Chinas Sozialkreditsysteme als Bestandteil von datengesteuertem Regieren
M3.1: Die Schattenseiten des Sozialkreditsystems
Chongqing ist eine moderne Industriestadt am Zusammenfluss von Yangtse [Yangzi 扬子] und Jialing Jiang 嘉陵江 und der Ausgangspunkt der neuen Seidenstraße. Hier treffe ich einen der Millionen Chinesen, die die Schattenseiten des Sozialkreditsystems kennen. Liu Hu [刘虎 1975– ] ist investigativer Journalist, er schreibt über hochrangige Korruptionsfälle und Morde, die die Polizei nur halbherzig verfolgt. Von den Reportern ohne Grenzen wird er als Held gefeiert, von seinem Heimatland aber abgestraft. [Liu Hu:] „Die Regierung sieht einen Feind in mir. Und offizielle Medien sind wie eine Propagandamaschine der Partei. Sie sollen die Menschen indoktrinieren, anstatt die Wahrheit zu berichten. Aber wenn jemand verhindert, dass Korruption aufgedeckt wird, ist er meiner Meinung nach selbst korrupt.“ 2015 verliert Hu einen Prozess wegen übler Nachrede gegen einen Beamten, den er der Erpressung beschuldigte. Er muss sich öffentlich entschuldigen und eine Geldstrafe zahlen. Als das Gericht eine zusätzliche Gebühr verlangt, zahlt er die nicht. Zwei Jahre später wird er plötzlich zur unerwünschten Person. Ein Pilotprogramm für Sozialkredite erklärt ihn für unehrlich und setzt ihn auf die schwarze Liste. [Liu Hu:] „Freunde von mir sind Anwälte und Richter. Sie sagen, das sogenannte ‚unehrliche Handeln‘ steht für Schuldenprobleme. Ich schulde niemandem Geld. Ich sollte nicht auf der schwarzen Liste stehen.“ Hu sagt, er habe alle Auflagen des Gerichtsurteils erfüllt, er glaubt, aus politischen Gründen ausgegrenzt zu werden und er kann nichts dagegen unternehmen. [Liu Hu:] „Eine Menge Leute stehen zu Unrecht auf der schwarzen Liste. Sie kommen von ihr aber nicht wieder runter.“ Das Sozialkreditsystem bewertet ihn so schlecht, dass er nicht mehr reisen darf und praktisch unter Hausarrest steht. [Liu Hu:] „Zurzeit ist meine Reisefreiheit eingeschränkt. Ich kriege weder Tickets für Hochgeschwindigkeitszüge noch für Flüge. Sehen Sie, mit dieser App buchen wir Tickets, zum Beispiel für eine Fahrt von Chongqing nach Xi‘an. Also versuchen wir mal ein Ticket für die nächsten Tage zu kaufen.“ [Interviewer:] „Was steht da?“ [Liu Hu:] „Hier steht, dies ist ein Fehlversuch, mein Zugang zu Hochgeschwindigkeitszügen ist aus rechtlichen Gründen gesperrt.“ Auch Hus Konten bei sozialen Medien sind gesperrt. Vor seiner Verhaftung hatte er fast 2 Millionen Follower. Seine Arbeit publizierte er vor allem auf der Online- Plattform Weibo 微博. [Liu Hu:] „Ich hatte über 10 Profile bei Weibo. Die sind jetzt alle weg. Das hier war das jüngste der Profile, es wurde vor kurzem auch gesperrt.“
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