Wer regiert China? Die politische Elite der Volksrepublik
- Lerneinheit 1: Die Volksrepublik China als Meritokratie in den Medien2 Materialien|4 Aufgaben
- Lerneinheit 2: Chinas kaiserzeitliches Beamtenprüfungssystem3 Materialien|2 Aufgaben
- Lerneinheit 3: Die politische Elite der Volksrepublik China2 Materialien|3 Aufgaben
- Lerneinheit 4: Datenmanipulation und Machtmonopolisierung2 Materialien|5 Aufgaben
- Lerneinheit 5: Zufriedenheit und Stabilität2 Materialien|2 Aufgaben
- Lerneinheit 6: Diskussion1 Aufgabe
- Ergänzende Materialien3 Materialien
M2.1: Das kaiserzeitliche Beamtenprüfungssystem (keju 科举)
Wer durfte den chinesischen Kaiser beraten? Und wie wurde man im kaiserzeitlichen China Staatsbeamter?
Nach ersten Ansätzen in der Han-Dynastie dienten seit dem siebten Jahrhundert bis zur Abschaffung des Beamtenprüfungssystems im Jahr 1905 schriftliche Prüfungen zu einem festen Bildungskanon der Auswahl von Staatsbeamten. Die Beamten, oft Mandarine genannt, sollten den Kaiser in politischen Fragen beraten. Ziel und Inhalt der Prüfungsvorbereitung war die Herausbildung einer voll der konfuzianischen Ethik verschriebenen Persönlichkeit. Im Zentrum des über die Jahrhunderte nur leicht angepassten Bildungskanons standen klassische philosophische, historiographische und literarische Schriften, darunter die der konfuzianischen Schule zugeschriebenen Fünf Klassiker (Wu Jing 五經) und Vier Bücher (Si Shu 四書). All diese Schriften mussten auswendig gelernt werden – in Summe etwas über 600.000 chinesische Zeichen. Das Auswendiglernen der Klassiker alleine bedeutete ein Studium von ca. sechs bis acht Jahren. Dazu kam die Kenntnis wichtiger Kommentare und aktueller politischer Diskussionen. Zudem mussten Prüfungsfragen in verschiedenen Textgenres beantwortet werden: z.B. in der Form klassischer Gedichte oder nach strengen Regeln und in Parallelstrukturen aufgebauter Texte – den sogenannten achtfüßigen Aufsätzen (baguwen 八股文). Auch kalligraphische und formale Standards mussten unbedingt eingehalten werden.
Die Prüfungen wurden auf allen politischen Ebenen des Reiches abgehalten, ein Kandidat arbeitete sich also vom Bezirksexamen über das Provinzexamen bis zum Palastexamen hoch. Die Teilnahme an den Prüfungen stand allen chinesischen Männern mit einigen Ausnahmen von Berufsständen wie Bordellbetreibern oder Mönchen offen. Jedoch stellte die Prüfungsvorbereitung eine große finanzielle Hürde dar – absolute Chancengleichheit bestand also nicht wirklich. Dennoch sorgte das System für eine gewisse soziale Mobilität und einen durchaus beträchtlichen Austausch von Eliten innerhalb der oberen Schichten.
Nicht nur die Vorbereitung, auch die Prüfungen selber waren mit physischen und psychischen Strapazen verbunden: Während der Qing-Dynastie bekamen die (fast) ausnahmslos männlichen Kandidaten für die drei mal drei Tage und zwei Nächte des Palastexamens eine Prüfungszelle. Essen, Schreibunterlagen und Windschutzschilder etc. mussten selbst mitgebracht werden. Viele Kandidaten kollabierten unter dem Leistungsdruck. Dabei waren ihre Erfolgschancen insgesamt extrem gering. Schon im Bezirksexamen schieden ca. 95% der Kandidaten aus. An den Prüfungen konnte jedoch wiederholt teilgenommen werden. Einige Kandidaten erlangten erst im fortgeschrittenen Alter Rang und Namen. Den erfolgreichen Kandidaten jedoch winkten extremes Prestige, Aufstiegsmöglichkeiten und zahlreiche Privilegien.
Die Durchführung dieser Examina bedeutete einen extremen Verwaltungsaufwand – von der Erstellung der Prüfungsfragen, der Durchsuchung der Kandidaten und Überwachung der tausenden Prüfungszellen, um Betrugsversuche zu identifizieren, der Abschrift der Arbeiten, um die Bevorzugung bekannter Kandidaten zu verhindern, bis hin zur mehrfachen Durchsicht der Arbeiten und Verkündigung der Ergebnisse. Doch das Prüfungssystem war nicht frei von Korruption und Betrug.
Der feste Bildungskanon und die Herausbildung einer auf das kaiserzeitliche Prüfungssystem ausgerichteten intellektuellen Elite trug maßgeblich zur Stabilität des Kaiserreiches bei – das Prüfungssystem blieb über viele Dynastien und Fremdherrschaften hinweg erhalten. Abgeschafft wurde es erst 1905, kurz vor der Gründung der Republik. Der Fokus der Prüfungen auf philosophisches, literarisches und geschichtliches Wissen kam in die Kritik, Reformversuche und Anpassungen der Prüfungsinhalte wurden als gescheitert betrachtet. Nicht gut genug schienen die fast ausschließlich klassisch gebildeten Beamten vorbereitet auf die Herausforderungen der sich mit Kanonen ankündigenden Moderne. In Europa jedoch hatte die Kunde vom chinesischen Beamtenprüfungssystem bereits Spuren hinterlassen.
Zur Einsicht detaillierter Quellenangaben sowie weiterführender Informationen und Literaturhinweise zum Material besuchen Sie bitte die Plattform ChinaPerspektiven. [https://www.china-schul-akademie.de/materialien/m-wrc-m2-1]