
Chinas Neue Seidenstraßen-Initiative
Ein Infrastrukturplan der die ärmsten Länder der Welt mit den reichsten verbinden soll oder ein Instrument des Neokolonialismus das Entwicklungsländer in Schuldenfallen treiben will? Diese Fragen stehen im Zentrum der kontroversen Diskussion um Chinas Neue Seidenstraßen-Initiative (Belt and Road Initiative, BRI). In diesem Modul setzen Sie sich kritisch mit den verschiedenen Perspektiven auf die BRI auseinander und kommen so zu eigenständigen Bewertung der Initiative.
Thematische Einführung
Ein Infrastrukturplan, der die ärmsten Länder der Welt mit den reichsten verbinden soll oder ein Instrument des Neokolonialismus, das Entwicklungsländer in Schuldenfallen treiben will?
Diese Fragen stehen im Zentrum der kontroversen Diskussion um Chinas „Neue Seidenstraßen-Initiative“. Diese wurde im Jahr 2013 von dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping ins Leben gerufen und heißt im Chinesischen wörtlich „Ein Gürtel, eine Straße“ (Yidai yilu 一带一路), was für die sechs Landkorridore des „Seidenstraßen Wirtschaftsgürtels“ (Sichou zhi lu jingjidai 丝绸之路经济带) und die „Maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts“ (Haishang sichou zhi lu 海上丝绸之路) steht, die China mit Südost- und Zentralasien, Afrika und Europa verbinden sollen (L2). Bei dem englischen Begriff „Belt and Road Initiative“ oder abgekürzt BRI, der sich auch im deutschen Sprachgebrauch findet, handelt es sich folglich um eine wörtliche Übersetzung des chinesischen Originalbegriffs.
Die neue Seidenstraße soll dabei an die antike Seidenstraße anknüpfen, ein Netz von Karawanenstraßen, dessen Hauptroute den Mittelmeerraum auf dem Landweg über Zentralasien mit Ostasien verband. Der Begriff „Seidenstraße“ ist allerdings kein chinesischer, sondern geht auf den deutschen Geografen Ferdinand von Richthofen (1833-1905) zurück. Von Richthofen verwendete diesen erstmalig im Jahr 1877, um die Routen zu bezeichnen, über die Seide aus China nach Europa transportiert wurde. Ihre Hochzeit erlebte die historische Seidenstraße zwischen 115 v. Chr. und dem 13. Jahrhundert n. Chr., wobei sich ihre frühsten Erwähnungen bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. finden.
Mit der Neuen Seidenstraßen-Initiative verfolgt die chinesische Regierung das Ziel, die Anbindung (in der Fachsprache als „Konnektivität“ bezeichnet) zwischen China und dem Rest der Welt zu verbessern. Dabei zielt die Neue Seidenstraßen-Initiative auf einen geografischen Raum mit 138 Ländern und 4,4 Mrd. Menschen, was in etwa 63% der Weltbevölkerung entspricht. Nach der Vision der chinesischen Staatsführung soll sich Chinas Kooperation mit anderen Ländern im Rahmen der Initiative auf Bereiche wie Transport- und Telekommunikationsinfrastruktur, finanzielle Zusammenarbeit, Handel, Nachhaltigkeit und kulturellen Austausch erstrecken. Ein Netzwerk von Infrastrukturprojekten und neuen Wirtschaftszonen soll Marktzugänge und Investitionsmöglichkeiten in Südostasien, Südasien und Zentralasien erschließen und den Handel und die Kooperation mit der EU voranbringen. Dafür will China 900 Mrd. US-Dollar an chinesischen Krediten bereitstellen, weswegen die Neue Seidenstraßen-Initiative als das bisher größte Infrastrukturvorhaben der globalen Wirtschaftsgeschichte bezeichnet wird.
Im europäischen Diskurs wird die Neue Seidenstraßen-Initiative oft als ein „Megaplan“ bezeichnet (z.B. in M3.2). Hinter der Initiative wird folglich eine klar definierte Strategie vermutet. Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Yuen Yuen Ang hält dieser verbreiteten Wahrnehmung entgegen, dass es bis heute gar keine offizielle Definition der Neue Seidenstraßen-Initiative gibt. Ebenso wenig hat die chinesische Regierung einen Kriterienkatalog herausgegeben, was ein Projekt zu einem Seidenstraßen-Projekt macht und es gibt auch keine offizielle Liste von Seidenstraßen-Projekten (Ang 2019). Die Neue Seidenstraßen-Initiative, schreibt Ang, sei keine Strategie im Sinne eines ausdefinierten Plans; sie ähnele vielmehr den typischen politischen Kampagnen der Kommunistischen Partei Chinas, auch wenn sie nicht explizit als eine Kampagne definiert ist. Durch Kampagnen mobilisiert die chinesische Führung Bürokratie, Unternehmen und auch ganz normale Bürger*innen zur Umsetzung einer einheitlichen Vision. Der Vorteil dieses Ansatzes ist, dass sich so schnell Massen mobilisieren und schnelle Ergebnisse erzielen lassen; der Nachteil – es gibt viele Fehlentwicklungen durch die Geschwindigkeit und fehlende Koordination. (Auch die Kulturrevolution, die China in zehn Jahre Chaos stürzte (1966-1976), war eine Kampagne). Bei den Partnerländern chinesischer Projekte hat diese Unklarheit dazu geführt, dass chinesische Projekte inzwischen nahezu generell mit der Neuen Seidenstraßen-Initiative gleichgesetzt werden – „Wenn es chinesisch ist, dann muss es die Neue Seidenstraße sein!“. Yuen Yuen Ang bringt hierzu das Beispiel der kambodschanischen Küstenstadt Sihanoukville an: Von den 1,1 Mrd. US-Dollar an chinesischen Investitionen ließ sich nur ein Bruchteil der Neuen Seidenstraßen-Initiative zuordnen (der Rest waren private Investitionen, v.a. in Immobilien und Casinos, und zwar nicht nur aus der Volksrepublik China, sondern auch aus Hong Kong, Macau und Malaysia); alle negativen Effekte der Projekte wurden aber der Neue Seidenstraßen-Initiative zugeschrieben (Ang 2019). Die fehlende Definition der Neue Seidenstraßen-Initiative erschwert zudem auch ihre Messbarkeit, d.h. welche entwicklungspolitischen oder wirtschaftlichen Wirkungen mit welchen Mitteln erreicht wurden.
Während es also keinen ausdefinierten Plan oder Strategie zur Entwicklung der Neue Seidenstraßen-Initiative gibt, lassen sich die dahinterstehenden übergreifenden politischen Ziele klarer benennen. Dafür muss man zunächst betrachten, in welchen Kategorien die chinesische Staatsführung denkt: diese sind die drei Kerninteressen der KPCh und ihre Idee von den sog. drei „Jahrhunderten“ (bainian 百年), verbunden mit den sog. „zwei Jahrhundertzielen“ („Liang ge yibai nian“ fendou mubiao „两个一百年奋斗目标“).
Die Kerninteressen der KPCh sind
- die Sicherung des politischen Regimes, d.h. der Herrschaft der KPCh;
- die Sicherung des nationalen Territoriums, u.a. Tibet, Xinjiang, Hongkong, Taiwan, und Südchinesisches Meer;
- die Erhaltung eines internationalen Umfeldes, das Chinas Wachstum ermöglicht.
Die drei Jahrhunderte und die damit verbundenen Ziele sind:
- das „Jahrhundert der nationalen Erniedrigung“ (Bainian guochi 百年国耻) (1842-1949), das mit den Opium-Kriegen begannt und mit der Gründung der Volksrepublik China endete. Dieses wird als Chinas Nemesis verstanden, die sich (so das Ziel) nie wiederholen darf;
- das Jahrhundert seit der Gründung der KPCh (von ihrer Gründung 1921 bis 2021), mit dem Ziel, bis 2021 die absolute Armut zu besiegen und eine „Gesellschaft des bescheidenen Wohlstandes in einer ertragsstarken Wirtschaft“ (quanmian jiancheng xiaokang shehui 全面建成小康社会) zu errichten. Der Indikator für dieses Ziel wurde als die Verdopplung des Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 2010 bis 2020 definiert. Dem offiziellen chinesischen Narrativ nach ist das Ziel der Eliminierung der absoluten Armut im Januar 2021 erreicht Gleichwohl gibt es Stimmen, die dies mit Verweisen auf Weltbank-Indikatoren zur Armutsmessung in Frage stellten (Post 2021);
- das Jahrhundert seit der Gründung der Volksrepublik China (1949-2049) mit dem Ziel, der Verwirklichung des sog. „Chinesischen Traums“ (Zhongguo meng 中国梦) von der nationalen Renaissance und der Rückkehr ins Zentrum der globalen Bühne.
Diese Kategorien müssen unter der Regierung Xi Jinping als die Kulisse für die Neue Seidenstraßen-Initiative verstanden werden. Die Neue Seidenstraßen-Initiative soll zur Durchsetzung der Kerninteressen der KPCh und zur Erreichung der Jahrhundertziele beitragen.
Ebenso ist die Neue Seidenstraßen-Initiative für die chinesische Regierung eine Multilateralismus-Plattform und Ausdruck eines „Multilateralismus chinesischer Prägung“. „Multilateralismus“ meint die Interaktion von drei oder mehr Staaten, die im europäischen Verständnis auf der Grundlage von allgemeinverbindlichen Normen und Standards erfolgt. Die aktuelle Parteiführung erachtet jedoch das bestehende regelbasierte multilaterale System als nicht „fair und gerecht“, sondern „den engen Interessen einer kleinen Gruppe (westlicher Staaten) dienend“ (Rudyak 2021). In seinem Bericht vor dem 19. Parteitag der KPCh beschrieb Xi seine Vision des Multilateralismus als „Dialog ohne Konfrontation, Partnerschaft ohne Allianzen“, also internationale Kooperation ohne allgemein verbindliche Regeln, sondern auf Basis von bilateralen Konsultationen zwischen zwei Staaten. Während Xi Jinping die Neue Seidenstraßen-Initiative also als Chinas Beitrag zum multilateralen System deklariert, ist damit eher eine Art Multi-Bilateralismus gemeint.
Neben dem seit dem Beginn des US-China-Handelskriegs in 2018 zunehmenden ideologischen und geopolitischen Konflikt dominiert in der medialen Risikobewertung der Neue Seidenstraßen-Initiative vor allem der Begriff „Schuldenfallen-Diplomatie“, was auch in Material M3.2 thematisiert wird. Wie im Kommentar zu M3.2 dargelegt, kam der Begriff im Jahr 2017 auf, als Sri Lanka den Hambantota Hafen für 99 Jahre an China verpachtete. Als Grund wurde in der medialen Berichterstattung eine Unfähigkeit Sri Lankas vermutet, die chinesischen Kredite zu bedienen. In der chinawissenschaftlichen Forschung gilt der Vorwurf der Schuldenfallen-Diplomatie jedoch als widerlegt. Zum einen handelt es sich bei Sri Lanka um den bisher einzigen Fall einer Übertragung von Vermögenswerten (Kratz et al. 2019), zum anderen war Sri Lanka nicht zahlungsunfähig (Umesh 2019). Vielmehr nutzte laut dem sri-lankischen Ökonom Moramudali Umesh die neu gewählte sri-lankische Regierung die Gelegenheit, einen unprofitablen Hafen, der unter der Vorgängerregierung gebaut worden war, „loszuwerden“. Es war die sri-lankische Regierung gewesen, die mit einem Pachtangebot an die chinesische Regierung herantrat, da der Hafen mit chinesischen Krediten und von einem chinesischen Unternehmen gebaut worden war. In Folge erklärte sich China Merchants Port bereit, den Hafen für 99 Jahre zu pachten. Chinesische Kredite wurden dadurch nicht erlassen. Sri Lanka nutzte die Pachterlöse, um die Anfang der 2020er Jahre fällig werdenden Kredite europäischer Privatbanken zu bedienen, da diese teurer waren, als die chinesischen. Anders als die mediale Berichterstattung vermuten lässt, war China auch nicht der größte Gläubiger Sri Lankas, sondern war Ende 2017 nach Angaben des sri-lankischen Finanzministeriums für nur 10% der gesamten Auslandsschulden des Landes verantwortlich. Als größter staatlicher Kreditgeber wurde China von Japan (12%) übertroffen; ebenso höher war die Verschuldung gegenüber den multilateralen Banken Asiatische Entwicklungsbank (14%) und Weltbank (11%); den größten Anteil mit 39% machten internationale Anleihen am Markt (v.a. bei europäischen Privatbanken) aus. Der Fall des Hambantota Hafens, so die Schlussfolgerung in der Forschung, illustriert die allgemeinen Gefahren einer Überschuldung von Entwicklungs- und Schwellenländern auf dem globalen Kreditmarkt, liefert aber keine Belege für eine gezielte „Schuldenfallen-Diplomatie“ (Umesh 2019; Jones und Hameiri 2020).
Das heißt jedoch nicht, dass die chinesischen Entwicklungskredite problemfrei sind, im Gegenteil: Die Prozesse der Kreditvergabe sind nicht transparent, was in Teilen der komplizierten chinesischen Bürokratie geschuldet ist. Die fehlende Transparenz birgt sowohl für Partnerländer wie auch für China Gefahren – Überschuldung auf der einen, kostspielige Kreditausfälle auf der anderen Seite. Doch die Reduktion von Chinas Präsenz im Globalen Süden auf das Ressourcen- und Schuldenfallen-Narrativ ist problematisch, denn sie spricht den Partnerländern chinesischer Projekte implizit selbstbestimmtes Handeln (agency) ab.
Der frühere liberianische Minister für öffentliche Arbeiten W. Gyude Moore attestiert der Neuen Seidenstraßen-Initiative, selbst wenn diese scheitern sollte, doch visionär zu sein: Der EU fehlte es vollkommen an Vorstellungskraft in Bezug auf Zusammenarbeit mit Afrika – bis China kam. Niemand sei so nah an Afrika wie Europa, und doch gab es nie einen europäischen Plan für eine transkontinentale Infrastruktur, geschweige denn einen Blick auf Afrika als potenziellem Wirtschaftspartner. Selbst wenn China mit der Neuen Seidenstraßen-Initiative scheitern sollte, gehe von der Initiative eine unglaubliche Innovation im Denken über Entwicklung aus, nämlich ein konkreter Ansatz, wie man die ärmsten Länder der Welt mit den reichsten der Welt verbinden kann (Moore 2020).
Verwendete Literatur
Forschungsperspektiven
Die Neue Seidenstraßen-Initiative (Belt and Road Initiative, BRI) gehört aktuell zu den in Bezug auf die chinesische Außen- und Wirtschaftspolitik am meisten diskutierten Themen, sowohl in der akademischen Chinaforschung als auch in Think Tanks, zivilgesellschaftlichen Organisationen und im Fachjournalismus. Dementsprechend umfangreich und vielfältig ist auch die Menge an Publikationen, die sich interessierten Leser*innen bietet. Die vorliegende Übersicht will eine Orientierungshilfe leisten, eine Einordnung der im deutschsprachigen Raum bekanntesten Quellen vornehmen und in den fachwissenschaftlichen Diskurs einführen.
Akademische Quellen zur Neuen Seidenstraßen-Initiative fallen in Fachbereiche wie Politikwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Geschichte, Geografie sowie die Transkulturellen Studien und die jeweils relevanten Regionalwissenschaften, wobei für einzelne Publikationen häufig eine multiple Zuordnung möglich ist. Dabei dominieren Themen wie Chinas Aufstieg zur Weltmacht und Chinas zukünftige Rolle in der Welt (Frankopan 2019; Hoering 2018; Hillman 2020; Rolland 2017; Maçães 2018), Auswirkungen auf die internationale Rechtsordnung (Rudolf 2021) und die globale Wirtschaftsordnung (Li und Taube 2019), die Bedeutung der Seidenstraße für Europa (Hernig 2018; Yilmaz und Liu 2018), die theoretisch-methodischen Grundlagen der Seidenstraßen-Initiative (Garlick 2020; Jones und Zeng 2018, Mayer 2017; Cai und Nolan 2019), ihre innenpolitische Relevanz (B. He 2019), Modalitäten der chinesischen Kreditvergaben im Rahmen der Initiative (Chen 2020; Chin und Gallagher 2019; A. He 2019; Malik et al. 2021), Umfang, Sektoren und Auswirkungen der chinesischen Investitionen (Lu et al. 2018) und Implikationen der Verschuldung durch chinesische Staatskredite (Cabestan 2020; Ferchen und Perera 2019; Fuchs et al. 2018; Hurley et al. 2018, Jones und Hameiri 2020; Acker et al. 2020, Horn et al. 2019).
Außerhalb des akademischen Rahmens gibt es ein großes Interesse auf Seiten zivilgesellschaftlicher Organisationen. Das Chinaprogramm der Stiftung Asienhaus, welches sich u.a. in dem Projekt „BRI in Civil Society Dialogue“ mit den ökologischen und sozialen Auswirkungen für die Bevölkerung entlang der BRI-Transportkorridore beschäftigt, hat eine Reihe von Beiträgen in deutscher Sprache veröffentlicht, die über die Webseite der Stiftung zugänglich sind. Da das Ziel des Chinaprogramms das Schaffen von Dialogräumen ist, handelt es sich bei den Beiträgen nicht um wissenschaftliche Fachartikel, sondern um Überblicksartikel zu den für die Arbeit der Stiftung relevanten Themen. Gleichwohl sind viele der Beiträge von Chinaspezialist*innen verfasst. Interessant für den Schulunterricht ist z.B. die von der Stiftung Asienhaus gemeinsam mit der britischen Umwelt-NGO „chinadialogue“ veröffentlichte Broschüre „Silk road bottom-up: Regionale Perspektiven auf die ‚Belt and Road Initiative‘“ (2018), welche den Einfluss auf Bewohner*innen, Umwelt und Wirtschaft der Länder entlang der Neuen Seidenstraße von China über den Mittleren Osten und Afrika bis nach Europa diskutiert.
Medial finden sich zahlreiche Dokumentationen, Podcasts und Zeitschriften- und Zeitungsartikel. Empfehlenswert ist die Video-Reihe „Wege zur Macht – Chinas neue Seidenstraße“ von WDR Planet Wissen (WDR 2021), die mit Beteiligung der China-Wissenschaftler*innen Maximilian Mayer (Universität Bonn) und Anja Senz (Universität Heidelberg) entstanden ist.
Verglichen mit anderen Themen sind zur Neuen Seidenstraßen-Initiative relativ viele (aus der VR China stammende) Originalquellen in englischer Übersetzung vorhanden und somit für Leser*innen ohne Chinesisch-Kenntnisse zugänglich. Dazu zählen zentrale Politikdokumente und Verordnungen, wie der Aktionsplan Neue Seidenstraße (State Council 2015) und der Aktionsplan für die Maritime Seidenstraße (NDRC et al. 2015). 2019 veröffentlichte die staatliche Foreign Languages Press ein Buch mit englischen Übersetzungen von 42 Reden des chinesischen Präsidenten Xi Jinping zur Seidenstraßeninitiative seit ihrer Verkündung im September 2013 (Xi 2019). Einen umfassenden Einblick in die chinesische akademische Forschung zur Initiative an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (Zhongguo shehui kexueyuan 中国社会科学院), insbesondere in die verschiedenen politischen und politökonomischen Aspekte bietet das „Routledge Handbook of the Belt and Road“, das gemeinsam von Cai Fang (蔡昉), Vize-Präsident der Akademie und Peter Nolan, Direktor des Zentrums für Entwicklungsstudien an der Universität Cambridge, herausgegeben wurde (Cai und Nolan 2019). Das Handbuch umfasst insgesamt 117 Beiträge zu sechs Themenfeldern: Chinas Reform- und Öffnungspolitik und die Entstehung der Neuen Seidenstraßen-Initiative; Hintergründe, Konzepte und Rahmen; fünf Landrouten und sechs Wirtschaftskorridore; Außenbeziehungen mit chinesischen Charakteristiken; internationale Aktionspläne mit Relevanz für die Neue Seidenstraßen-Initiative und Fallstudien für die Umsetzung der Initiative. Lin Yifu (林毅夫, auch bekannt als Justin Lin), einer der führenden chinesischen Ökonomen und der ehemalige Chefökonom der Weltbank (2008-2012) positioniert die Seidenstraßen-Initiative als eine Alternative zu westlichen Entwicklungshilfeansätzen, die aus seiner Sicht wegen ihres Fokus auf Infrastrukturentwicklung und Energieausbau besser geeignet ist als diese, langfristig Wirtschaftswachstum zu befördern (Lin und Wang 2019; Li und Lin 2020). Negative Auswirkungen, z. B. beim Umweltschutz, sieht er als Zwischenstufen, die erforderlich seien, damit nicht zu viele Menschen im Zuge des Entwicklungsprozesses abgehängt werden.
Populärwissenschaftliche Darstellungen der Seidenstraßen-Initiative
Zu den bekanntesten populärwissenschaftlichen Büchern über die Seidenstraßen-Initiative im deutschsprachigen Raum zählt das Buch „Die neuen Seidenstraßen: Gegenwart und Zukunft unserer Welt“ (2020) (Originaltitel: „The New Silk Roads: The Present and Future of the World“, 2019) von Peter Frankopan, Professor für Globalgeschichte an der britischen Universität Oxford. Frankopan stellt die neue Seidenstraßen-Initiative in einen globalhistorischen Kontext, in dem er die Seidenstraße nicht nur als Weg für den Transport von Gütern, sondern als Symbol der Verwobenheit zwischen Ost und West präsentiert, einer Globalisierung, die schon vor langer Zeit existierte.
Die Seidenstraßen lassen uns die Vergangenheit nicht als eine Abfolge von klar abgegrenzten Epochen und Regionen verstehen, sondern sie rücken die Rhythmen der Geschichte in den Blick, die über Jahrtausende Teil einer um- und in sich fassenden globalen Vergangenheit waren.
Frankopan 2020, S. 2.
Die alte Seidenstraße ist für Frankopan also ein Symbol der Fluidität von Beziehungen zwischen Staaten. Die Neue Seidenstraßen-Initiative beschreibt er als einen Epochenwechsel: Die Machtverhältnisse verschieben sich von West nach Ost, was er u. a. damit begründet, dass 70 % der globalen Ölreserven, 85 % der globalen Reisproduktion und drei Viertel der seltenen Erden im Osten liegen. Da die Neue Seidenstraßen-Initiative ein Versuch Chinas sei, wieder das Reich der Mitte zu werden und in das globale Zentrum zurückzukehren, sei die Initiative mehr als Straßen, Schienen und Schifffahrtsrouten: es gehe vor allem um Kommunikationswege für Ideen, kulturelle Bräuche und politische Ansichten. Frankopans Buch basiert auf Reden chinesischer Kader, offiziellen Dokumenten und chinesischen Medienberichten. Was fehlt ist eine kritische Einordnung der Quellen und Aussagen, wie z. B. im Fall der „Nichteinmischungspolitik“, die de facto bedeutet, dass die VR China keine diplomatischen Beziehungen mit Ländern aufnimmt, die Taiwan anerkennen.
Auch das Buch des Politikwissenschaftlers und Journalisten Uwe Hoering, „Der lange Marsch 2.0.: Chinas Neue Seidenstraßen als Entwicklungsmodell“ (2018), ebenso wie andere Publikationen des Autors, dürften zu den ersten gehören, auf die Leser*innen bei der Suche nach deutschsprachiger Literatur stoßen. Hoerings Buch basiert vor allem auf (westlicher) medialer Berichterstattung und Blogs. Auch wenn es inzwischen stellenweise überholt ist, kann als eine Einstiegslektüre dienen, die vor allem entwicklungspolitische Herausforderungen im Zusammenhang mit der Initiative beleuchtet.
Neue Seidenstraßen-Initiative als Instrument von Chinas Geopolitik
Eine ausführliche deutschsprachige Einführung in die denktheoretischen und politischen Ursprünge der Seidenstraßen-Initiative bietet die Studie der China-Politikwissenschaftlerin Nadine Godehard (2014). Godehard legt dar, dass die Ursprünge der Initiative in den Bestrebungen liegen, die nordwestliche Provinz Xinjiang durch stärkere wirtschaftliche Anbindung an Zentralasien, vor allem durch Handel, zu stabilisieren. Theoretisiert wurde dieser Ansatz zunächst durch Wang Jisi, damals Dekan der Schule für Internationale Studien an der Peking Universität, der in seinem Artikel in der chinesischen Tageszeitung Global Times, „Der Marsch nach Westen: Die Neuausrichtung der chinesischen Geostrategie“ (西进:中国地缘战略的再平衡) argumentierte, dass China neben der verbesserten Anbindung Xinjiangs an Zentralasien einen Plan für den Umgang mit den Nachbarregionen Zentralasien, Südasien, dem Mittleren Osten und dem Raum ums Kaspische Meer benötigte (Wang 2012). Wang sah eine stärkere Anbindung der Nachbarregionen an China als ein Mittel, die Gefahr einer direkten Konfrontation mit den USA zu reduzieren und sprach dabei von einer „neuen Seidenstraße“. Godehard diskutiert die Ideen und die Rezeption Wang Jisis unter chinesischen Intellektuellen und in den USA und zeichnet nach, wie aus einer Idee in akademischen Kreisen eine globale Strategie wurde. Der britische Politikwissenschaftler Zeng Jinghan (曾敬涵) weist darauf hin, dass die Seidenstraßen-Initiative auch ein zentraler politischer Slogan und Propagandainstrument ist, und zwar sowohl im innenpolitischen Kontext wie auf globaler Bühne (Zeng 2020, 75-110). Dabei beleuchtet er auch, wie chinesische Akademiker*innen ihre Kritik an der Initiative zum Ausdruck bringen, nämlich durch demonstrative Nichtteilnahme an der Propaganda: Sie schreiben Artikel über Chinas Außenwirtschaft oder Geopolitik, ohne darin den Begriff „Neue Seidenstraße“ zu verwenden – und umgehen damit die Zensur, die sie einer direkten Kritik aussetzen würde.
Der deutsche Jurist Moritz Rudolf, der chinesische Rechtskonzepte erforscht, befasst sich in seinem Buch mit Chinas Einfluss auf die Gestaltung der globalen Ordnung (Rudolf 2021)mit mehreren hundert chinesischen Primärquellen, um aufzuzeigen, wie China im Rahmen der Seidenstraßen-Initiative in verschiedenen Politikbereichen China-zentrierte Netzwerke aufgebaut hat und mittels dieser versucht, seine internationale Diskursmacht zu vergrößern – z. B. durch Einbringen chinesischer Konzepte wie „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“ (renlei mingyun gongtongti 人类命运共同体) in Resolutionen der Vereinten Nationen oder durch alternativer Definitionen von Rechtsbegriffen wie „Rechtsstaatlichkeit“, „Menschenrechte,“ oder „Demokratie”. Der genaue Inhalt dieser Definitionen findet sich im „Decoding China Dictionary“, einem sinologischen Projekt, das untersucht, wie zentrale Konzepte der internationalen Beziehungen im offiziellen chinesischen Diskurs anders verstanden werden als in liberalen Demokratien.
Die Sinologin und Politikwissenschaftlerin Nadège Rolland (2019) zeichnet nach, wie China mit der internationalen Kritik an der Seidenstraßen-Initiative umgeht. Sie beschreibt, wie China als Reaktion eine große Anzahl von technischen und Regionalexperten beauftragt hat, Erfolge und Misserfolge der Initiative zu bewerten und daraus Handlungsempfehlungen für ein Nachsteuern abzuleiten. Rolland zeigt somit, wie China bei der Seidenstraße als ein lernendes autoritäres System agiert, die Initiative also die gleichen Merkmale von Experimentierpolitik aufzeigt, wie es der China- und Politikwissenschaftler Sebastian Heilmann in seiner Analyse der chinesischen Wirtschaftspolitik seit Deng Xiaoping beschreibt (Heilmann 2008; Heilmann und Perry 2011).
Vermessung der BRI
Während der Begriff „Neue Seidenstraßen-Initiative“ in der außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Rhetorik der chinesischen Regierung nahezu allgegenwärtig ist, gibt es bis heute keine offizielle Definition oder Übersicht seitens der chinesischen Regierung, welche Projekte, Kredite und Auslandsinvestitionen zu der Initiative gehören. Ebenso wenig veröffentlicht die chinesische Regierung umfassende Zahlen und Daten zu der BRI. Diese Unschärfe kann selbst als chinesische Strategie verstanden werden, jedoch stellt sie Wissenschaftler*innen, die den Umfang und die Auswirkungen der BRI vermessen wollen, vor substanzielle Herausforderungen, wie der amerikanische Ökonom Jonathan Hillmann beschreibt, der am Center for Strategic and International Studies in Washington das Projekt „Reconnecting Asia“ leitet, welches aus öffentlich verfügbaren Quellen Daten zur BRI erhebt: „Die Vermessung der Neuen Seidenstraßen-Initiative ist teils Kunst, teils Wissenschaft. Sie ist ein bewegliches Ziel, das nicht genau definiert ist und sich ständig erweitert.” (Hillmann 2018). Man muss Hillmann recht geben: Was mit Land- und Seewegen begann, erstreckt sich nun bis in die Arktis („Polare Seidenstraße“, Beiji sichou zhilu 北极丝绸之路), in den Cyberspace („Digitale Seidenstraße“, Shuzi sichou zhilu 数字丝绸之路) und in den Weltraum („Weltraum-Seidenstraße“, Taikong sichou zhilu 太空丝绸之路). Seit dem Ausbruch der COVID-19 Pandemie ist zudem die „Gesundheits-Seidenstraße“ (Jiankang sichou zhilu 健康丝绸之路) hinzugekommen, die von der chinesischen Regierung als Rahmen für Lieferungen von Impfstoffen und Schutzkleidung verwendet wird und im westlichen öffentlichen Diskurs als ein Instrument der Masken- und Impfstoffdiplomatie bezeichnet wird.
In Ermanglung offizieller Daten arbeiten Forschungsgruppen, die versuchen, die Seidenstraßen-Initiative zu vermessen, mit Open Source Intelligence-Techniken und Data Mining aus öffentlich zugänglichen Quellen.
- Das AidData-Projekt, ein Zusammenschluss mehrerer europäischer und amerikanischer Forscher, hat einen frei zugänglichen globalen Datensatz zur öffentlichen Entwicklungsfinanzierung Chinas zusammengestellt, der die staatlichen chinesischen Kredite von 2000 bis 2017 erfasst. Anhand dieser Daten haben die beteiligten Forscher*innen die Auswirkungen der chinesischen Kredite auf das Wirtschaftswachstum in Empfängerländern (Dreher et al. 2017) und auf die geografische Verteilung der Wirtschaftstätigkeit (Bluhm et al. 2018) gemessen. Ebenso betrachtet AidData Faktoren, nach welchen chinesische Kredite vergeben werden (Dreher et al. 2018) und untersucht, wie sich die Vergabepraktiken und Projektumsetzungen über die Zeit verändert haben (Malik et al. 2021).
- Das Forschungsteam um Deborah Brautigam an der China-Africa Research Initiative der Johns Hopkins School of Advanced International Studies (SAIS-CARI) hat eine Datenbank mit chinesischen Krediten an afrikanische Regierungen (2000-2017) erstellt. In den Publikationen der Forschungsgruppe werden die allgemeinen Auswirkungen der offiziellen chinesischen Kreditvergabe an Afrika (Hwang, Brautigam und Eom 2016) sowie ihre Auswirkungen auf bestimmte Sektoren wie Wissenstransfer durch berufliche Bildung (Tang 2019; Meng und Nyantakyi 2019) oder Landwirtschaft (Brautigam 2015; Zhou 2018) analysiert.
- Das Global Development Policy Center (GDPC) an der Boston University unterhält Datenbanken zur chinesischen Finanzierung von Energieprojekten, zu chinesisch betriebenen Energiekraftwerken weltweit und zu chinesischen Investitionen in Lateinamerika, welche den Zeitraum 2008 bis 2019 abdecken.
- Das transdisziplinäre Projekt People’s Map of Global China kartiert in Zusammenarbeit mit NGOs, Journalisten, Gewerkschaften und Akademikern Informationen zu Projekten nach den Parametern wie beteiligte chinesische Unternehmen und Banken sowie den sozialen, politischen und ökologischen Auswirkungen der Projekte.
Fallstudien zu Ländern und Regionen
Zahlreiche Forscher*innen beschäftigen sich mit den Transportkorridoren und Schwerpunktregionen der Seidenstraßen-Initiative. Der amerikanische Politikwissenschaftler Andrew Small analysiert eines der Flaggschiff-Projekte der Seidenstraßen-Initiative, den China-Pakistan Wirtschaftskorridor (Small 2020). Der pakistanische Sozialwissenschaftler Ejaz Hussain (2017) und die Ökonomen Zhang Ruilian (张锐连), Francis Andam und Shi Guoqing (施国庆) von der Hohai Universität in Nanjing (Zhang et al. 2017) untersuchten die möglichen negativen Auswirkungen auf die Umwelt, die durch den Korridor entstehen könnten. Der slowenische Politikwissenschaftler Anastas Vangeli (2018) untersucht die Beziehungen zwischen China und den mittel- und osteuropäischen Ländern im Rahmen des „16 + 1“ Mechanismus (vgl. hierzu M 1.2) und beleuchtet die Symbolmacht und die möglichen Einflüsse Chinas auf Kooperationsstrukturen in Zentral- und Osteuropa. Dirk van der Kley (2020, auch van der Kley und Yau 2021) von der Australischen Nationaluniversität beschäftigt sich mit Beschäftigungsverhältnissen in chinesischen Projekten in Zentralasien anhand der Beispiele Kirgistan und Tadschikistan. Basierend auf Feldforschung widerspricht er der weit verbreiteten Annahme, dass chinesische Unternehmen immer eigene Arbeitskräfte mitbringen. Je länger Unternehmen vor Ort sind, desto stärker versuchen sie, ihre Arbeitskräfte (Management ausgenommen) zu lokalisieren, nicht zuletzt, weil dies meist kostengünstiger ist. Ähnliches lässt sich ihm zu Folge auch in Afrika beobachten (van der Kley 2021).
Der China-Politikwissenschaftler Rafaello Pantucci (2019) vom Royal United Services Institute (RUSI) in London hebt die Attraktivität der Neuen Seidenstraßen-Initiative gerade für junge Menschen in Zentralasien hervor: Für diese erscheint der Westen weit weg, während China durch Stipendienangebote für ein Studium an chinesischen Universitäten und Chinesisch-Sprachkurse an den Konfuzius-Instituten zunehmend Soft Power entfaltet. Dadurch, ebenso wie durch seine immer größere wirtschaftliche Präsenz verdrängt China zunehmend die alte Hegemonialmacht Russland. Gleichwohl, thematisiert Pantucci, nimmt auch die Xenophobie gegenüber Chines*innen in allen zentralasiatischen Ländern zu.
Die Forschung zur Neuen Seidenstraßen-Initiative in Afrika lässt sich schwer von dem weiteren Korpus der China-Afrika-Literatur abgrenzen. Eine umfangreiche Auswahl an akademischen Arbeitspapieren zu verschiedenen Aspekten der Initiative findet sich auf der Seite der bereits genannten China-Africa Research Initiative der Johns Hopkins School of Advanced International Studies (SAIS-CARI).
Unterschiede zwischen der chinesischen und der westlichen Entwicklungsfinanzierung
Viel Beachtung erfährt auch die Frage, wie sich die chinesischen Entwicklungskredite von westlicher Entwicklungsfinanzierung unterscheiden. Gregory Chin und Kevin Gallagher (2019) stellen fest, dass China ein „koordiniertes Kreditraummodell“ verfolgt, bei dem Kredite staatlicher Entwicklungsbanken mit Krediten von Geschäftsbanken und großen chinesischen (meist staatlichen) Unternehmen kombiniert werden. Das unterscheidet sich von den westlichen Ansätzen, wo Entwicklungshilfe und kommerzielle Kredite meist streng voneinander getrennt sind. Chen Muyang (陈沐阳) (Chen 2020) von der Peking Universität erklärt hierzu, dass der chinesische Staat Entwicklungshilfe als Türöffner und Absicherung für ansonsten kommerzielle Aktivitäten chinesischer Unternehmen nutzt, wobei damit durchaus entwicklungspolitische Ziele wie z. B. Infrastrukturentwicklung verfolgt werden.
Verwendete Literatur
Lernziele/Kompetenzen
Sachkompetenz:- Die Schüler*innen verfügen über ein Überblickswissen zur Neuen Seidenstraßen-Initiative und können dieses fachgerecht wiedergeben.
- Die Schüler*innen können verschiedenen Handlungsebenen vom Individuum bis hin zu nationalen Regierungen und zur Weltebene in ihrer jeweiligen Funktion für Entwicklungsprozesse erkennen.
- Die Schüler*innen können durch kritische Reflexion zu Globalisierungs- und Entwicklungsfragen Stellung beziehen und sich dabei an der internationalen Konsensbildung, am Leitbild nachhaltiger Entwicklung und an den Menschenrechten orientieren.
- Die Schüler*innen können Ansätze zur Beurteilung von entwicklungspolitischen Maßnahmen unter Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen und Rahmenbedingungen erarbeiten und zu eigenständigen Bewertungen kommen.
- Die Schüler*innen können und sind aufgrund ihrer mündigen Entscheidung bereit, auf gesellschaftlicher und politischer Ebene am Diskurs mitzuwirken.
- Die Schüler*innen können Informationen selbstständig exzerpieren, verarbeiten und präsentieren, sowie Aussagen in medialen Darstellungen zur Neuen Seidenstraßen-Initiative kritisch abwägen.
- Sowohl die Gruppenarbeit als auch eine Diskussion im Plenum fördern die sozialen Kompetenzen der Schüler*innen.
Didaktisch-methodischer Kommentar
Die Neue Seidenstraßen-Initiative tritt in die Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler bei Themen wie deutsche Entwicklungspolitik und Deutschlands Verantwortung in der Welt.
Mit Hilfe des Moduls sollen die Schüler*innen in die Lage versetzt werden, eine eigenständige und gut begründete Position zur Neuen Seidenstraßen-Initiative zu formulieren.
Das Modul setzt sich zusammen aus einem auf 90 Minuten angelegten Basis-Teil, der in das Thema Neue Seidenstraßen-Initiative einführt und Grundlagen vermittelt, und Materialien, die für eine auf mehrere Unterrichtseinheiten angelegte Befassung mit dem Thema verwendet werden können.
Für das Modul wird kein vorheriges Chinawissen vorausgesetzt. Dennoch ist es so angelegt, dass es ggf. vorhandenes Wissen der Schüler*innen aus der medialen Berichterstattung über China und die Neue Seidenstraßen-Initiative integriert.
1. Unterrichtseinstieg: Perspektiven-Gegenüberstellung und eigenständige Bewertung
Der Einstieg in das Unterrichtsmodul erfolgt über zwei redaktionelle Illustrationen (L1), die je einem deutschen und einem chinesischen Nachrichtenmedium entstammen und somit jeweils eine deutsche und eine chinesische Perspektive auf die Neue Seidenstraßen-Initiative repräsentieren. M1.1 aus der chinesischen Zeitung China Daily, die in englischer Sprache durch die Propaganda-Abteilung der KPCh herausgegeben wird; M1.2 aus der deutschen Wirtschaftszeitung Handelsblatt.
Es bietet sich an, den Schüler*innen zunächst die Bilder ohne Quellenangaben zu zeigen und sie eigenständig aus der Bildsprache rückschließen zu lassen, welches Bild einem deutschen und welches einem chinesischen Medium entstammen könnte. Anschließend sollen sich die Schüler*innen anhand der Bilder und ihres ggf. aus den Medien gespeisten Vorwissens in Kleingruppen darüber austauschen, wie sie die Neue Seidenstraßen-Initiative einschätzen. Danach sammelt die Lehrkraft die Ergebnisse des Austausches im Plenum und hält sie in einem Tafelbild fest. Das Tafelbild soll bis zum Ende der Unterrichtseinheit gesichert werden, da es am Schluss als eine Referenz für Erkenntnisse und Perspektiven-Änderungen dienen soll.
2. Lehrvortrag
Die Diskussionspunkte und Eindrücke sollen von der Lehrkraft mit Hilfe eines Lehrvortrags (L2) konzeptualisiert werden. Der hierzu bereitgestellte Informationstext (M2.1) gibt einen Überblick über die Ursprünge der Neuen Seidenstraßen-Initiative, ihre geografischen und wirtschaftlichen Eckdaten, die dahinterstehenden Motive und Interessen des chinesischen Staates, sowie die mit ihr verbundenen Chancen und Risiken für die internationale Gemeinschaft. Der Lehrtext wird um eine Karte (M2.2) ergänzt, welche die geografische Ausdehnung und die Transportkorridore der Neuen-Seidenstraßen-Initiative illustriert. Idealerweise sollten die Inhalte des Lehrtextes von der Lehrkraft im Anschluss an L1 vorgestellt werden. Der Lehrtext kann aber auch von den Schüler*innen individuell gelesen werden.
3. Erarbeitungsphase: Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven
Nachdem die Schüler*innen in der Einstiegsphase anhand von Bildern (L1) erschlossen haben, dass es in den chinesischen Staatsmedien und in den deutschen Medien unterschiedliche Perspektiven auf die Neue Seidenstraßen-Initiative gibt, setzen sie sich in der Erarbeitungsphase vertieft mit drei verschiedenen Perspektiven auf die Neue Seidenstraßen-Initiative auseinander: die Perspektive Chinas (M3.1), die Perspektive Europas (M3.2) und die Perspektive eines Partnerlandes, hier: Kenia (M3.3).
Dabei sollen zum einen die Kernaussagen der drei Videos herausgearbeitet werden. Anschließend soll eine Leitfrage beantwortet werden, wie etwa „Ein Infrastrukturplan, der die ärmsten Länder der Welt mit den reichsten verbinden soll oder ein Instrument des Neokolonialismus, das Entwicklungsländer in Schuldenfallen treiben will?“ Für die Diskussion der drei verschiedenen Perspektiven und die Beantwortung der Leitfrage bietet sich das Format der Gruppenarbeit an.
4. Diskussion und Sicherung der Ergebnisse
Die Ergebnisse der Kleingruppenarbeit werden im Plenum präsentiert und diskutiert und von der Lehrkraft in einem Tafelbild festgehalten. Anschließend wird dieses Tafelbild mit dem Eingangstafelbild (zu den Bildern M1.1 und M1.2) verglichen und diskutiert, inwieweit sich die Einschätzung in Tafelbild 2 von der Einschätzung in Tafelbild 1 unterscheidet, also wie sich die Bewertung der Neuen Seidenstraßen-Initiative durch die Auseinandersetzung mit dem Quellenmaterial verändern hat.
Ablauf
Marina Rudyak
Inhalt
Autor*in
Marina Rudyak
1 Lernmodul

Lernmodul Includes
- 4 Lerneinheiten
- 7 Materialien
- 2 Aufgaben