Queer in China – Ein Angriff auf die kindliche Pietät?
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Lerneinheit 1: Elterliche Erwartungen und eigene Lebensentwürfe1 Material|1 Aufgabe
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Lerneinheit 2: Homosexuell in einer chinesischen Familie1 Material|1 Aufgabe
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Lerneinheit 3: Queeres Leben in China1 Material|1 Aufgabe
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Lerneinheit 4: Der Wunsch nach Normalität1 Material|1 Aufgabe
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Lerneinheit 5: Diskriminierungserfahrungen in China – Das Beispiel Transgender5 Materialien|3 Aufgaben
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M5.1: Erklärvideo: Transgender in China (Erweiterung Transgender)
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M5.2: Studie: Diskriminierung von trans* Menschen in China: Familie
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M5.3: Studie: Diskriminierung von trans* Menschen in China: Gesundheitswesen
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M5.4: Studie: Diskriminierung von trans* Menschen in China: Bildungswesen
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M5.5: Studie: Diskriminierung von trans* Menschen in China: Arbeitsmarkt
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M5.1: Erklärvideo: Transgender in China (Erweiterung Transgender)
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Ergänzende Materialien2 Materialien|1 Aufgabe
M6.1: Interview mit Damien Lu von PFLAG China (Erweiterung)
Frederike Schneider-Vielsäcker 28.07.2021
M6.1: Interview mit Damien Lu von PFLAG China (Erweiterung)
Der im Folgenden zu bearbeitende Text ist ein Auszug aus einem Interview mit Damien Lu (Dr. Star), das von der Nichtregierungsorganisation PFLAG China (Tongxinglian Qinyouhuui 同性恋亲友会)2Weitere Informationen zu diesem Sprichwort finden sich in den Hintergrundinformationen sowie in der Einordnung zum Interview. Hier mit Kinderlosigkeit übersetzt, meint wuhou (无后) ursprünglich das Ausbleiben männlicher Nachkommen. veröffentlicht wurde. Im Interview beschreibt Damien Lu die elterlichen Erwartungshaltungen, die Homosexuelle dazu bringen, sich auf heterosexuelle Ehen einzulassen.
Einleitung zum Interview:
In der chinesischen Kultur ist die Vorstellung, Kinder auf die Welt zu bringen und dadurch die Familienlinie fortzuführen, tief verwurzelt. So lautet ein Sprichwort: „Unter den drei gröbsten Verstößen gegen die Pietät gegenüber Eltern und Ahnen ist Kinderlosigkeit der größte Verstoß“ (buxiao yousan, wuhou weida 不孝有三,无后为大).3Weitere Informationen zu diesem Sprichwort finden sich in den Hintergrundinformationen sowie in der Einordnung zum Interview. Hier mit Kinderlosigkeit übersetzt, meint wuhou (无后) ursprünglich das Ausbleiben männlicher Nachkommen. Daher werden fast alle erwachsenen Homosexuellen von allen Seiten unter Druck gesetzt, zu heiraten: von Eltern, Verwandte, Freunde und sogar von Klassenkamerad*innen und Kolleg*innen. Es scheint, als wäre man ein Freak oder ein pietätloses Kind, wenn man nicht heiratet.
Interviewauszüge:
Damien Lu (Dr. Star): Die Tatsache, dass diese alten Redewendungen auch im 21. Jahrhundert noch befolgt werden, ist an sich schon tragisch. Die chinesische Redewendung „die Abstammungslinie fortführen“ (chuanzong jiedai) 传宗接代, gemeint ist: vorzugsweise männliche Nachkommen zu zeugen) bedeutet eigentlich, die Kinder als Gebärmaschinen und als Eigentum zu betrachten. Die Tatsache, dass Eltern das Zeugen von Kindern als eine Investition ansehen, ist an sich schon ein Grund, sich dem zu widersetzen.
Feizan (chinesischer Netzdienst, der das Interview hochgeladen hat): In den Augen vieler ist es die Pflicht der Kinder, sich bei ihren Eltern für die Sorgfalt und Aufmerksamkeit, mit der sie sie großgezogen haben, und für die Erwartungen, die sie an sie gestellt haben, zu revanchieren. Werden die Eltern stattdessen durch Nichtbefolgen enttäuscht, zählt dies offensichtlich als Hochverrat.
Damien Lu (Dr. Star): Die Eltern sind für die Geburt ihrer Kinder selbst verantwortlich. Kinder haben nicht darum gebeten, geboren zu werden; sie kamen als direkte Folge der Handlungen ihrer Eltern auf die Welt. Zur elterlichen Verantwortung gehört es also, das Kind bedingungslos zu akzeptieren, es sei denn, es hat etwas Schlimmes getan. Viele Homosexuelle haben das Gefühl, dass sie ihre Eltern aufgrund ihrer sexuellen Identität verletzen, aber die gleichgeschlechtliche Orientierung ist weder eine persönliche Entscheidung noch ist sie ein Fehler.
Wenn du erwischt wirst, weil du eine Bank ausgeraubt hast, tust du deinen Eltern damit weh. Deine sexuelle Orientierung ist jedoch etwas, was du nicht kontrollieren kannst. Genauso wenig wie du kontrollieren kannst, ob du als Mann oder Frau geboren wirst. Wenn die Gesellschaft kleine Menschen diskriminiert, und du bist lediglich 1,55 m groß, dann werden deine Eltern diskriminiert. Aber wer tut ihnen weh? Es sind Vorurteile und Diskriminierung, aber du bist es gewiss nicht.
Natürlich sollten Kinder den Eltern dafür dankbar sein, dass sie von ihnen großgezogen wurden, aber der Anspruch darauf, die „Dankesschuld zu zollen“, ist völlig unbegründet. Es ist die Pflicht der Eltern, ihre Kinder großzuziehen. Tun sie dies nicht, sind sie nicht dafür qualifiziert, Eltern zu sein. Den Eltern für ihre Erziehung zu danken, bedeutet nicht, ihnen zu erlauben, über das Leben ihrer Kinder zu bestimmen. Im Alten China gab es ein Sprichwort, das besagte: „Wenn deine Eltern wollen, dass du stirbst, dann willst auch du, dass du stirbst“ (fumu yao ni si, ni ye yao si 父母要你死你也要死). Doch selbst in dieser alten Zeit galt das nicht als kindliche Pietät, sondern als ein Verlust der Menschlichkeit.
Die wahre alte chinesische Lehre besagt, dass der Vater gütig und der Sohn pietätvoll sein sollte (fucizixiao 父慈子孝), das bedeutet, die Eltern sollten den Kindern gegenüber liebevoll sein und die Kinder sollten sich den Eltern gegenüber gehorsam zeigen. Das ist die Pflicht beider Parteien. Wenn die Eltern die Natur ihres Kindes missachten und es dazu zwingen, das Glück seines Lebens aufzugeben, haben solche Eltern ihr Recht darauf verwirkt, dass es ihnen gegenüber seine Kindespflicht erweist.
Feizan: Viele Homosexuelle heiraten, um ein leibliches Kind zu bekommen. In China muss man den Weg der Ehe gehen.
Damien Lu (Dr. Star): Leider erlaubt das derzeitige chinesische Leihmutterschaftsgesetz nicht, Kinder per Leihmutterschaft zu bekommen, sonst wäre dies die Lösung für das Problem. Davon abgesehen will keine Frau eine Maschine sein, die für andere ein Kind zur Welt bringt. Dementsprechend kann dies nicht als Grund herangezogen werden, andere zu täuschen und zu heiraten.
[…]
Feizan: Abschließend möchte ich Sie fragen, was es bedeutet, in einer Zeit, in der Homosexuelle dem sozialen Druck der traditionellen Ehe ausgesetzt sind, den eigenen Weg zu wählen, an einem Leben in Ehrlichkeit festzuhalten und keine Ehe mit einer heterosexuellen Person einzugehen.
Damien Lu (Dr. Star): Der erste Punkt ist die Selbstwürde. Zuallererst muss also die Selbsterniedrigung überwunden werden. In den letzten zehn Jahren habe ich zahlreiche Briefe von Homosexuellen erhalten, die es bereuen, geheiratet zu haben. Natürlich plagt sie ihr Gewissen. Es gibt aber auch manche, die ihr „glückliches“ Leben genießen.
Der zweite Punkt ist die Veränderung des sozialen Umfelds. Die Problematik sogenannter „Homo-Ehefrauen“ (tongqi 同妻) und „Homo-Ehemänner“ (tongfu 同夫), also diejenigen, die zumeist unwissentlich eine Ehe mit einem beziehungsweise einer Homosexuellen führen, wurde in der Gesellschaft bisher noch keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Dies ist jedoch unvermeidlich. Es gibt bereits eine Reihe von Selbsthilfegruppen, in denen sich „Homo-Ehefrauen“ organisieren, um sich für ihre Rechte und Interessen einzusetzen. Mit der Zeit werden sie die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich ziehen. Wer jetzt denkt, dass die chinesische Gesellschaft gegenwärtig nicht tolerant genug gegenüber Homosexuellen ist, könnte in der Zukunft eine noch viel schlimmere Situation vorfinden. Denn wenn die Mehrheit weiterhin Dinge tut, die andere verletzen, ist es sehr schwierig, auf soziale Akzeptanz zu hoffen.
Als letzter Punkt sei noch gesagt, dass man nur einmal lebt. Da wäre es doch eine echte Tragödie, ein Leben lang eine Rolle zu spielen, um seine wahre Identität zu verbergen und sie nur heimlich zu leben.
Zur Einsicht detaillierter Quellenangaben sowie weiterführender Informationen und Literaturhinweise zum Material besuchen Sie bitte die Plattform ChinaPerspektiven. [https://www.china-schul-akademie.de/materialien/m-qic-m6-1]
Weiterführende Informationen
Autor | Titel | Datum | Objektbeschreibung | Inhalt | Einordnung |
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Autor*in: Damien Lu (auch Dr. Star genannt) engagiert sich von Amerika bei PFLAG China in Chengdu (Tongxinglian Qinyouhui Chengdu Fenhui 同性恋亲友会成都分会), einer Organisation für queere Menschen und deren Angehörige wie Freund*innen, für die chinesische LGBTIQ*-Community. | Titel: 面对传统婚姻的压力,同志该作何选择 (Miandui chuantong hunyin de yali, tongzhi gai zuo he xuanze) – Welche Wahl haben Homosexuelle angesichts des Drucks, zu heiraten? | Entstehungsdatum: 06.01.2017 | Objektbeschreibung: Online-Interview (https://tinyurl.com/y4avwy73) | Inhalt: Das Interview mit Damien Lu thematisiert die elterlichen Erwartungshaltungen, die Homosexuelle dazu bringen, sich auf heterosexuelle Ehen einzulassen. Das Interview wurde von PFLAG China (Tongxinglianhui 同性恋亲友会) veröffentlicht, eine 2008 in Guangzhou gegründete und nach der amerikanischen Organisation PFLAG (Parents, Families and Friends of Lesbians and Gays) benannte, unabhängige chinesische Nichtregierungsorganisation (NGO). Sie setzt sich für LGBTIQ* und die Menschen in ihrem persönlichen Umfeld (Freunde, Familie) ein. Mehr Informationen zu PFLAG finden sich unter: http://www.pflag.org.cn/. Mehr Informationen über den Aktivisten Damien Lu finden sich in folgendem Video: https://www.chinalgbt.org/damien-lu. | Einordnung: Das von Damien Lu beschriebene Phänomen der Scheinehe ist gegenwärtig nur eine von mehreren Strategien, wie Homosexuelle Familie und eigene Lebensführung miteinander zu vereinbaren suchen. In einem Kapitel ihres Buches aus dem Jahr 2014 untersucht Elisabeth Engebretsen unter dem Titel „Is Face More Important than Happiness?“, inwieweit es jungen homosexuellen Frauen (lala 拉拉) gelingt, mit ihren alternativen Lebensentwürfen überkommene gesellschaftliche Normen infrage zu stellen. Engebretsen zitiert zahlreiche Studien, die – je nach Fokus – unterschiedliche Indizien dafür liefern, dass sich Gender- und Familiennormen im China der Post-Mao-Ära drastisch ändern (Abnahme der Bevorzugung männlicher Nachkommen, größere Selbstbestimmtheit bei der Partnerwahl usw.). Diese Veränderungen stellen den Hintergrund dar, vor dem Lalas Strategien entwickeln, um unter Wahrung des Gesichts nahestehender Angehöriger ihre Lebensführung möglichst selbstbestimmt, aber ohne endgültigen Bruch mit der Familie zu gestalten (“strategic compliance with social and family expectations“, Engebretsen 2014, S. 60). Dabei zeigt die Autorin – basierend auf Fallstudien – ein breites Spektrum an Vorgehensweisen auf, die Lalas je nach persönlichem Erfahrungshintergrund (Auslandsaufenthalte, emotionale Nähe zu den Eltern, eigene finanzielle Situation, Kenntnisstand der Familie etc.) anwenden: Queere Menschen passen sich an die elterlichen Vorgaben an, fliehen ins Ausland oder in eine von den Eltern weit entfernte Stadt. Sie erwirken, dass die eigentlich unwillkommene Partnerin als fürsorgliche „zweite Tochter“ in die Familie aufgenommen wird oder vermeiden die von den Eltern geforderte heterosexuelle Hochzeit durch die Übernahme von Pflegetätigkeiten in der eigenen Familie – und kompensieren damit in den letzten beiden Fällen die durch die Kinderlosigkeit begründete „fehlende Pietät“ den Eltern gegenüber. Allen Fällen gemein ist dabei die Aufteilung des Lebens in einen öffentlichen Raum und einen privaten Bereich, der allein das Ausleben der eigenen Interessen ermöglicht (“compartmentalization“, Engebretsen 2014, S. 78). Diese Aufteilung ermöglicht aber zugleich das Aufrechterhalten der harmonischen Beziehung innerhalb der eigenen Familie.
Die thematische Verschränkung von Pietät und Homosexualität werden ebenfalls in einem Aufsatz aus dem Jahr 2009 von Pierre Miège unter dem Titel „,In my Opinion, most Tongzhi are Dutiful Sons!‘“ erörtert. Dieser Artikel basiert auf Interviews mit 15 jungen Homosexuellen aus Hefei (Provinz Anhui), die im Jahr 2008 durchgeführt wurden. Folgende Auszüge sind hierbei relevant:
(...) In China, wie in vielen anderen Kulturen, haben Akteure die Geschlechtsidentität (Männlichkeit wird durch Ehe und Kinder konstruiert) und eine bestimmte Anzahl sozialer Rollen als grundlegend festgelegt: ein Sohn zu sein, der seine Eltern und seine Pflichten gegenüber der Familie respektiert, und ein verantwortungsbewusster Bürger zu sein, der einen Beitrag zur Gesellschaft leistet. (…) Die Teilnehmer an dieser Umfrage stellen die Gesellschaft insgesamt als relativ intolerant gegenüber ihrer Sexualität dar, was sie dazu zwingt, fragmentierte soziale Netzwerke mit kleinen Gruppen von Freunden, die ebenfalls homosexuell sind, zu knüpfen und die beiden parallelen Welten, in denen sie leben, vollständig voneinander zu trennen: auf der einen Seite ihr Alltagsleben, in dem sie ihre sexuelle Orientierung verbergen, und auf der anderen Seite Aktivitäten und soziale Beziehungen, die um die gleiche sexuelle Orientierung herum organisiert sind. (…) In der Tat ist das Internet nicht nur eine Technologie, die es ihnen ermöglicht hat, ihre sexuelle Identität kennen und verstehen zu lernen und dann mit anderen Homosexuellen zusammenzukommen und mit ihnen zu kommunizieren: Ihr Gebrauch von Informationen und Technologien der „virtuellen Welt“ spiegelt die Art und Weise wider, in der sie spezifische Formen der Kontaktpflege entwickeln, die durch Fragmentierung und Isolation gekennzeichnet sind. (…) Wenn sie sich als pflichtbewusste Söhne [also als kindlich pietätisch, xiao 孝] darstellen, wollen sie ihre Eltern nicht enttäuschen oder ihnen Leid zufügen, indem sie sich weigern zu heiraten. Tatsächlich ist es weniger die Homosexualität als vielmehr die Frage der Ehe, die sich stellt, natürlich innerhalb der Familie, aber auch gegenüber dem Rest der Gesellschaft. Für diese jungen Homosexuellen wird die gesellschaftliche Norm der Ehe durch die Macht der Autoritäts- und Pflichtverhältnisse innerhalb der Familie vorgegeben, aber sie wird auch ständig von den Menschen um sie herum – Freunden, Kollegen und Nachbarn – vorgebetet und neu belebt, die sich Sorgen machen, dass diese jungen Männer noch ledig sind. (…) (S. 41) „Eine gute Sache an China ist, dass man, wenn zwei Männer oder zwei Frauen zusammenleben, zu anderen sagen kann: ‚Es ist mein Cousin / meine Cousine‘, und die Leute haben keine Schwierigkeiten, das zu glauben. (...) Die meisten Menschen kommen nicht auf eine solche Idee, weil sie noch nie mit Homosexualität in Berührung gekommen sind und sicherlich noch nie gehört haben, dass darüber gesprochen wurde. (...) Eines Tages las ich eine Zeitschrift, und in einem Artikel äußerte sich eine Ausländerin, die sagte, China sei der Himmel für Lesben. Sie sagte, dass Mädchen auf der Straße Händchen halten könnten, dass das völlig normal sei. (...)“ (Wang, 30) Was Freunde, Kollegen und soziale Beziehungen beschäftigt, ist, dass eine Person nicht verheiratet ist.1Vgl. hierzu auch das Projekt SINGLE, das vom Zentrum für Transkulturelle Studien an der Universität Heidelberg initiiert wurde und das Leben der Singles in Shanghai und Delhi miteinander vergleicht. Internetauftritt: http://www.hera-single.de/ [zuletzt eingesehen am 03.03.2021]. (S. 51) Im Mittelpunkt der Ängste und Widersprüche dieser jungen Männer steht die Familie, die Institution, in der die gesellschaftlichen regulativen Vorstellungen von Ehe und Kindern vermischt werden. Es sind die Eltern, die die Verpflichtung auferlegen, die Abstammungslinie fortzuführen [chuanzong jiedai 传宗接代], d.h. die Familie durch das Zeugen eines vorzugsweise männlichen Nachkommens aufrecht zu erhalten – ein traditioneller Ausdruck, der von mehreren Teilnehmern wiederholt wurde. (S. 51) Ab 30 nimmt der Druck zu, und nicht nur das Beharren und der Spott der Menschen um sie herum nehmen zu: oft beschließen Eltern, Kindern zu helfen, die anscheinend zu sehr mit beruflichen Aktivitäten beschäftigt sind. (...) Was der Familie erlaubt, ihre Rolle als Garant der Einhaltung der sozialen Norm zu spielen, ist die Zuneigung, die diese jungen Männer für ihre Eltern empfinden, gegen die sie sich nicht auflehnen können und denen sie vor allem kein Leid zufügen wollen. Mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten große Angst davor, wie ihre Eltern reagieren würden, wenn sie ihnen nicht von ihrer Homosexualität, sondern von ihrer Weigerung zu heiraten erzählen würden. Feng fasst es zusammen: Im Allgemeinen haben tongzhi [同志, queere Menschen] Angst, dass ihre Eltern zu „hart“ oder zu „schwach“ sein könnten. Mit „hart“ meine ich, dass die Eltern sagen: „Du willst nicht heiraten, also verlasse unser Haus, wir erkennen dich nicht mehr als unseren Sohn an.“ In diesem Fall werden die Kinder ihren Eltern nachgeben. ... mit „schwach“ meine ich die Eltern, die aufhören zu essen oder zu trinken, die nichts mehr tun. Ich kenne sogar jemanden, dessen Eltern in den Hungerstreik getreten sind, um ihn zur Heirat zu bewegen. (Feng, 29) (…) Es bleibt nur noch eine andere hypothetische Option, nämlich die der Heirat mit einer Lesbe. (S. 51)
Zusammengefasst von Stefanie Elbern aus: Elisabeth L. Engebretsen, Queer Women in Urban China: An Ethnography, New York: Routledge, 2014. Kapitel 3, “Is Face More Important than Happiness? Negotiating Family and Kinship”, S. 57–79.
Auszüge ins Deutsche übersetzt von Stefanie Elbern aus: Miège, Pierre, „,In my Opinion, most Tongzhi are Dutiful Sons!‘: Community, social norms, and construction of identity among young homosexuals in Hefei, Anhui province“, China Perspectives No. 1, 2009, S. 40-53, online abrufbar: https://journals.openedition.org/chinaperspectives/4772 [zuletzt eingesehen am 30.01.2021]. |