M1.3: Lernvideo: Zensur in der Volksrepublik China
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https://www.china-schul-akademie.de/wp-content/uploads/2024/07/M1_3_202404_Zensur_Video.mp4Wer zensiert was?
Die Kommunistische Partei Chinas (Zhongguo Gongchandang 中国共产党, KPCh) hat seit der Gründung der Volksrepublik China (VR China) 1949 die Macht im Land. Es handelt sich bei der VR China also um einen autokratischen Parteistaat unter der Führung dieser Kommunistischen Partei. Seit 2012 ist Xi Jinping 习近平 (1953- ) Generalsekretär der Kommunistischen Partei. Zum Erhalt ihrer Alleinherrschaft ist die KPCh auf die Einschränkung der freien Meinungsäußerung angewiesen. Besonders im öffentlichen Raum sind Aussagen zu bestimmten Themen nicht zulässig. Daher hat die KPCh ein engmaschiges System der Zensur eingerichtet.
Dieses System wird durch die Propagandaabteilung der KPCh (Xuanchuanbu 宣传部) in Kooperation mit staatlichen Behörden beaufsichtigt. Für das Internet zuständig ist die Cyberspace Administration of China (Zhongguo Hulianwang Xinxi Bangongshi 国家互联网信息办公室). Die Zensur betrifft alle herkömmlichen und digitalen Medien in der VR China: Verlage für Bücher, Tageszeitungen und Zeitschriften, Radio, Film und Fernsehen genauso wie Blogs, Computerspiele, Social Media Kanäle und Kurznachrichtendienste.
Umgesetzt wird die Zensur aber gerade im Internet nicht immer direkt von staatlichen Behörden, sondern von den Internetplattformen selber. Apps wie WeChat (Weixin 微信) oder Douyin 抖音 orientieren sich bei der Content-Moderation an den Vorgaben der chinesischen Behörden und löschen kritische Beiträge in vorauseilendem Gehorsam. Deswegen können traditionelle Medien oftmals mehr Kritik üben als Onlinemedien, denn online gehen die Zensoren aufgrund von Geschwindigkeit und Masse der Daten strenger vor. Gleichzeitig können z.B. Bilder oder Musik oft länger zirkulieren, da sie schwieriger zu filtern sind als Text und die Zensoren aufgrund der großen Masse nicht unmittelbar reagieren können.
Die öffentliche Diskussion auch politischer Themen ist grundsätzlich zulässig, jedoch gibt es gewisse „sensible“ Themen, die einer strengen Zensur unterworfen sind. Dazu zählen:
- direkte Kritik an der Zentralregierung,
- Rufe nach politischer Unabhängigkeit von Taiwan, Xinjiang, oder Tibet,
- als „pornographisch“ verstandene Inhalte,
- Aufrufe zu öffentlichem Protest und
- die Erinnerung an historischen Begebenheiten, die die Legitimität der KPCh infrage stellen könnten – wie Bilder von der gewaltsamen Niederschlagung landesweiter pro-demokratischer Proteste am 4. Juni 1989.
Außerdem gibt es eine große Anzahl an Themen, die ebenfalls als „sensibel“ gelten, wenn sie nicht entsprechend der Parteilinie dargestellt werden: Dazu zählen Themen wie die Minderheitenpolitik der Volksrepublik, Religionsausübung, nicht-heteronormative Lebensweisen, Gewalt, u.s.w.
Dabei werden nicht alle Aussagen pauschal gelöscht oder Aktivisten direkt mundtot gemacht. Hauptziel der Behörden ist es, öffentlichen Protest und die Mobilisierung der breiten Bevölkerung durch nichtstaatliche Akteure zu verhindern.
Doch übermäßige Zensur kann zu finanziellen Verlusten führen (wenn z.B. ein teuer produzierter Film nicht gezeigt werden darf) – und auch die Zensur selbst kann zum Auslöser gesellschaftlicher Unzufriedenheit werden. Daher verschieben sich die Grenzen des Sagbaren ständig. So ist es für Internetnutzer*innen kaum möglich die staatliche Reaktion auf öffentliche Kritik abzuschätzen. Das führt zu Selbstzensur.
Wie wird zensiert?
Technologisch ist das System der Internetzensur – auch bekannt als „Projekt Goldener Schild“ (jindun gongcheng 金盾工程) bzw. „Great Firewall“ – extrem komplex. Manche Seiten, wie Google, Facebook, Instagramm oder Wikipedia sind komplett blockiert. Auf anderen Seiten werden kritische Inhalte ausgeblendet oder gelöscht. Wenn man z.B. auf der chinesischen Suchmaschine Baidu nach dem Stichwort „Tian’anmen“ (天安门, Platz des Himmlischen Friedens) sucht, dann findet man schöne Bilder von dem Platz in Beijing. Sucht man dasselbe Stichwort auf google findet man auch Bilder von Panzern, die 1989 die Demonstrationen niederschlugen.
Zusätzlich werden kritische Beiträge von Regierungsangestellten über Fake-Profile mit „positiven“, politisch konformen Kommentaren überflutet. Studien haben gezeigt, dass Zensur nicht allumfassend ist – und nicht sein muss. Internetnutzer*innen suchen kritische Informationen nur selten gezielt auf. Schon das Verbergen oder „Übertönen“ kritischer Stimmen kann also als effektive Zensur wirken.
Denn für chinesische Internetnutzer*innen ist nicht unbedingt offensichtlich, welche Themen der Zensur unterliegen – zwar sind viele Inhalte nicht zugänglich oder auffindbar, aber auch zu sensiblen Themen finden sich offiziell zugelassene, „bereinigte“ Ergebnisse. Wenn man auf Baidu etwa fragt „Ist China eine Demokratie?“ dann finden sich unter den ersten Ergebnissen Artikel, die China als „weltweit größte Demokratie“ oder „echte Demokratie“ bezeichnen.
Zusätzlich können Beiträge in ihrer Reichweite eingeschränkt werden. Shadow-banning z.B. ist eine Methode der Zensur, bei der Inhalte für den Verfasser zwar weiter einsehbar sind, anderen Nutzern aber nicht angezeigt werden, nicht auffindbar sind oder – auf sozialen Netzwerken wie Douyin 抖音 (TikTok) – vom Algorithmus nur eingeschränkt verbreitet werden.
Aber die Zensur hat technische Grenzen: Für die Zensurbehörde und chinesische Social-Media Plattformanbieter ist es z.B. schwierig umgedrehte Bilder, oder Anspielungen und Humor automatisch zu erkennen. Diese „Lücken“ in der Zensur werden von Internetnutzer*innen genutzt.
Wie gehen Internetnutzer*innen mit der Zensur um?
Chinesische Internetnutzer*innen ständig neue und kreative Ideen zur Vermeidung von Zensur. Sie verwenden ständig wechselnde Hashtags, der 35. Mai etwa ist eine Anspielung auf den 4. Juni – also den Jahrestag der Niederschlagung landesweiter Proteste 1989. Sie erfinden neue Wörter oder benutzen ähnlich klingende Schriftzeichen, verbergen politische Aussagen hinter Humor, verwenden Audiodateien, verstecken kritische Inhalte in der virtuellen Welt eines Computerspiels, oder bearbeiten Bilder so, dass sie vom System nicht wiedererkannt werden. All das macht eine flächendeckende Zensur für den Parteistaat quasi unmöglich. Aber die Algorithmen der Zensurbehörde werden immer besser und mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz können mittlerweile z.B. auch leicht geänderte Bilder einfach gefiltert werden.
Ganz umgehen kann man die Zensur nur mit einem VPN (Virtuelles Privates Netzwerk). Dieses kann die IP-Adresse des Nutzenden so verändern, dass es aussieht, als wäre der Computer in einem anderen Land. An chinesischen Universitäten und in vielen Firmen in China werden VPNs genutzt. Seit 2017 sind jedoch nur noch VPNs erlaubt, die von staatlichen Behörden autorisiert wurden. Viele dieser Anbieter von VPNs geben Daten aber an die Regierung weiter. Andere VPNs kosten Geld und können zum Teil nur im Ausland heruntergeladen werden.
Wie wird mit Kritiker*innen umgegangen?
Hat eine Person etwas Kritisches im Internet gepostet, dann können die Behörden in den meisten Fällen nachvollziehen, wer das war: Jeder muss sich in chinesischen sozialen Netzwerken nämlich mit Klarnamen und meist der Handynummer registrieren. Diese wiederum ist verknüpft mit der Personalausweisnummer. Aber nicht jede Person, die kritische Inhalte veröffentlicht, wird sofort verfolgt. Wenn einzelne Personen sich jedoch wiederholt kritisch äußern oder ihre Äußerungen besonders oft geteilt werden, werden diese zum „Tee trinken eingeladen“ – ein euphemistischer Begriff für eine polizeiliche Befragung. Diese Einschüchterungsstrategie ist in der Breite wirkungsvoll.
Trotzdem gibt es Personen, die sich immer wieder kritisch äußern. Diese müssen mit der Inhaftierung oder dem Ausschluss vom öffentlichen Diskurs rechnen. So können Personen etwa von Apps wie WeChat ausgeschlossen werden. Das bedeutet für Betroffene eine massive Einschränkung ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Trotz der Zensur werden viele Themen im chinesischen Internet kontrovers diskutiert. Äußerungen zu besonders kritischen Themen können jedoch oft nur im Ausland (z.B. in Taiwan oder in internationalen Medien) veröffentlicht werden. Einige Chines:innen, sogenannte Dissident*innen, ziehen deswegen ins Ausland.
Welche Folgen hat Zensur?
Neben den Einschränkungen der persönlichen Freiheiten führt die Zensur zu Einschränkungen in der freien Wirtschaft: Besonders Kreativschaffende beklagen, dass die Qualität von z.B. Filmen und Musik unter der Zensur leidet – das führt auch zu finanziellen Ausfällen.
Auch in der Wissenschaft ist Zensur problematisch: Als „sensibel“ eingestufte Daten dürfen nicht erhoben, Publikationen aus dem Ausland nur eingeschränkt gelesen und Ergebnisse manchmal nicht veröffentlicht werden.
Außerdem ist davon auszugehen, dass politische Entscheidungen durch die geringere Einbindung bzw. Hörbarkeit zivilgesellschaftlicher Stimmen zwar teils schneller, aber nicht nachhaltiger getroffen werden. Die KPCh bewegt sich also auf einem schmalen Grat zwischen der Unterdrückung kritischer Stimmen und der Notwendigkeit von kritischen Informationen um gut informierte und positiv wirksame Entscheidungen treffen zu können.
Auch in Europa sind wir von der chinesischen Zensur betroffen. Studien haben gezeigt, dass auch im deutsch- und englischsprachigen Tiktok Beträge mit bestimmten Hashtags oder Schlagworten einem Shadow-Ban unterzogen wurden.
Außerdem passen sich große Produktionsfirmen aus den USA und Europa manchen Erfordernissen der chinesischen Behörden an. Kinofilme mit Sex- und Gewaltdarstellungen oder politischen Aussagen, die der Parteilinie widersprechen, werden nicht für den chinesischen Markt zugelassen. Also werden solche Szenen für das chinesische Publikum herausgeschnitten oder eben gar nicht erst gedreht.
Zur Einsicht detaillierter Quellenangaben sowie weiterführender Informationen und Literaturhinweise zum Material besuchen Sie bitte die Plattform ChinaPerspektiven. [https://www.china-schul-akademie.de/materialien/m-zensur-m1-3]