Putin.
Rechts unten außerhalb der Karte sind außerdem ein Kiwi mit einem Farnblatt im Mund (Neuseeland), ein Känguru mit Boxhandschuhen (Australien), ein Löwe mit Union Jack (Großbritannien), der mit Papieren wedelt, auf denen „Sanktionen“ (Sanction) steht, sowie ein Bieber mit rotem Ahornblatt auf der Brust (Kanada) abgebildet. Im Hintergrund hängen noch dazu weitere Länderflaggen sowie die Flagge der EU. Neuseeland, Australien, Großbritannien und Kanada als enge Verbündete der USA blicken ebenfalls sehr kritisch auf die Politik der Volksrepublik China, was sich unter anderem am 2021 ins Leben gerufenen Verteidigungsbündnis AUKUS zwischen den USA, Australien und Großbritannien sowie der Geheimdienstzusammenarbeit „Five Eyes“ zwischen den USA, Australien, Großbritannien, Kanada und Neuseeland zeigt. Links unten außerhalb des Kartenbereiches findet sich in Anlehnung an traditionelle chinesische rote Siegel ein Hinweis auf den Künstler A Tu (阿塗) sowie eine Jahreszahl 2022.
Autor und Hintergrund Die Karikatur „Ein Bild der aktuellen Lage“ aus dem Jahr 2022 stammt vom Künstler A Tu 阿塗 (manchmal auch transkribiert als Ah To), mit bürgerlichem Namen eigentlich Ng Kap-chuen 吳甲川, der 1983 in Hongkong geboren wurde. Der Künstlername A Tu verweist auf den Ausdruck tuya 塗鴉 “Gekritzel” oder auch “Graffiti”, dem das Zeichen A 阿 vorangestellt wird, was insbesondere in den „Dialekten“ in Südchina verwendet wird, um wie bei einem Spitznamen Nähe oder eine enge Beziehung deutlich zu machen. A Tu machte einen Abschluss am Hong Kong Christian Service Kwun Tong Vocational Training Centre in Illustration und Design, gestaltete danach unter anderem Werbung und arbeite für Zeitschriften. Seit 2014 fokussierte er sich dann ganz auf das Zeichnen von Karikaturen. Seine Karikaturen nehmen oft kritisch Stellung zu aktuellen Entwicklungen in Politik und Gesellschaft Hongkongs sowie Festlandchinas. Er brachte mehrere Bücher mit seinen Karikaturen heraus. Bekannt wurde er 2014 mit einer Reihe von Zeichnungen, in denen er kantonesische (der in der südchinesischen Provinz Guangdong 广东 und in Hongkong gesprochene „Dialekt“) Sprichwörter illustrierte. Seine Illustrationen erregten so viel Interesse, weil viele Hongkonger Versuche von staatlicher Seite wahrnahmen, dass Kantonesisch in Hongkong zugunsten des Hochchinesischen zurückgedrängt wird (Sin 2014). Er veröffentlichte seine Karikaturen zu aktuellen politischen Themen unter anderem in Zeitung Mingpao, die für ihren prodemokratischen Standpunkt bekannt ist, der auch in den Karikaturen von A Tu deutlich wird (The Limited Times 2022). A Tu veröffentlicht seine Karikaturen mittlerweile auf seinem Instagram-Account (@ah_to_hk), seiner Facebookseite, auf Twitter sowie auf Patreon. Die Karikatur „Ein Bild der aktuellen Lage“ teilte er am 30.09.2022 mit folgenden Wortern auf Instagram: „Vor 120 Jahren beschrieb der Hongkonger Zeichner Xie Zuantai mit seiner Zeichnung „Ein Bild der aktuellen Lage“ die chaotische Lage, durch die der großen Qing-Dynastie der Untergang drohte, um die Bevölkerung vor der Korruption und Unfähigkeit der mandschurischen Qing-Dynastie zu warnen. Das Jahr Jiazi wiederholt sich alle sechzig Jahre [siehe hierzu den Glossareintrag „Sechzig Jahre Zyklus“]. Nun sind [seit der Veröffentlichung der Zeichnung von Xie Zuantai vor 120 Jahren] zwei Jiazi-Jahre vorbei gegangen, Gedeih und Verderb der Weltläufte, Glück oder Unheil sind schwer zu erkennen.“ (120年前,香港畫家謝纘泰以一幅《時局圖》描繪大清瀕臨亡國之亂局,以警國人滿清之腐敗無能。甲子年每60年一次循環,如今事過兩個甲子,世道興衰,福禍難料。) Aus diesem Kommentar von A Tu zu seiner Karikatur wird deutlich, welche Ähnlichkeiten A Tu zwischen sich und Xue Zuantai, dem Zeichner der ursprünglichen Karikatur vor über 120 Jahren, sieht. Beide Künstler arbeiteten und veröffentlichten ihre Karikatur in Hongkong, da die jeweiligen Regierungen in Festlandchina kritische Äußerungen verfolgten und unmöglich machten. Im Falle von Xie Zuantai war dies die Qing-Regierung, die gegen revolutionäre Stimmen, die ein Ende der Dynastie und des Kaiserreiches forderten, vorging und diese einsperrte oder hinrichten ließ (siehe dazu die Weiterführenden Informationen zur Karikatur von Xie Zuantai). Im Falle von A Tu sind es Staat und Partei der Volksrepublik China, wo seit dem Amtsantritt von Xi Jinping 2012 die Internetzensurmechanismen verschärft wurden und kritische Kommentare oder Karikaturen schnell zensiert werden. Auch in Hongkong machte sich dies in den letzten Jahren bemerkbar: Nach großen Protesten in Hongkong im Jahr 2019 griff die Zentralregierung in Beijing in Zusammenarbeit mit der Regierung in Hongkong hart durch. Im Juni 2020 trat das „Gesetz der Volksrepublik China zum Schutz der Nationalen Sicherheit in der Sonderverwaltungszone Hongkong“ (kurz: Nationales Sicherheitsgesetz) in Kraft. Was dabei unter eine Gefährdung der nationalen Sicherheit fällt, ist im Gesetz bewusst vage gehalten, sodass auch Karikaturisten wie A Tu Gefahr laufen, verhaftet und angeklagt zu werden. Das Gesetz erhöht außerdem den Druck auf Zeitungen, die ebenfalls in Haftung genommen werden können. Im Juli 2020 erhielt A Tu die Nachricht, dass seine Karikaturen-Kolumne in der Wochenzeitschrift der Mingpao (明报周刊) eingestellt werden wird. Er begann daraufhin, seine Karikaturen online zu veröffentlichen. A Tu verließ schließlich im April 2022 mit seiner Frau Hongkong (The Limited Times 2022, Lianhe Zaobao 2022).
(China-Schul-Akademie, 21.12.2022; angepasst am 13.03.2023)
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Colville, Alex. 2022. After White Paper Protest, a Heavy Silence Falls in China. Ocula. 12. Dezember. https://ocula.com/magazine/art-news/after-white-paper-protest-a-heavy-silence/ (zugegriffen: 21. Dezember 2022). Zitieren
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Dong, Joy. 2022. A Chinese city may have used a Covid app to block protesters, drawing an outcry. The New York Times, 16. Juni, Abschn. Business. https://www.nytimes.com/2022/06/16/business/china-code-protesters.html (zugegriffen: 21. Dezember 2022). Zitieren
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黃怡. 2022. 台灣地位未定?或將成為大國政治的籌碼?|黃怡/時間的秘密|獨立評論. 獨立評論@天下. 2. Mai. https://opinion.cw.com.tw/blog/profile/195/article/12228 (zugegriffen: 21. Dezember 2022). Zitieren
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