
Mythos Zheng He
Die vom Kaiser befohlenen Fahrten chinesischer Schiffe in den indischen Ozean, zur arabischen Halbinsel und bis an die afrikanische Ostküste unter Leitung von Zheng He 鄭和 (1371–1433) entfalten bis heute eine große Faszination. Sowohl in Ostasien als auch in Europa und Nordamerika sind Mythen über Zheng He und seine Seefahrten weit verbreitet: War er – so die offizielle Deutung in der Volksrepublik China – ein friedlicher Gesandter, der vor allem Handel trieb? Oder war er – wie im deutsch- und englischsprachigen Raum oft die Rede ist – ein Entdecker? Die Quellen in diesem Modul bieten Möglichkeiten zur multiperspektivischen Auseinandersetzung mit Zheng He und dem Mythos, der sich um ihn rankt. Dabei werden chinesischen Quellen aus der Zeit Zheng Hes auch Stimmen aus anderen Ländern gegenüber gestellt. Abschließend bieten Materialien aus der Volksrepublik China, Taiwan und Malaysia einen Einblick, wie unterschiedlich Zheng He im chinesischsprachigen Raum erinnert wird.
Thematische Einführung
Die Fahrten chinesischer Schiffe in den indischen Ozean, zur arabischen Halbinsel und bis an die afrikanische Ostküste unter Leitung des kaiserlichen Gesandten Zheng He 鄭和 (1371–1433 oder 1435) entfalten bis heute im sinophonen bzw. chinesischsprachigen Raum und im Rest der Welt eine große Faszination. Um die verschiedenen Deutungen, für die der Mythos Zheng He herhalten muss, kritisch dekonstruieren zu können, ist grundlegendes Hintergrundwissen zur Person Zheng Hes, seinen Seefahrten, den historischen Quellen und zu seiner Rezeption bis in die Gegenwart hinein notwendig.
Zheng He 鄭和 – Der Mensch
Zheng He wurde 1371 im Südwesten Chinas, in der Provinz Yunnan 云南, in eine muslimische Familie hineingeboren. Sein Ururgroßvater war Ende des 13. Jahrhunderts mit den Mongolen, die China erobert hatten, aus Zentralasien nach China gekommen und wurde zum hohen Beamten in der mongolischen Verwaltung der Provinz Yunnan ernannt. Doch die mongolische Herrschaft in China sollte nur knapp hundert Jahre Bestand haben: Aus mehreren Aufständen gegen die Mongolen ging Zhu Yuanzhang 朱元璋 (1328–1398) siegreich hervor, der Mitte des 14. Jahrhunderts das chinesische Kernland eroberte und 1368 sich zum Kaiser der Ming- Dynastie (Mingchao 明朝) ausrief.
Yunnan, wo der junge Zheng He mit seiner Familie lebte, wurde 1382 von den Truppen der Ming-Dynastie erobert. Beim Kampf gegen die Ming-Soldaten starb Zheng Hes Vater und der elfjährige Zheng He wurde gefangengenommen und kastriert. (Dreyer 2007, 11–12) Die Kastration von Gefangenen war durchaus nicht ungewöhnlich – sie stellte eine Hauptquelle der Eunuchen dar, die in der Ming-Dynastie nicht nur Aufgaben im Kaiserpalast, sondern auch in der Verwaltung des Kaiserreiches übernahmen. (Tsai 1996, 13-15) Auch Zheng He wurde als Eunuch, das heißt als kastrierter Mann, an Zhu Di 朱棣 (1360–1424), den viertältesten Sohn des ersten Ming-Kaisers Zhu Yuanzhang gegeben. Die nächsten knapp zwei Jahrzehnte verbrachte Zheng He im Gefolge von Zhu Di, dem als Prinz von Yan 燕 (die Gegend um das heutige Beijing 北京) von seinem Vater dem Kaiser die Verteidigung der Nordgrenze gegen die Mongolen aufgetragen worden war. Bei diesen Kämpfen tat Zheng He sich hervor und konnte so das Vertrauen von Zhu Di gewinnen. (Dreyer 2007, 18–19)
Nach dem Tod des ersten Ming-Kaisers 1398 wurde entlang der Linie des Erstgeborenen der Sohn des ältesten Sohnes des Kaisers Nachfolger. In der Folge kam es zu einem vierjährigen Bürgerkrieg, in dem Zhu Di den Kaiserthron von seinem Neffen Zhu Yunwen 朱允炆 (1377–1402) mit Gewalt usurpierte. Zheng He spielte auch in diesen Kämpfen eine wichtige Rolle und wurde – nachdem Zhu Di 1402 den Kaiserthron bestiegen hatte – auf einen führenden Posten in der Palastverwaltung befördert. (Dreyer 2007, 20–22)
Die Seefahrten
Bereits 1403, ein Jahr nach seiner Thronbesteigung, befahl der Kaiser Zhu Di den Bau von großen Schiffen. Zu ihrer ersten Fahrt brachen die Schiffe der Ming-Dynastie dann knapp zwei Jahre später 1405 auf. In den Palastaufzeichnungen wird erwähnt, dass Zheng He mit Briefen des Kaisers und Geschenken zu den Herrschern im „westlichen [d.h. indischen] Ozean“ (Xiyang 西洋) geschickt wurde. (Dreyer 2007, 50)
Warum befahl der Kaiser diese staatlichen Seefahrten, die es so in der chinesischen Geschichte zuvor nie gegeben hatte? In der Forschung zu Zheng He gibt es verschiedene Erklärungsansätze: Die ältere Forschung sah in Zheng He einen Entdecker, der Expeditionen unternahm – übersah dabei jedoch, dass Zheng He nur Orte erreichte, die zuvor in China bereits bekannt waren. (Dreyer 2007, 28–29) Gleichzeitig wurde betont, dass Zheng Hes Fahrten wertvolle Luxusgüter (zum Beispiel eine Giraffe) nach China brachten – dass also die Fahrten vor allem wirtschaftliche Gründe hatten. (Dreyer 2007, 34)
Ein möglicher politischer Grund für die Fahrten könnte die Suche nach Zhu Dis Neffen, dem verschwundenen Vorgängerkaiser, der in den Jahren nach Zhu Dis Thronbesteigung angeblich immer wieder in den Grenzregionen gesichtet wurde, sein. (Dreyer 2007, 33) Im Jahr 1403 als Zhu Di erstmals den Bau von Schiffen befahl, waren außerdem die Mongolen unter Timur (Tamerlan) in Zentralasien auf dem Vormarsch – womöglich sollte Zheng He also auch Verbündete für den potenziell bevorstehenden Kampf gegen diese finden. (Dreyer 2007, 60–61)
Mittlerweile ist die Forschung zu Zheng He jedoch der Meinung, dass der Befehl Zhu Dis an Zheng He vor allem das Ansehen des neuen Kaisers stärken sollte: Die Fahrten von Zheng He waren dabei nur ein Bestandteil einer Reihe von Prestigeprojekten – darunter auch noch den Ausbau der Großen Mauer zu ihrem heutigen Aussehen, die Verschiebung der Hauptstadt nach Beijing, eine kriegerische Invasion in Vietnam und die Erstellung der bis zu Wikipedia weltweit umfangreichsten Enzyklopädie (Yongle Dadian 永樂大典) –, welche die Stärke und Legitimation des Usurpators Zhu Dis den Untertanen zeigen sollten. Kein Wunder, dass sich Zhu Di als Kaiser den Regierungstitel „Immerwährende Freude“ (Yongle 永樂) gab. (Tsai 2001) Bei Zheng Hes Unternehmen spielte also weniger der Handel eine Rolle, sondern die Symbolik der Fahrten: Ausländische Herrscher sollten sich formal der Ming-Dynastie und ihrem Kaiser unterordnen und diesen anerkennen – Zhu Di alias Yongle würde so auch im Ming-Reich als rechtmäßiger Kaiser gelten. (Dreyer 2007, 23–26, 61–62) Diese außenpolitische-legitimatorische Bedeutung der Fahrten von Zheng He – der also eben kein Entdecker war – wird beim genauen Blick auf die verschiedenen Fahrten nochmals deutlicher:
Die erste Fahrt (1405–1407) begann im Juli 1405 und führte von Nanjing (in der Nähe des heutigen Shanghais) in die südostchinesische Provinz Fujian. Von dort fuhren die über zweihundert Schiffe mit 27.800 Personen an Bord mithilfe der Monsunwinde an die Küste des heutigen Vietnam, danach nach Java und durch die Malacca-Straße und danach über Ceylon zum wichtigen Handelshäfen Calicut an der indischen Südwestküste. (Dreyer 2007, 49-59; Duyvendak 1939, 357–360; Mills 1970, 10–11) Auf der Rückfahrt fuhren viele Gesandte, der von Zheng He besuchten Orte, mit zurück nach China, um eine Audienz mit dem chinesischen Kaiser zu besuchen und ihm Geschenke (Tribut) zu überreichen. (Dreyer 2007, 59) Auf der Rückfahrt besiegten die Zheng He begleitenden Soldaten einen chinesischen Piraten, der in und um Java mächtig war. (Dreyer 2007, 55–56)
Die zweite Fahrt (1407–1409) umfasste ähnlich viele Schiffe und Personen wie die erste und ihr Ziel war ebenfalls Calicut in Indien. Auch die Strecke bleib weitgehend gleich mit der ersten (bis auf einen zusätzlichen Abstecher nach Thailand und keinen Stopp auf Ceylon). (Dreyer 2007, 62–65; Duyvendak 1939, 361–372; Mills 1970, 11) Während eines Stopps in der Straße von Malacca – wahrscheinlich auf der Rückfahrt – nutzten Zheng Hes Begleiter ihre Ehrfurcht gebietende militärische Stärke und fällten zum Erstaunen der lokalen Bevölkerung viele Adlerholzbäume – eines der in Asien am beliebtesten und wertvollsten Räucherhölzer. (Fei/Ptak 1996, 56) Wichtiger als diese kleineren wirtschaftlichen oder militärischen Vorhaben, war aber die „diplomatische Mission“ Zheng Hes: Lokale Herrscher wie der von Calicut sollten die Größe und Herrschaft des Ming-Kaisers anerkennen. (Dreyer 2007, 64–65)
Auch die dritte Fahrt (1409–1411) orientierte sich in Anzahl der Schiffe und Personen sowie der Strecke (Ziel: Calicut) an der ersten Fahrt. Bedeutendes Ereignis sind die kriegerischen Auseinandersetzungen auf Ceylon, wo Zheng He mit großem Aufwand den dortigen Herrscher gefangen nahm und mit zurück nach China brachte (die genaueren Hintergründe werden in den weiterführenden Informationen zu M3.3 und M3.4 erläutert). (Dreyer 2007, 65–73; Duyvendak 1939, 372–373; Mills 1970, 11–12).
Die vierte Fahrt (1413–1415) – die offiziellen Quellen sprechen von 28.560 Personen – nahm die altbekannte Strecke nach Calicut. Von dort wurde (über die Inselgruppe der Lakkadiven) die Handelsstadt Hormuz am persischen Golf angesteuert. (Dreyer 2007, 75–81; Duyvendak 1939, 373–378; Mills 1970, 12–13) Auf dem Rückweg nehmen die Truppen unter Zheng He auf Sumatra einen Rebellen gegen den lokalen König, der zuvor die Herrschaft der Ming anerkannt hatte, gefangen. Solche kriegerischen Auseinandersetzungen waren wohl eher nicht Ziel der Fahrten – meistens wirkte die riesige chinesische Armada mit ihren vielen Fußsoldaten wohl eindrucksvoll genug, um von kriegerischen Auseinandersetzungen abzuschrecken. (Dreyer 2007, 75)
Offizielles Ziel der fünften Fahrt (1417–1419) war es, die ausländischen Gesandten, die mit Zheng He zu einer Audienz beim chinesischen Kaiser gekommen waren, zurück zu ihren Heimatorten zu bringen. Daher wurden fast alle Orte der vorherigen Fahrten angesteuert. Nach Hormuz fuhren die Schiffe erstmals weiter zur arabischen Halbinsel (heutiger Jemen) sowie an die afrikanische Ostküste (unter anderem nach Mogadischu, Somalia, und südlich bis nach Malindi in Kenia). (Dreyer 2007, 82–91; Duyvendak 1939, 378–385; Mills 1970, 13)
Auch die sechste Fahrt (1421–1422) brachte wieder ausländische Gesandte zurück in ihre Heimatorte. Zheng He selbst gelangte auf dieser Reise wahrscheinlich nicht einmal den indischen Ozean. Stattdessen ließ er mehrere Schiffe zu kleineren Verbänden zusammenschließen, die dann unterschiedliche Orte (Aden, Hormuz und die afrikanische Ostküste) ansteuerten. (Dreyer 2007, 91–95; Duyvendak 1939, 385; Mills 1970, 14) Bereits im Mai 1421 hatte der Kaiser Zhu Di eine Pause der Fahrten befohlen: Durch die Verschiebung der Hauptstadt in den Norden in die Nähe der Steppenregionen wurde die Sicherung der Nordgrenze gegen die Mongolen noch wichtiger: Eine Reihe von erfolglosen Kampagnen gegen die Mongolen (und der Bau der neuen Hauptstadt) erforderten mehr und mehr Geld – die teuren Fahrten Zheng Hes boten da eine Möglichkeit des Einsparens. (Dreyer 2007, 76, 91–95, 121–122) Womöglich fuhr Zheng He 1424 mit einer deutlich kleineren Anzahl an Schiffen nach Sumatra – da die Forschung uneins ist, ob diese Fahrt stattfand, wird sie jedoch nicht zu den sieben Fahrten Zheng Hes gezählt. (Dreyer 2007, 95–97)
Der Kaiser Zhu Di starb im August 1424, sein Nachfolger ebenfalls innerhalb der nächsten neun Monate. 1430 gab der Kaiser Zhu Zhanji (朱瞻基, 1399–1435), Enkel von Zhu Di, den Befehl nochmals zu den fremden Ländern aufzubrechen (einer der stärksten Kritiker der Fahrten, der langjährige Finanzminister, war wenige Monate zuvor verstorben). (Dreyer 2007, 143–144) Im hohen Alter von sechzig Jahren brach Zheng He zu seiner siebten und letzten Fahrt (1431–1433) auf – über deren Verlauf wir am besten informiert sind. Sie führte entlang der früheren Strecken bis nach Hormuz, wobei kleinere Teile der Schiffe ohne Zheng He nach Mekka, die afrikanische Ostküste, das heutige Kalkutta und Thailand fuhren. (Dreyer 2007, 150–163; Mills 1970; 14-19) Zheng Hes Tod bald darauf (wahrscheinlich im Jahr 1433), der Tod des Kaisers zwei Jahre später und die steigende Gefahr von mongolischen Angriffen aus dem Norden beendeten das staatliche Interesse an maritimen Aktivitäten. (Dreyer 2007, 165)
Das Ende der Seefahrten wurde oft auf kulturelle Faktoren – beispielsweise einen angeblichen traditionellen Fokus nach Innen – des chinesischen Kaiserreichs zurückgeführt. So ist ein journalistischer Online-Artikel von 2017 beispielsweise betitelt mit: „Vor 500 Jahren zerstörte China seine Marine, weil die Herrscher des Landes Angst vor Freihandel hatten“ (Edwards 2017). Tatsächlich gab es am Kaiserhof Verwaltungsbeamten, die sich gegen die Fahrten wandten – ihre genauen Motive können heutzutage jedoch nur schwer festgestellt werden: Glaubten sie tatsächlich daran, dass das Ausland China nichts zu bieten hatte? Oder waren die staatlichen maritimen Aktivitäten nur ein Schauplatz, um die Macht von Eunuchen und Militär, mit denen die Verwaltungsbeamten um Einfluss auf den Kaiser konkurrierten, zu beschneiden? (Dreyer 2007, 167f)
Aus dem Ende der Seefahrten und damit auch dem Ende der staatlichen maritimen Aktivitäten der Ming-Dynastie wurde in der früheren Forschung oft abgeleitet, dass China sich nach Zheng He „vom Ozean abgewendet“ und sich „abgeschottet“ habe. Die neuere Forschung sieht dies jedoch differenzierter: Denn auch nach Zheng He gab es chinesische Schifffahrer, die in Ostasien und Südostasien Handel betrieben – jedoch in der offiziellen staatlichen Geschichtsschreibung kaum eine Rolle spielten und über die wir daher nur wenig wissen. (Zurndorfer 2016, 70f; Brook 2010, 221–227) Zweihundert Jahre nach Zheng He – im letzten Jahrhundert der Ming-Dynastie – waren es gerade auch diese chinesischen Händler, die im Zusammenspiel mit europäischen Händlern China in globale Handelsabläufe einbanden: Beispielsweise floss Silber aus Amerika nach China und Porzellan von dort nach Europa. (Brook 2010, 213–237)
Literaturempfehlungen
Verwendete Literatur
Forschungsperspektiven
Zheng Hes Fahrten faszinieren bis heute in China und überall auf der Welt. Historiker*innen und an Geschichte Interessierte haben – insbesondere seit dem späten 19. Jahrhundert – eine Vielzahl an Literatur zu Zheng He produziert: Eine englischsprachige Bibliographie der chinesischen und europäischen wissenschaftlichen Forschungsbeiträge zu Zheng He aus dem Jahr 2014 umfasst bereits knapp 200 Seiten. (Liu/Chen/Blue 2014) Manche der Werke zu Zheng He sind allerdings mit Vorsicht zu genießen: So wurden die Bücher von Gavin Menzies, der behauptete Zheng He habe Amerika entdeckt und sei außerdem nach Italien gefahren und habe dort die Renaissance ausgelöst, von Historiker*innen als völlig unzutreffend disqualifiziert. (Finlay 2004; Prazniak 2010)
Und auch in der chinesischsprachigen Welt und der dortigen Geschichtskultur und der (Außen-)Politik spielt Zheng He heute noch eine wichtige Rolle (vgl. die Materialien in L4 und die weiterführenden Informationen dort). Da nicht alle Interpretationen oder Bewertungen Zheng Hes – in der Volksrepublik China und im Ausland – dabei von den Quellen gedeckt sind, wird im Folgenden ein Überblick über die wichtigsten Quellen, die zu Zheng He existieren, gegeben.
Anzahl und Umfang der Quellen, die uns Aufschluss über Zheng He und seine Fahrten geben können, sind relativ beschränkt. Es existieren beispielsweise keine autobiographischen Quellen im engeren Sinne. Auskunft können mehrere Steinstelen geben, die von Zheng He und seinen Mitfahrern aufgestellt wurden. (Wan 2005, 38–42) Drei dieser Steleninschriften haben in der Forschung besondere Beachtung gefunden: Erstens eine dreisprachige Stele, die in Galle auf Sri Lanka vermutlich im Jahr 1411 aufgestellt wurde und in der Buddha (auf Chinesisch), einer lokalen Gottheit (auf Tamil) und Allah (auf Persisch) für die Unterstützung der Fahrten Zheng Hes gedankt wird. (Wan 2005, 41; Dreyer 2007, 71–72; Perera 1913) Auch zwei in China aufgestellte Steininschriften hatten das Ziel eine Gottheit – die chinesische Meeresgöttin Mazu 媽祖– den Fahrten Zheng Hes gegenüber gütig zu stimmen. (Wan 2005, 40; Dreyer 2007, 145–150, 191–199; Duyvendak 1939, 341–355) Darüber hinaus beschreiben die Inschriften die verschiedenen Fahrten knapp und ermöglichen so eine genauere Datierung. Obwohl die Inschriften nicht als Ego-Dokumente von Zheng He gelesen werden können, zeigen sie dennoch deutlich das Sendungsbewusstsein (beziehungsweise den kaiserlichen Auftrag) mit dem Zheng He und seine Mitfahrer im Ausland auftraten.
Eine zweite wichtige Gruppe von Quellen sind die Werke, die drei Mitfahrer von Zheng He verfasst haben und die teilweise auch in englischer Übersetzung vorliegen: Ma Huans 馬歡 „Gesamtüberblick über die Meeresküsten“ (Yingya shenglan 瀛涯勝覽) (Mills 1970), Fei Xins 費信 „Gesamtüberblick des Sternenfloßes“ (Xingcha shenglan 星槎勝覽) (Mills/Ptak 1996) sowie Gong Zhens 鞏珍 „Aufzeichnungen zu den ausländischen Staaten im westlichen Ozean“ (Xiyang fanguo zhi 西洋番國誌). Diese Texte listen die im Rahmen von Zheng Hes Fahrten besuchten Orte auf und beschreiben die dortigen Gegebenheiten anhand von eigenen Beobachtungen und bereits zuvor bekanntem Wissen. (Ptak/Salmon 2005, 15) Auch in diesen Werken scheint immer wieder das Sendungsbewusstsein von Zheng He und seinen Mitfahrern durch. Nur sehr selten – wie beispielsweise im Fall von Aden (M3.1) und Ceylon (M3.3) – kennen wir ausländische Quellen, die uns einen anderen, nicht-chinesischen Blick auf Aktivitäten des Zheng He ermöglichen.
Wichtige Informationen sind außerdem in den sogenannten „Wahren Aufzeichnungen“ (shilu 實錄) – den offizielle Palastaufzeichnungen, in denen nach dem Tod eines Kaisers Beamte in der Hauptstadt wichtige Ereignisse und Erlasse des verstorbenen Kaisers chronologisch aufgezeichnet wurden – zu finden. Diese – entsprechend von den herausgebenden Beamten verkürzten und verzerrten – offiziellen Quellen sind neben den Stelen und Aufzeichnungen der Mitfahrenden die wichtigsten Quellen zu Zheng He. Denn noch in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden alle weiteren Unterlagen und Akten der Fahrten des Zheng He in den kaiserlichen Archiven vernichtet – vermutlich im Rahmen eines Machtkampfes zwischen Eunuchen und Beamten am Kaiserhof. (Dreyer 2007, 172–175)
Wissen und Erzählungen über Zheng He und seine Aktivitäten wurden aber dennoch in der Gesellschaft weitergetragen. In der späten Ming-Zeit – ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – begann das Interesse an Zheng He in China wieder anzusteigen. In einem umfangreichen militärischen Werk, veröffentlicht im Jahr 1621, findet sich eine Karte, die die von Zheng He besuchten Orte zeigt und die im Original vermutlich aus der Zeit von Zheng He stammt. (Wan 2005, 34–35; Ptak 2019) Diese Karte ist in einer interaktiven Version (bei der versucht wurde, die chinesischen Ortsnamen mit gegenwärtigen Orten zu verbinden) online zu finden unter: http://zhenghe.rslc.us
Bereits zwei Jahrzehnte zuvor – im Jahr 1597 – war der reich bebilderte Roman „Die Reise des Eunuchen Sanbao [Zheng He] in den westlichen Ozean“ (Sanbao taijian xiyang ji 三寶太監西洋記) veröffentlicht worden. Dem realen Hintergrund der Fahrt Zheng Hes (teilweise gestützt auf Informationen aus den Werken von Mitfahrern Zheng Hes) mischt der Autor Luo Maodeng 羅懋登 Begegnungen mit übernatürlichen Mächten bei. (Ptak 1986; Ptak/Salmon 2005, 17–19; Witt 2015)
Mit zunehmender zeitlicher Entfernung zu den Lebzeiten Zheng Hes nimmt die Aussagekraft der Quellen jedoch ab – ein Beispiel dafür ist die Frage nach der Größe der Schiffe. Der Roman von Luo Maodeng beispielsweise enthält eine Auflistung von sieben Schiffstypen (darunter unter anderem Schiffe für Pferde, Schiffe für Soldaten und Schiffe für den Transport von Trinkwasser) mit genauen Maßangaben. Auch in der im 18. Jahrhundert veröffentlichten „Geschichte der Ming“ (Mingshi 明史) tauchen ähnliche Angaben zur Größe der Schiffe auf – die größten Schiffe sollen beinahe 140 Meter lang und über 50 Meter breit gewesen sein.
In der Forschung ist diese Schlussfolgerung aufgrund der schwierigen Quellenlage jedoch umstritten: Während manche in den Schiffen Zheng Hes mit einer Länge von über 100 Metern weiterhin die größten Holzschiffe sehen, die jemals gebaut wurden (Dreyer 2007, 102–112), betonen andere die physikalischen Schwierigkeiten eines so großen Schiffes (Church 2005a; Church 2005b; Wake 2004). Archäologische Ausgrabungen zu Beginn der 2000er-Jahre in der Werft in Nanjing, wo die Schiffe Zheng Hes vermutlich gebaut wurden, legen eher nahe, dass die größten Schiffe eine Länge von bis zu 75 Metern hatten. (Church 2011) Die Quellenlage ist viel zu schlecht, um abschließend Vergleiche zwischen der Größe der Schiffe Zheng Hes und beispielsweise der Santa Maria von Kolumbus tätigen zu können. Doch egal, wie groß die größten chinesischen Schiffe unter Zheng He auch waren, zusammen mit weiteren kleineren Schiffen bot die Ansammlung von über 200 chinesischen Schiffen sicherlich einen eindrucksvollen und einschüchternden Anblick.
Verwendete Literatur
Lernziele/Kompetenzen
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Inhaltliche Kompetenzen | Erkennen | ...Zheng Hes Fahrten und ihre Zielsetzungen beschreiben und wichtige besuchte Orte nennen. | Informationsbeschaffung und -verarbeitung | ||
...verschiedene historische Sichtweisen und Bewertungen Zheng Hes aus China und anderen Staaten darstellen. | Erkennen von Vielfalt | ||||
…unterschiedliche gegenwärtige geschichtskulturelle Deutungen über Zheng He als Ausdruck kollektiver Identitäten beschreiben und analysieren. | Erkennen von Vielfalt | ||||
Bewerten | ...unterschiedliche geschichtskulturelle Narrative über Zheng He vergleichen und dekonstruieren. | Perspektivenwechsel und Empathie | |||
Methodische Kompetenzen | Erkennen | …einen Mythos erkennen und seine Relevanz oder politische Bedeutung erläutern. | Informationsbeschaffung und -verarbeitung | ||
…sich mit der Begrenztheit des eigenen Standpunkts auseinander setzen und diesen durch Perspektivenwechsel erweitern. | Perspektivenwechsel und Empathie | ||||
Bewerten | …die Triftigkeit bzw. Plausibilität eines Mythos überprüfen. | Kritische Reflexion und Stellungnahme | |||
…die Veränderung von Mythen darstellen und analysieren können. | Kritische Reflexion und Stellungnahme | ||||
Handeln | …die Rolle von Mythen für das geschichtliche Selbstverständnis von Gruppen einschätzen und zur Überwindung von Verständnisbarrieren nutzen. | Verständigung und Konfliktlösung | |||
Soziale und personale Kompetenzen | …eigene Vorstellungen und Arbeitsweisen und kritisch überprüfen (Selbstreflexion). | ||||
…mit unterschiedlichen Sichtweisen und Bewertungen empathisch und konstruktiv-kritisch umgehen. | |||||
…Werthaltungen kritisch reflektieren und begründet aufbauen. | |||||
…in Kleingruppen kooperativ zusammenarbeiten und andere durch gutes Argumentieren überzeugen. |
Didaktisch-methodischer Kommentar
In der Alltagssprache wird mit der Bezeichnung „Mythos“ eine unwahre Geschichte gemeint, die allerdings von vielen für wahr gehalten wird. (Bernhard u.a. 2019, 12; Waechter 2010) Im Mittelpunkt solcher historischen Erzählungen können in der Vergangenheit liegende Ereignisse, Personen, Personengruppen, Räume oder Zeitabschnitte stehen. (Hinz 2017, 158) Geschichtswissenschaftler*innen haben versucht die Definitionen von Mythos aus verschiedenen wissenschaftlichen Fächern zu ordnen und versucht eine allgemeingültige Definition zu erarbeiten. Allen Mythen gemeinsam ist laut dieser geschichtswissenschaftlichen Definition, dass sie auf Emotionen statt auf Empirie setzen: Sie werden von vielen für wahr und richtig gehalten, obwohl der jeweilige Mythos als geschichtliche Erzählung – zum Beispiel aus wissenschaftlicher Sicht – (in Teilen) unzutreffend sein mag. Mythen haben also eine politisch-soziale Funktion: Sie wirken identitätsbildend, geben den Mitgliedern einer Gruppe Orientierung und stützen so die Legitimität des jeweils herrschenden Systems. (Waechter 2010; Hinz 2017; Bernhard u.a. 2019, 12-15) Mythen sind daher als zentraler Bestandteil der Geschichts- bzw. Erinnerungskultur einer Gesellschaft immer auch durch die Bedürfnisse der Gegenwart geprägt. Geschichtsdidaktiker*innen haben mehrere Lernziele in der Beschäftigung mit Mythen im Geschichtsunterricht vorgeschlagen (Bernhard u.a. 2019, 29; Hinz 2017, 164):- Einen Mythos erkennen und seine Triftigkeit bzw. Plausibilität überprüfen können: Die Triftigkeit einer Erzählung kann dabei anhand der Kriterien der empirischen Triftigkeit (Widersprechen Quellen oder wissenschaftliche Literatur der Erzählung?), der narrativen Triftigkeit (Ist die Argumentation innerhalb der Erzählung logisch bzw. überzeugend?) und der normativen Triftigkeit (Sind die der Erzählung zugrundeliegenden Wertvorstellungen konsensfähig?) überprüft werden.
- Damit einhergehend: Den Fiktionsgrad eines Mythos untersuchen können.
- Erläutern können, inwiefern und warum der Mythos für eine bestimmte Gruppe heute relevant ist und inwieweit er politisch-soziale Funktionen erfüllt.
- Analysieren und darstellen können, wie politische Mythen entstehen, sich verändern und untergehen.
Verwendete Literatur
Ablauf
Unterrichtsverlauf 90 min. Leitfrage: Mythos Zheng He – Entdecker oder friedlicher Botschafter?Jonas Schmid
Inhalt
Autor*in
Jonas Schmid
10 Lernmodule
