Chinas Minderheitenpolitik – Infrage gestellte Harmonie
China hat 55 staatlich anerkannte Minderheiten, denen eine Mehrheit gegenübersteht, die 90% der Bevölkerung ausmacht. Wie prägt diese Ausgangslage Alltag und aktuelle Politik in China und warum ist sie wichtig für Menschen außerhalb Chinas?
China ist ein Vielvölkerstaat mit 55 staatlich anerkannten Minderheiten. Das hört sich nach großer Vielfalt an – aber was bedeutet es, wenn diese Minderheiten insgesamt nur einen Anteil von weniger als 10% der Bevölkerung ausmachen? Wann (wenn überhaupt) nehmen wir wahr, dass es Minderheiten in China gibt, und warum sollte es außerhalb von China überhaupt von Interesse sein, dass das Wort „Chines*innen“ ein wenig präziser Sammelbegriff ist? Wer durch China reist oder Dokumentationen anschaut, dem werden regionale Unterschiede unmittelbar vor Augen geführt. Für den chinesischen Staat bringt die Vielzahl der Ethnien im Land positive und negative Aspekte mit sich. Wirtschaftlich kann die Diversität für inländischen und ausländischen Tourismus vermarktet werden; wissenschaftlich betrachtet, birgt sie vielfältige Forschungsmöglichkeiten vor allem in soziologischer, ethnologischer und historischer Hinsicht. In der zentralstaatlichen Wahrnehmung ist damit aber zugleich auch die Gefahr des Separatismus verbunden – Gruppen, die sich aus politischen Gründen als Nicht-Han-Chines*innen definieren, droht erzwungene Anpassung an die Han-Mehrheit bis hin zu Unterdrückung und Auslöschung der behaupteten Andersartigkeit.
Das vorliegende Modul geht im ersten Teil der Frage nach, wie sich die Minderheitenpolitik seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ausgeformt hat. Dabei lädt das Thema dazu ein, über Eigen- und Fremdbilder zu diskutieren und Begriffe wie Kultur, Ethnie, Minderheit(-en) und Mehrheit zu dekonstruieren. Schließlich wird in einer zweiten Einheit ausgewertet, welchen Einfluss die aktuelle Nationalitätenpolitik auf die Situation in der nordwestchinesischen Autonomen Region Xinjiang hat. Hier bietet es sich an, nicht zuletzt aufgrund der bestehenden internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu Xinjiang auch die ethisch-moralische Dimension des eigenen Handelns (Konsum, politisches Engagement, Reisen nach China privat/Schulaustausch) in den Blick zu nehmen. Wichtiges übergeordnetes Kompetenzelement in beiden Modulteilen ist dabei der bewusste und verantwortungsvolle Umgang mit verschiedenartigen Quellen.
Thematische Einführung
TEIL 1
55 Minderheiten, eine Mehrheit? (Lerneinheit 1 und Lerneinheit 2)
Mit mehr als 1,2 Milliarden Angehörigen und damit mehr als 90% Anteil an der Gesamtbevölkerung ist die Gruppe der Han-Chinesen (Han, 汉) heute mit Abstand die größte Ethnie in China. Sie ist 76-mal größer als die nächstgrößte ethnische Gruppe, die Zhuang 壮族, und vierhunderttausend Mal größer als die kleinste anerkannte ethnische Gruppe, die Lhoba (Luobazu, 珞巴族). Auf dem Festland werden Han-Chinesen wie auch die ethnischen Minderheiten heute als minzu 民族– oder Ethnie/Nationalität1Der chinesische Begriff minzu ist mehrdeutig (ethnische Gruppe, Nation, Nationalität, Volk, Rasse). In diesem Modul variiert die Übersetzung daher je nach Kontext. definiert. Die Han (Hanzu, 汉族) bilden zusammen mit den 55 offiziell anerkannten ethnischen Gruppen (z.B. Zhuangzu 壮族, Yizu 彝族, Uiguren/ Weiwuerzu 维吾尔族, Baizu 白族, Tibeter/Zangzu 藏族, Miaozu 苗族, Lisuzu 傈僳族, Mongolen/Mengguzu 蒙古族 etc.) den chinesischen Nationalstaat. Dabei ist auch die Mehrheit der Han-Chinesen keine homogene Gruppe, sondern ein Ergebnis der Vermischung verschiedener Ethnien mit bis heute großen Unterschieden im Blick auf Sprache, Bräuche etc., zugleich aber einer angenommenen gemeinsamen Han-Identität. Mit dem Han-Sein war historisch und ist bis heute die Macht verbunden, andere als Nicht-Han zu charakterisieren (Mullaney 2012, 1; Shih 2002, 235).
Historischer Abriss
[Vorbemerkung: Je nach Vorkenntnissen (evt. durch andere Module im Rahmen eines Seminarkurses) können die hier dargestellten Inhalte über einen Lehrkräftevortrag vermittelt werden – eine aufbereitete ppt-Präsentation ist auf Anfrage verfügbar. Auch kann der folgende Text ganz oder in Teilen als Material eingesetzt werden.]
Ursprünge
Die chinesischen Zeichen für das, was wir heute als China bezeichnen, sind Zhongguo 中國, die Mitte zhong 中, das Land/der Staat guo 國. Häufig als „Reich der Mitte“, aber seltener auch “Mittellande” übersetzt, wurde als Begriff erstmals in der Zhou-Dynastie (周 1046-221 v. u. Z.) in literarischen Quellen verwendet und hat seitdem keineswegs immer die gleiche geographische Abdeckung. Auch lag die Herrschaft immer wieder in den Händen unterschiedlicher Volksgruppen – unter den bekannteren z.B. die Phase der Herrschaft der Mongolen während der Yuan-Dynastie 元 (1271-1368).
Dem Zeichen guo 國, Land/Staat liegt ein Konzept zugrunde, das Aufschluss über die Wahrnehmung des physischen Konstrukts „China“ gibt. Außen abgebildet ist ein Rechteck, ein Territorium, das mit Waffen (im Inneren der Langzeichenversion) verteidigt wird. Dabei schwingt der Gedanke der Abgrenzung eines Kernlandes gegenüber den Grenzregionen und den Nachbarländern mit – ein „Wir“, dem die „Anderen“ gegenübergestellt sind, die Barbaren, gegen die es sich zu verteidigen galt. Das hier zum Ausdruck kommende Weltbild wirkte sich in vielerlei Hinsicht auf den Umgang mit diesen „Anderen“ aus. Bereits in der Han-Dynastie 漢, also etwa ab 200 v. u. Z., wurden ethnischen Gruppen, die nicht zu den Völkern der zentralen Ebenen am Unterlauf des Gelben Flusses (Huang He 黄河) gehörten, vor allem solchen an den südwestlichen Grenzen, abwertende Namen gegeben. Die Namen dieser Ethnien wurden mit Schriftzeichen geschrieben, die Bestandteile enthielten, die Insekten, Hunde, Rinder, Pferde und Schafe konnotierten, einerseits sicher, um das naturnahe Leben dieser Gruppen zu beschreiben, andererseits aber auch, um auf die barbarische Natur und unmenschliche Herkunft dieser Gruppen anzuspielen. (Guder, o. J.; Lam 2011, 135)
Einschnitt: Das Ende der letzten Dynastie
Das Ende der letzten kaiserlichen Dynastie, der mandschurischen (also nicht Han-chinesischen [Manzu 满族]) Qing-Dynastie 清 (1644-1912) brachte einschneidende Umbrüche mit sich. Zwei Aspekte sind dabei von besonderem Interesse für das vorliegende Modul: Zum einen die Suche nach Alternativen zum bestehenden kaiserlichen Herrschaftssystem unter den Mandschuren, zum anderen ein wachsendes Interesse an westlichen Wissenschaften wie z.B. der Ethnologie und der Soziologie. Beide Aspekte wirkten sich fundamental auf den Umgang mit den auf dem „chinesischen“ Territorium lebenden Ethnien/Minderheiten aus.
Auf politischer Ebene war diese End-Zeit der Qing-Dynastie geprägt von Überlegungen, wer zum Staatskörper dazugehören und wer die Macht ausüben sollte. Die von den inländischen Reformern vorgeschlagene konstitutionelle Monarchie unter einem Mandschu-Kaiser schloss die Mandschu mit ein. Die Mandschus hatten sich, so das Verständnis der Reformer, kulturell z.B. durch die Übernahme des Beamtensystems in die Han-Mehrheit integriert. Wie alle anderen Menschen, die auf dem imaginierten „Territorium des Gelben Kaisers“ lebten, gehörten sie für die Reformer mit zur „gelben Rasse“. (Dikötter 2019, 145–49; neuere Forschungsergebnisse weisen hingegen in eine etwas andere Richtung – vgl. Kommentar zur sog. New Qing History unter „Forschungsperspektiven“ in diesem Modul).
Nationalstaatsgründung
Anders die Reformer schlossen die revolutionären Kräfte, die einen Systemwechsel anstrebten, Mongolen, Mandschus, Tibeter und andere kleinere Gruppen als potentielle Träger von Staatsmacht bewusst aus. Unter Rückgriff auf den Namen der Han-Dynastie 漢 (202 v. u. Z – 220 u. Z.) rückten sie das konstruierte Konzept einer Han-Nationalität in den Mittelpunkt, der alleine die Ausübung der Staatsmacht in der chinesischen Republik zukommen sollte. Eine in sich geschlossene ethnische Gruppe, wie der Begriff „die Han“ suggeriert, gab es allerdings auch zu diesem Zeitpunkt gar nicht, vielmehr wurden die im Kernland lebenden, theoretisch durchaus voneinander unterscheidbaren ethnischen Gruppen als Einheit den an den Rändern lebenden großen und kleinen ethnischen Gruppen gegenübergestellt. Dabei behielt auch für die Revolutionäre das Konzept der „gelben Rasse“ besonders in der Abgrenzung und Gegenwehr nach außen und als einigendes Element über die Grenzen einzelner ethnischer Gruppen im Inneren hinweg weiterhin eine wichtige Bedeutung. In den Worten des ersten (provisorischen) Präsidenten der Republik China, Sun Yat-sen 孙逸仙 (Sun Yixian, 1866-1925): „Die größte Kraft ist das gemeinsame Blut. Die Chinesen gehören zur gelben Rasse, weil sie vom Blutbestand der gelben Rasse abstammen. Das Blut der Ahnen wird durch Vererbung in der Rasse weitergegeben und macht Blutsverwandtschaft zu einer mächtigen Kraft.“2Sun Yat-sen, Sanminzhuyi (The Three Principles of the People – Die Grundlehren des Volkes), (Yat-sen Sun 1927, 20,21). Für Sun Yatsen wie auch Chiang Kaishek gehörten z.B. gemäß der von ihnen herangezogenen Einteilung in “fünf Rassen Chinas” (Han, Mandschu, Mongolen, Tibeter und Hui) alle nomadischen und sesshaften, chinesischen und turkischen Muslime zur „Rasse“ der Hui. Millward 2007: 207. (Mullaney 2012, 1–22; Dikötter 2019, 145–61)
Die erste Flagge der Republik China zeigte, der zum Zwecke des Machterhalts zu wahrenden Einheit folgend, fünf Farben, die für die fünf großen ethnischen Gruppen standen: Han-rot, Mandschu-gelb, Mongolen-blau, die muslimischen Hui-weiß und die Tibeter-schwarz (in waagerechten Streifen von oben nach unten). (Mittler 2004, 430; Harrison 2000)
Noch unter den Qing wurde ferner 1909 ein Staatsangehörigkeitsgesetz erlassen, das vorsah, ein patrilineares jus sanguinis anzuwenden: Kinder eines Qing-Untertanen übernahmen demgemäß die Nationalität ihres Vaters, nur bei unbekanntem Vater die Nationalität der Mutter. Diese Regelungen behielten auch in der Republik China ihre Gültigkeit und wurden auch in der VR China im Kern weiter umgesetzt. (Guo 2014, 5,6)
Ethnologische Forscher der Republikzeit, die an staatlichen Einrichtungen forschten, waren mit dem staatlichen Auftrag unterwegs, die Assimilierung der in den Grenzregionen lebenden Minderheiten zu unterstützen. Anders als ihre kaiserzeitlichen Vorgänger (und auch anders z.B. als die ihnen vorausgegangenen westlichen Reiseschriftsteller) verwiesen die republikzeitlichen Ethnologen auf die Leistungen der Minoritäten, die diese bei der Erschließung der Grenzregionen erbracht hatten. Der zu früheren imperialen Zeiten noch negative Blick auf die „Barbaren“, der beispielsweise in der zuvor erwähnten Namensgebung zum Ausdruck kam, war unter den Manchus zwar schon differenzierter geworden, es bestand aber nun vor allem der Anspruch, mit neuen “wissenschaftlichen” (kexue 科学) Methoden zu einer neuen (und zugleich die Komplexität systematisch reduzierenden) Namensgebung für die Minderheiten zu kommen. Nichtsdestotrotz setzten diese Forscher im Auftrag des neuen republikanischen Staates das Narrativ des zu zivilisierenden „Anderen“ fort, indem sie in ihren Veröffentlichungen auf die Rückständigkeit und Primitivität der lokalen Kulturen hinwiesen, verbunden mit Vorschlägen, wie diese durch Bildung und andere soziale Maßnahmen zu zivilisieren seien. (Lam 2011, 135–37)
VR China: Das Konzept der regionalen Autonomie für Minderheiten
Mit der Machtübernahme durch die Kommunisten 1949 änderte sich der Blick auf die „rassentheoretisch“ begründete Abgrenzung von Ethnien nach außen hin bzw. deren politisch gewollten Zusammenschluss im Inneren, die während der Republikzeit in Form der Vorstellung von einer „gelben Rasse“ noch weitestgehend unhinterfragt akzeptiert waren (Dikötter 2019, 152,153). Die Suche nach einer alternativen, nach innen die Einheit des multiethnischen Nationalstaates stärkenden Kraft führte zu einem aus dem russischen Kontext stammenden Konzept: Schon 1931 hatten die chinesischen Kommunisten in ihrer Parteiverfassung (Art.14) das Recht auf Selbstbestimmung für die Ethnien/Nationalitäten3Verfassung des Allchinesischen Sowjet-Kongresses 1931, Art. 14: Die Sowjetregierung Chinas erkennt das Selbstbestimmungsrecht der nationalen Minderheiten in China an, ihr Recht auf vollständige Trennung von China und auf die Bildung eines unabhängigen Staates für jede nationale Minderheit. Alle Mongolen, Tibeter, Miao, Yao, Koreaner und andere, die auf dem Territorium Chinas leben, genießen das volle Recht auf Selbstbestimmung, d.h. sie können sich entweder der Union der chinesischen Sowjets anschließen oder sich von ihr abspalten und ihren eigenen Staat bilden, wie sie es vorziehen. Das Sowjetregime Chinas wird sein Möglichstes tun, um den nationalen Minderheiten zu helfen, sich vom Joch der Imperialisten, der KMT-Militaristen, der Stammesführer, der Fürsten, Lamas und anderer zu befreien und vollständige Freiheit und Autonomie zu erlangen. Das Sowjetregime muss die Entwicklung der nationalen Kulturen und der jeweiligen Nationalsprachen dieser Völker fördern. Zitiert nach: https://sites.google.com/site/legalmaterialsontibet/home/communist-constitution-1931
Zugleich verweist der Sinologe J. Leibold darauf, dass schon 1934 in der revidierten Version der Verfassung die nationale Selbstbestimmung für Minderheiten nur noch in abgeschwächter Form (minzu ziyou/nationale Freiheit für Minderheiten) aufgenommen wurde. (Leibold 2007, 91) Mit der Machtübernahme veränderte sich nach 1949 allerdings die Auslegung des Konzepts der Selbstbestimmung, da es die Bedingungen in China in den Augen der Führungsebene nicht zuließen, ein der Sowjetunion ähnliches föderales System aufzubauen – geschweige denn, Territorium abzugeben. Gleichzeitig erforderte auch zu dieser Zeit das Ziel der territorialen Einheit pragmatische Kompromisse. Ein Zitat von Mao Zedong 毛泽东 (1893-1976) aus dem Jahr 1956 bringt den Konflikt wie folgt zum Ausdruck: „Wir sagen, China ist ein Land von großer Ausdehnung, reich an Ressourcen und reich an Bevölkerung; tatsächlich aber ist es die Han-Nationalität, deren Bevölkerung groß ist und es sind die Minderheiten-Nationalitäten, deren Territorium groß ist und deren Ressourcen reich sind.“ (zitiert nach Mullaney 2012, 10)
Aufgrund der potentiellen Gefahr für die politische Stabilität war der Diskurs der frühen Jahre der Volksrepublik von einer großen Skepsis gegenüber dem sog. „Großen Han-Chauvinismus“ (Dahan Zhuyi 大汉注意) geprägt. Realiter waren fast alle hohen parteilichen Führungskräfte Angehörige der Han-Majorität (was zum größten Teil bis heute so geblieben ist, Details hierzu finden sich im Modul Meritokratie). An die Stelle des Prinzips der Selbstbestimmung trat deswegen das Versprechen regionaler (kultureller und politischer) Autonomie in den Regionen und Gebieten, wo Minderheiten zahlenmäßig einen erheblichen Anteil an der Gesamtbevölkerung hatten.3Bis heute auf Ebene der Autonomen Regionen nur in zwei von fünf Autonomen Regionen mit Minderheiten, die mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmachen.(Bulag 2012, 100) Dafür war es notwendig, Minderheiten als solche zu kategorisieren. Nicht zuletzt wurde dies aber auch im Hinblick auf für 1954 angesetzte Wahlen des Nationalen Volkskongresses notwendig, denn das Wahlgesetz von 1953 versprach Sitzanteile nach Nationalitätenzugehörigkeit. (Howland 2011, 184)
Der chinesische Ausdruck shaoshu minzu 少数民族, unter dem die Minderheiten zusammengefasst wurden, lässt sich wiedergeben mit „Ethnien/Nationalitäten mit geringer Personenanzahl“. Diese Gruppen wurden aufgefordert, zwecks Anerkennung ihres Status vorzusprechen. In den frühen 50er Jahren meldeten sich daraufhin mehr als 400 Gruppen. Um die so entstandene Situation einer nicht überschaubaren Vielfalt anzugehen, wurden Teams von Forschern ausgesandt. Historiker, Linguisten, Ethnologen und Wirtschaftswissenschaftler begannen mit der Suche nach Kriterien, die für die Einordnung als eigenständige Minderheit, für die Zuordnung zu größeren Minderheiten-Gruppen oder zur Han-Mehrheit sprachen. Dabei stützten sich die Teams auf eine Stalin‘sche Definition von Ethnie/Nationalität, nach der neben Faktoren wie Sprache, Territorium, Wirtschaftsleben und „psychologischer Konstitution“ in Form einer “gemeinsamen Kultur” die historische Stabilität einer Gemeinschaft ausschlaggebend sein sollte. Der überwiegende Teil der 55 Minderheiten wurde durch diesen Prozess bis zum Ende der 50er Jahre festgelegt. Die Zuordnungen entbehrten letztlich – trotz des wissenschaftlichen Anscheins – faktenbasierter (z.B. genetischer) Grundlagen, aber die einmal getätigte mehr oder weniger arbiträr-künstliche Zuordnung zu einer Gruppe durfte fortan nicht mehr in Frage gestellt werden. (Yeh 2020, 69–77; Mackerras 2004, 303,304)[Definition von Minderheiten: M 2]
Basierend auf der Verfassung von 1954 wurde fünf der anerkannten Minderheiten regionale Autonomie in sogenannten Autonomen Regionen auf Provinzebene zugestanden, darunter auch (1955) der Autonomen Region Xinjiang. Entsprechende autonome Einheiten wurden auch auf niedrigeren Verwaltungsebenen eingerichtet. Mit dem Status der nationalen Minderheiten verbunden waren von Beginn an verschiedene Formen der Vergünstigungen, so z.B. eine im Verhältnis zum tatsächlichen Bevölkerungsanteil leicht erhöhte Repräsentation im nationalen Volkskongress, regionale wirtschaftliche Förderung, zentralstaatliche und interprovinzielle Entwicklungshilfe, Förderung von Kadern mit Minderheitenhintergrund, persönliche Vergünstigungen (Vorteile bei der Aufnahmeprüfung für Universitäten, der sogenannten gaokao 高考), Einsatz von Minderheitensprachen im Schulunterricht, Geburtenpolitik usw. Abstrakter betrachtet, sollte die regionale Autonomie das Recht der dortigen Regierung umfassen, die zentralstaatlichen politischen Vorgaben im Lichte der besonderen lokalen Bedingungen zu interpretieren und umzusetzen. (Leibold 2013, 6–8)
Politische Kampagnen wie die Anti-Rechts-Kampagne (Fanyou Yundong 反右运动) ab 1957 und die Kulturrevolution (Wenhua Dageming 文化大革命) ab 1966 zeitigten aber schon bald landesweite Bemühungen, Unterschiede zu unterdrücken und eine kulturelle Homogenisierung zu erreichen, die langfristig die Abschaffung der Kategorie der ethnischen Gruppen (minzu 民族) ermöglichen sollte. Als wünschenswert wurde von der Partei eine Beseitigung des „Nationalitätenproblems“ durch Assimilierung der Minderheiten erachtet. Während in den 1960er Jahren einerseits Forschungsbereiche wie die Ethnologie zu kapitalistischen, bourgeoisen Unterfangen erklärt wurden, gab es andererseits eine Tendenz, Minderheiten zu exotisieren, indem sie z.B. in Filmen oder den Modellstücken der Kulturrevolution (zwei der Modell-Ballette spielen in Minderheiten-Gegenden) zu zentralen Akteuren gemacht wurden, deren Andersartigkeit durch als traditionell interpretierte Bekleidung und Verhaltensweisen unterstrichen wurde. Die einzige größere Gegenbewegung gegen die kommunistische Autonomiepolitik war der Tibetaufstand von 1959 – weitere größere, ethnisch motivierte Zwischenfälle ereigneten sich dann erst wieder in den 1990er Jahren und ab 2008. (Yeh 2020, 84,85)
Die wirtschaftliche Liberalisierung der 1980er Jahre eröffnete auch wissenschaftlich und kulturell wieder größere Freiräume, von denen die chinesischen Minderheiten profitieren konnten. Mit dem zunehmenden internationalen Tourismus und dem beständig anwachsenden inländischen Reiseaufkommen wurde es lohnenswert, „Exotik“ zu vermarkten. So boten beispielsweise „Minderheiten-Parks“4So z.B. das Yunnan Kunming Ethnic Village, siehe https://www.visitourchina.com/kunming/attraction/yunnan-ethnic-village.html Stadtbewohnern und ausländischen Touristen erstmals die Möglichkeit, in Großstadtnähe die kulturelle Vielfalt des Landes zu bestaunen. In entlegenen Regionen wurde Geld in den Aufbau touristisch vermarktbarer Infrastruktur investiert. (Yeh 2020, 74)
Die theoretische Aufwertung des Status der ethnischen Minderheiten wurde in der Realität zu keinem Zeitpunkt vom Anspruch der Unterordnung unter die Partei losgelöst. Im kulturell besonders sensiblen Bereich der Religion z.B. erlauben die Verfassung (Art. 36) und zuletzt auch das Nationale Sicherheitsgesetz aus dem Jahr 2015 (Art. 27) ausdrücklich nur die Ausübung „normaler religiöser Aktivitäten“, wobei die Deutungshoheit über das „Normale“ eben den Staatsorganen obliegt. (allgemein: Johnson 2018)
Aktuelle Situation
Heute ist die Minderheitenzugehörigkeit auf dem Personalausweis verzeichnet und Teil aller offiziellen Dokumente (z.B. auf der Haushaltsregistrierung, dem hukou 户口). Eltern können nach der Geburt den Minderheitenstatus ihres Kindes angeben, wenn sie selbst einer Minderheit angehören. Noch in den 80er und 90er-Jahren führten die gewährten Vorzugsbehandlungen dazu, dass der von den Eltern gewählte Status in multiethnischen Familien zugunsten des Minderheitenstatus ausfiel (bei Han-Minoritäten-Eltern) und -aufgrund der dann noch größeren Begünstigungen- zugunsten der jeweils zahlenmäßig kleineren Minorität (bei Eltern unterschiedlicher Minoritätenzugehörigkeit). („Population Status of Ethnic Minority Children in China in 2015 Fact Sheet“ 2015) Diese Vorzugsbehandlungen sind auf dem Papier auch heute weiterhin vorhanden, allerdings gibt es Bereiche (z.B. Einsatz der Muttersprache im Unterricht), in denen sie reduziert werden. (Leibold 2013, 7–9)
Die Unzufriedenheit bestimmter Minderheiten, die sich nach dem Jahrtausendwechsel verstärkt in Form von Demonstrationen, Unruhen und Zwischenfällen in verschiedenen Landesteilen zeigte, ist auf viele Faktoren zurückzuführen: Hierzu zählt z.B. die stetige Ausbreitung von Han-Chinesen in Minderheitengebiete (als umgesiedelte Privatpersonen, Touristen, Unternehmer*innen oder in Form von staatlichen Einrichtungen). Diese Ausbreitung wurde seit 1949 durch eine staatlich geförderte Ansiedelungspolitik unterstützt, hat aber auch aus eigener (unternehmerischer oder anderweitiger persönlicher) Motivation der Han-Chinesen heraus sehr große Ausmaße angenommen.
Die Nutzung lokaler natürlicher Ressourcen (Boden, Wasser, Wälder, Tiere und Rohstoffe) für wirtschaftliche Zwecke geschieht ohne Rücksicht auf die vor Ort lebende Bevölkerung. Vorgaben zur religionskonformen Lebensführung werden staatlicherseits oft missachtet. Auch das religiöse Leben wird aktuell wieder zunehmend durch staatliche Vorschriften eingeschränkt, Verstöße hart bestraft. Angehörige ethnischer Minderheiten sehen sich oftmals schlechter bezahlt als Han-Kolleg*innen und haben schlechtere Karriereaussichten als diese. Zudem werden Privilegien, wie schon erwähnt, zunehmend abgebaut, z.B. im Bereich Bildung. (Heberer 01.10.2005)
Beginnend mit Deng Xiaoping setzte die politische Führung auf die wirtschaftliche Entwicklung der Minderheitenregionen als Schlüssel für die Minderheitenfrage. Damit verbunden war der Ansatz, dass eine kulturelle Annäherung über eine sehr lange Zeit ablaufen würde, während der die ethnischen Unterschiede und Eigenheiten der Minderheiten nicht ignoriert werden sollten. Xi Jinping 习近平 (1953- ) hingegen setzt seit seiner Amtsübernahme 2014 auf eine „große Verschmelzung der Nationalitäten“ (minzu da ronghe 民族大融合), wobei er -unter Rückgriff auf schon zuvor von anderen Politikern*innen und von Wissenschaftlern*innen vorgeschlagenen Konzepten- insbesondere die hohe Absorptionskraft der chinesischen Kultur5„(…) Die chinesische Zivilisation ist die einzige mit einer solch beispiellosen Aufnahmefähigkeit und Absorptionskraft“: 中华文明才具有无与伦比的包容性和吸纳力, Xinhua News Agency, 27.09.2019. betont, die allerdings wissenschaftlich heftig umstritten bleibt. (Leibold 31.12.2019; 06.07.2012) Dementsprechend lehnte im Jahr 2014 Xi Jinping 习近平 endgültig die Anerkennung weiterer Minderheitennationalitäten ab, die sich um selbige bemüht hatten. (Roche und Leibold 07.09.2020)
Im Jahr 2020 zeigten sich dann viele Facetten dessen, was als „zweite Generation ethnischer Politik“ (di er dai minzu zhengce 第二代民族政策) bezeichnet wird. (Roche und Leibold 07.09.2020) Während in der Phase nach Gründung der VR China der „richtige Umgang“ mit Diversität organisiert wurde, änderte sich der Fokus der ethnischen Politik spätestens in der zweiten Dekade des neuen Jahrtausends deutlich in Richtung einer „Sinisierung“ (hanhua 汉化) der ethnischen Minderheiten: So erfolgte (nach ähnlichen Schritten in Tibet) z.B. 2020 die Rücknahme bisher akzeptierter Vorzugsbehandlungen im Falle des Einsatzes der mongolischen Sprache im Unterricht (Bandeira 2020) oder die Reduzierung von Vorzugsbehandlungen beim Universitätszugang. Ähnlich zu verstehen ist zuletzt auch die zur Wahrung der gesellschaftlichen Stabilität für unabdingbar erklärte Umerziehung der Bevölkerung in Xinjiang, die einem „Unterricht im Chinesisch-Werden“ gleichkommt. (Roche und Leibold 07.09.2020)
TEIL 2
Die Autonome Region Xinjiang im Fokus der Weltöffentlichkeit (Lerneinheit 3 und Lerneinheit 4)
Je nach Blickwinkel und politischer Absicht werden bei der Frage der Eigenständigkeit der Autonomen Region Xinjiang 新疆 bzw. der Zugehörigkeit zum Territorium Chinas (und damit auch der VR China) unterschiedliche historische Daten herangezogen. Hier kann nur ein erster Einstieg gegeben sowie ein Bewusstsein dafür vermittelt werden, dass das von verschiedenen Seiten gewählte historische Narrativ jeweils konstruiert und nicht wertfrei ist:
Herrschaft über ein Randgebiet
Die im Nordwesten der VR China gelegene, von hohen Bergketten, Wüsten und Oasen geprägte und bis ins 20. Jahrhundert extrem dünn besiedelte Region stand über zweitausend Jahre hinweg unter wechselnder Herrschaft, wobei die jeweiligen Herrscher nicht vor Ort, sondern, zu unterschiedlichen Zeiten, jeweils im chinesischen Kernland, in Tibet oder in der Dsungarei (heutiges nördliches Xinjiang) angesiedelt waren. Keines dieser Reiche beherrschte die gesamte Region und die beherrschten Gebiete waren immer nur temporär angebunden.(J. Millward und Perdue 2004, 56) Als Teil der als Seidenstraße bezeichneten Handelsrouten hatte die Region große Bedeutung für den Austausch von Waren und Ideen zwischen westlich und östlich von ihr gelegenen Gebieten (Modul Seidenstraße).
Zur Zeit der Qing-Dynastie (1644-1912) war die Region des heutigen Xinjiang nicht zuletzt aufgrund der naturräumlichen Voraussetzungen sehr dünn besiedelt. Für die mandschurische Qing-Dynastie bedeutete diese Ausgangslage, die Region entweder sich selbst zu überlassen oder aber ins Reich zu integrieren. Die Entscheidung fiel auf eine Politik der von militärischen Einheiten gesicherten Kolonisierung, die ergänzt wurde durch die gezielte Um- und Ansiedelung von armen Bevölkerungsteilen aus dem chinesischen Kernland sowie von Sträflingen.
Die Kontrolle über die Region war vergleichsweise beschränkt und die Bedrohung durch Aufstände im Inland und Übergriffe von außen wuchs im 19. Jahrhundert entsprechend. Nach muslimischen Aufständen in den östlich von Xinjiang gelegenen Provinzen Qinghai, Gansu und Shaanxi revoltierten 1864 auch in Xinjiang muslimische Gruppen und entzogen die Region damit der Oberhoheit der Qing. Für die nächsten 20 Jahre herrschten de facto Bürgerkriegszustände, die von unterschiedlichen regionalen Machtkonstellationen geprägt waren: Jakub Beg (ca. 1820-1877), eine bis heute für die Unabhängigkeitsbewegung ikonische Persönlichkeit, übernahm von Kokand aus die Herrschaft über Kashgar und das Tarim-Becken. Russland usurpierte für 10 Jahre (1871–1881) angesichts der schwachen Qing-Position die Region um Ili und ab den späten 1870er Jahren wurde der aus Hunan stammende Heeresführer Zuo Zongtang (左宗棠 1812-1855) zu einer wichtigen Figur im Kampf gegen die muslimischen Aufstände. Erst mit der endgültigen Niederschlagung der Aufstände und dem Tod Jakub Begs gewannen die Qing den unmittelbaren Einfluss über das Gebiet zurück (Millward und Perdue 2004, 62).
1884 erfolgte unter dem Guangxu-Kaiser 光绪 (1871-1908, reg. ab 1874) die formale Inklusion des Gebietes als Provinz mit dem (informell auch schon zuvor verwendeten) Namen "Xinjiang" 新疆 (Neues Land/Gebiet/Grenze) in das Kaiserreich. Während der Republikzeit 1912-1949 gab es lokal eine teilweise Selbstständigkeit in Form von zwei Republiken (1933/1934 und 1944-1949) mit unterschiedlicher regionaler Ausdehnung und Stabilität. Beide nannten sich „Republik Ostturkestan“; teilweise wurde auch der Vorsatz „Islamisch“ in der Selbstbezeichnung verwendet. Diese beiden letztgenannten Republiken werden unter Verweis auf die hier ein Stück weit schon vorangetriebene Institutionenbildung als Argument von denjenigen Akteuren bemüht, die eine Unabhängigkeit Xinjiangs fordern. Dem steht jedoch die VR-chinesische Sicht entgegen, nach der der Hoheitsanspruch weder von der Qing-Regierung noch seitens der Republik China jemals aufgegeben wurde und die Gründung der zweiten Republik im Zuge der kommunistischen Revolution ein Teil derselben war. (Shi-Kupfer 17.12.2017; Alpermann 2016, 87–88; Clarke 2007, 261 ff.)
Xinjiang nach 1949: Administrativer Aufbau und Bevölkerung
Xinjiang als autonome Region auf Provinzebene wurde nach der Gründung der VR China, der lokalen Bevölkerungsmehrheit entsprechend, 1954 zur Uigurischen Autonomen Region Xinjiang erklärt, wobei dort – bis heute – neben den traditionell vor allem im Süden siedelnden und eine Turksprache sprechenden Uiguren (chin. Weiwuerzu 维吾尔族) auch Kasachen, Hui, Kirgisen, Mongolen, Sibe, Russen, Tajiken, Usbeken, Tataren, Mandschus und Daur leben. Anders als der Autonomiebegriff suggeriert, waren den vorgeschriebenen Minderheitenvertretern in offiziellen Ämtern von Beginn an Personen als Vize zur Seite gestellt, die zur Han-Mehrheit zählten. (Ein ähnliches Verfahren der Doppelbesetzung war auch schon unter den Qing üblich, wenn auch nicht überall konsequent umgesetzt, und wurde ebenfalls in der Zeit der japanischen Besatzung eingesetzt.) Auch das militärische Oberkommando sowie die paramilitärischen Einheiten des Xinjiang Produktions- und Aufbaukorps (Xinjiang shengchan jianshe bingtuan 新疆生产建设, chin. Kurzform bingtuan 兵团) wurden von Han-Chines[*innen] geleitet. (J. A. Millward 2007a, 244–46) Das paramilitärische Produktions- und Aufbaukorps übernahm dabei in den Gebieten, für die es als zuständig erklärt wurde, staatliche Grundaufgaben (darunter auch -bis heute- Polizei- und Milizfunktionen, Gefängnis- und Lagerunterhalt) und ist nach wie vor einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Autonomen Region. (Shen und Lein 2005, 238–40)
Der Bevölkerungsanteil der in Xinjiang lebenden Han-Chines[*innen] weist einen sehr eindeutigen Trend auf: 1947 lag der Anteil an Han-Chines[*innen] an der Bevölkerung in Xinjiang bei ~4%, 1953 schon bei 6%. Durch Ansiedelungsprogramme, die Han-Chines[*innen] attraktive Gehälter und kostenlosen Wohnraum bieten, sowie durch die gezielte Ansiedelung von Unternehmen stieg dieser Anteil auf heute etwa 40-45% an und liegt damit nur noch geringfügig unter dem Bevölkerungsanteil der Uigur[*innen] (in der Hauptstadt Urumqi mit 70% sogar deutlich darüber).6statista 2019: 59% ethnische Minoritäten in Xinjiang; Millward 2007: 307; Shen und Lein 2005, 239. Amerikanische und französische Wissenschaftler[*innen] bezeichnen diesen Prozess auch als “internen Kolonialismus” und weisen darauf hin, dass selbiger zur Unzufriedenheit der Nicht-Han-chinesischen Gruppen erheblich beiträgt. (Gladney 1998b; Frangville und Heurtebise 2020, 5) Neben den ca. 10 Millionen Uiguren in der VR China lebt substantieller Teil ethnischer Uiguren in Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan, der Türkei (zusammen bis zu 1,5 Millionen Personen), Australien, Kanada, Turkmenistan und den USA (jew. ca. 5.000 Personen). In Deutschland leben ca. 1.500 Uigur[*innen]. Eine Statistik mit von der Süddeutschen Zeitung und dem Weltkongress der Uigur[*innen] zusammengestellten Zahlen ist enthalten in: Obermayer und Obermaier 24.11.2019
Wirtschaftliche Entwicklung, Landwirtschaft
Nach 1949 wurde eine wirtschaftliche Förderung der strukturschwachen Grenzregion(en) in die Wege geleitet. Bereits ab Mitte der 50er Jahre stellte das Produktions- und Aufbaukorps einen der zentralen Akteure der wirtschaftlichen Entwicklung dar. Beginnend mit der Förderung von Öl in den 1950er Jahren wurden und werden bis heute in Xinjiang, das über jeweils ein Drittel der nationalen Öl- und Gasreserven auf VR-chinesischem Festland verfügt, Öl und Gas für die Nutzung in den wirtschaftlich weiter entwickelten Provinzen im Osten der Volksrepublik China produziert.
Seit den 1990er Jahren und insbesondere im Rahmen der Strategie zur „Entwicklung des Westens“ (xibu da kaifa 西部大开发) ab 2000 wurden die Bemühungen um wirtschaftliche Weiterentwicklung nochmal deutlich intensiviert, so unterhalten heute verschiedene entwickeltere Städte und Provinzen im Süden und Osten der VR China bi- und multilaterale Entwicklungspartnerschaften auf Stadt- oder Provinzebene mit Xinjiang. Heute ist Xinjiang ein wichtiger Standort der Neuen Seidenstraßen-Initiative und aufgrund seiner Lage (angrenzend an Indien, Pakistan/Kaschmir, Afghanistan, Tadschikistan, Kirgisistan, Kasachstan, Russland und die Mongolei) eine geopolitisch extrem wichtige Grenzregion. Zu den wichtigsten Bodenschätzen zählen neben Kohle und Gas Eisen, Zink, Chrom, Nickel, Kupfer, Molybdän sowie Gold. (Shen und Lein 2005, 238–40; Jiao, Zhang, und Meng 05.04.2019; Shi-Kupfer 17.12.2017 mit guter Karte (Link zur Karte: China – Xinjiang | bpb ; Modul Seidenstraße) Tourismus (ausländischer wie auch inländischer) ist angesichts der naturräumlichen Besonderheiten und der permanent ausgebauten Infrastruktur zu einer sehr wichtigen Einnahmequelle geworden (siehe M 4.1, 4.2, 4.3).
Die Landwirtschaft in Xinjiang ist geprägt vom trockenen Klima und größtenteils abhängig von Bewässerung. Hauptanbauprodukte sind heute Weizen, Mais, Reis, Früchte sowie Baumwolle (vgl. M 4.6). Dabei unterhielten die ansässigen Völker traditionell sehr erfolgreiche Wassermanagement-Systeme, die mit dem Übergang zu einer industriellen Landwirtschaft und der Ausweitung der Ackerflächen um ein Vielfaches ausgeweitet werden mussten. Mit der Vergrößerung der Anbauflächen ließ die notwendige künstliche Bewässerung den Grundwasserpegel dramatisch sinken. Ebenso ging mit der Ausweitung eine Umverteilung des Eigentums (von den lokalen Minderheiten zu staatlichen Unternehmen und Han-Chines[*innen]) einher. (Shen und Lein 2005; Darimont 2020, 266, 276) Staatlicherseits besonders forciert wurde ab ca. 2011 der Anbau von Baumwolle: In Xinjiang wird 80% der landesweit produzierten Baumwolle angebaut, was 20% der weltweiten Produktion entspricht. Seit 2014 stieg die Produktion um 130% an und bis 2023 soll in der Autonomen Region die landesweit größte Textilproduktion aufgebaut werden. (Wulf 09.2020, 1,2; Ferenschild 2021, 8); vgl. hierzu Material M 4.6)
Politische Entwicklung
Spätestens mit den in den 1990er Jahren einsetzenden Unruhen wurde deutlich, dass weder das der Region zugestandene Maß an Autonomie noch der von der Regierung als Erfolgskriterium herangezogene Entwicklungsstand, von dem die muslimische Bevölkerung profitiert habe, unhinterfragt waren. Im Juli 2009 kulminierte diese Unzufriedenheit in der Hauptstadt, Urumqi, in einem Aufstand. An den Zusammenstößen mit der Polizei waren mindestens eintausend Uigur[*innen] beteiligt. Vor Ort lebende Han-Chines[*innen] wurden Ziel ethnisch motivierter Übergriffe der Protestierenden. Es kam zu Verhaftungen, Verletzungen und Todesfällen unter Protestierenden, Polizei und ortsansässiger Han-Bevölkerung. Die Ausschreitungen wurden vermutlich durch einen Vorfall in einer Spielwarenfabrik im südchinesischen Guangdong provoziert, wo uigurische Arbeiter*innen von Han-chinesischen Kolleg*innen angegriffen worden waren. Die chinesische Regierung sah ausländische Kräfte als Urheber der Unruhen und verschärfte in der Folge die Kontrolle über die Autonome Region. (Yan Sun 31.08.2020, 1–24; J. Smith Finley 2020, 2–5) Xi Jinpings Amtsantritt als Präsident 2013 fiel zusammen mit einer Zunahme dieser Art von Zwischenfällen, darunter der medial auch in Deutschland berichtete Anschlag im Bahnhof der südwestchinesischen Provinzhauptstadt Kunming 昆明. 7Die Bezeichnung dieser Ereignisse als Zwischenfall ist durchaus kritisch zu sehen, da sie verharmlosend erscheint und auch im offiziellen chinesischen Sprachgebrauch in ähnlich neutralisierender Form Einsatz findet – so ist z.B. werden z.B. die Ereignisse auf dem Tiananmen-Platz 1989 als Zwischenfall bezeichnet (chin. liusi shijian 六四事件) – zugleich erfordert aber eine präzisere Benennung der Art der Ereignisse zu viele Details, die z.B. bei Kupfer 2017: „Geschichte des Konflikts“ (keine Seitenangabe) sowie Alpermann 2016: 92 und UHRP 2015 ausführlich dargestellt werden. Xi stattete der Autonomen Region Xinjiang in 2014 einen ersten Besuch ab, auf den unmittelbar eine Reihe von politischen Maßnahmen zur ”Anti-Terrorbekämpfung” (fankong douzheng 反恐斗争) folgten. (UHRP Uyghur Human Rights Project 2015, 19,26,52) 2016 übernahm Chen Quanguo 陈全国 (1955 -) das Amt des Parteisekretärs in Xinjiang, der von 2011 – 2016 in der Autonomen Region Tibet die gleiche Position innehatte und dort sehr effektiv Proteste der Tibeter unterdrückt hatte. („Chen Quanguo in Tibet | Free Tibet“ o. J.; „Chen Quanguo in the Uyghur region | Free Tibet“ o. J.; Strittmatter 2018) Ende 2021 wurde Cheng Quanguo von einem neuen Parteisekretär Ma Xingrui (马兴瑞 * 1959) abgelöst, der von seiner Position als Provinzgouverneur des wirtschaftlich stark entwickelten Guangdong 广东 nach Xinjiang versetzt wurde (Sander 27.12.2021).
Ebenfalls zu dieser Zeit wurden erste Schritte übernommen, um die Überwachung des Alltagslebens der nicht-Han-chinesischen Bevölkerung in Xinjiang zu intensivieren. (Human Rights Watch 26.02.2018) Vergleichbare Maßnahmen wurden zuvor schon in Tibet für die dort lebende tibetische Minderheit umgesetzt und auch im restlichen China nahm der Einsatz von elektronischer Überwachung im gleichen Zeitraum stetig zu. Im Falle von Tibeter[*innen] und Uigur[*innen] sind dabei aber schon die ethnische und religiöse Zugehörigkeit als Kriterien ausreichend, um in den Fokus der Überwachungsmaßnahmen zu geraten.
Ein netzartiges System des sozialen Managements (wanggehua guanli 网格化管理)8Diese Art der netzartigen Überwachung hat eine lange Geschichte und diente schon im China der Kaiserzeit der sozialen und militärischen Kontrolle. (Xinjiang Documentation Project o. J., Glossar) teilt heute Wohnviertel in Einheiten ein, die von ausgewählten, „vertrauenswürdigen” Personen betreut werden, die Informationen über Anwohner*innen sammeln und die Ordnung aufrechterhalten müssen. In als von staatlicher Seite besonders gefährlich eingestuften „Risikogebieten“ wurde ferner ein digitales Überwachungssystem mit Kameras und Sicherheitspersonal eingerichtet. Das Netz wird verstärkt durch kleine, nahe beieinander liegende Polizeistationen, die die Koordination der Überwachungsaktivitäten innehaben. Die eingesetzte Software dient Zwecken wie der Gesichtserkennung und der Erstellung von Bewegungsprofilen. Noch viel stärker in den persönlichen Bereich wirkt die als Kampagne aufgelegte Überwachung lokaler Beamter und Dorfbewohner*innen durch wiederkehrende „Besuche“9Diese Besuche werden organisiert im Rahmen eines Programms –fang hui ju 访惠聚 – das Akronym steht für fang minqing, hui minsheng, jiu minxin 访民情、惠民生、聚民心: „das Volk besuchen, Wohltaten für das Volk erbringen und die Herzen des Volkes einen“; einen Teil davon bildet die 2016 geschaffene Kampagne “Eine Familie werden” (结对认亲). (Deutsche Welle 16.05.2018), deren überwachende Zwecke administrativ vorgegeben sind (vgl. M 4.7): Zur Wahrung der sozialen Stabilität sollen die „Besucher[*innen]“ nach gefährlichen Materialien Ausschau halten, also etwa Chemikalien, Waffen, aber auch nach von staatlichen Stellen als illegal betrachtetem religiösem Material. (Strittmatter 2018; Byler 2020; Leibold 31.12.2019)
Längstens seit 2017 deuten die zugänglichen Informationen darauf hin, dass neben dem Aufbau eines engmaschigen Überwachungssystems in Xinjiang auch Einrichtungen gebaut wurden, die der ideologischen Umerziehung oder, nach Aussage der chinesischen Regierung, der „Berufsausbildung“ (zhiye jineng jiaoyu peixun 职业技能教育培训) dienen. In den Worten des chinesischen Botschafters in Deutschland handelt es sich hier „vom Ablauf her Internate und vom Konzept her Deradikalisierungs- und Integrationsmaßnahmen“, vgl. M 4.3).
Über die aktuelle Lage lässt sich festhalten, dass viele Menschen davon berichten, dass ihre persönlichen Kontakte – zu uighurischen Freunden, Verwandten und Wissenschaftler*innen – unterbrochen sind. Menschen verschwinden und die Berichterstattung durch ausländische Medien ist erschwert bis unmöglich. Ausländischen Delegationen wurde phasenweise Zutritt gewährt, allerdings nur innerhalb des staatlicherseits vorgegebenen Rahmens, vgl. z.B. den Bericht der BBC Inside China’s ‘thought transformation’ camps – BBC News – YouTube von John Sudworth, (BBC News und Sudworth 2019).
Wichtig festzuhalten ist, dass die meisten (journalistischen, wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen) aktuellen Berichte und Einschätzungen über die Situation vor Ort auf Grund dieser Ausgangslage auf indirekten Nachweisen basieren – insbesondere die Berichte, die in westlichen Medien für große Aufmerksamkeit sorgten (A. Zenz 02.2020; Ruser u. a. 01.03.2020), nutzen aus dem Land geschmuggelte Regierungsdokumenten sowie – zur Dokumentation der Lager und der Zerstörung kultureller Relikte – öffentlich nicht zugängliche Aufnahmen von Satelliten. (M 4.1, 4.2, 4.5)
Seit Anfang 2020 beschreiben verschiedene Institutionen und Personen die Lage in Xinjiang mit Begriffen wie Genozid, „kultureller Genozid“ oder „ethnischer Genozid“. Dazu gibt es auch Gegenstimmen, die sich gegen die Verwendung des Begriffes Genozid im Kontext von Xinjiang aussprechen. Die unbedachte Nutzung solcher Begrifflichkeiten ist potentiell gefährlich und kann zu polarisierenden Debatten führen (vgl. M 4.4).
Verwendete Literatur
Forschungsperspektiven
Forschungsperspektiven
A: Minderheiten allgemein
Sich mit der Minderheitenpolitik der VR China auseinanderzusetzen bedeutet, sich mit einer Vielzahl verschiedenartiger Quellen aus der Perspektive verschiedener Fachdisziplinen zu beschäftigen. Akademische Quellen fallen in Fachbereiche wie Politikwissenschaft, Geschichte, Geographie, Ethnologie und Wirtschaft sowie Transkulturalität, wobei für einzelne Publikationen häufig eine multiple Zuordnung möglich ist. Außerhalb des akademischen Rahmens gibt es ein großes Interesse auf Seiten zivilgesellschaftlicher Organisationen, sich besonders mit den konfliktträchtigen Aspekten der Minderheitenpolitik auseinanderzusetzen und dazu zu publizieren. Medial finden sich Hörbeiträge und Filme, sei es in Form von podcasts, Dokumentationen, Unterhaltungsfilmproduktionen oder Youtube-Videos sowie -besonders beim Fokusthema Xinjiang bzw. bei anderweitig als nachrichtenträchtig wahrgenommenen Aspekten von Minderheitenexistenz in China- in Form von Zeitungsartikeln. (Alpermann 2020) Eine Zusammenstellung zentraler Diskurslinien findet sich weiter unten, zwecks Erleichterung der Übersicht jeweils einem der oben genannten Fachgebiete zugeordnet.
In chinesischer Sprache sind grundlegende Informationen vor allem in Gesetzestexten und politischen Vorgaben enthalten. Diese werden größtenteils über staatliche Zeitungen und Webseiten einem Chinesisch-sprachigen Publikum kommuniziert. Die Verbreitung dieser Inhalte ins Ausland erfolgt – für interessierte Gruppen und im politischen Kontext – seit den 1990er Jahren unter anderem über in Übersetzung vorliegende Weißbücher. Selbige kondensieren die jeweils gerade aktuelle politische Linie und greifen häufig Punkte auf, die in der internationalen Debatte besonderes Gewicht haben. So sind etwa zu Xinjiang alleine in den letzten drei Jahren vier Weißbücher erschienen, die sich den Themen „Beschäftigung und Arbeitsrechte“ (The State Council 2020), „Berufsausbildung und Training“ (The State Council 17.08.2019), „Historische Angelegenheiten“ (The State Council 2019) und „Menschenrechtsschutz in Xinjiang und der Kampf gegen den Terrorismus und Extremismus“ (The State Council 18.03.2019) zuwenden.10Alle Weißbücher sind in englischer Sprache einsehbar unter: WHITE PAPER – ARCHIVE (www.gov.cn) (ab 2012) bzw. (für die Jahre 1991 – 2012) Beachtet werden sollte dabei, dass politische Positionspapiere, wenn sie denn von der chinesischen Regierung überhaupt in nicht-chinesische Sprachen übersetzt werden, oft leicht verändert gegenüber dem chinesischen Originaltext erscheinen (Rudyak 12.02.2021). Für die Weißbücher zu Xinjiang sind diese Abweichungen noch nicht untersucht worden. Daneben werden von chinesischer Seite Inhalte aber zunehmend auch über herkömmliche Medienkanäle (Fernsehen, Twitter, Youtube etc.) zu ausländischen Zielgruppen transportiert (Alpermann 2020; Deuber 12.10.2020).
Akademisch wurde und wird die Minderheitenpolitik in China intensiv analysiert und begleitet. Eine überblicksartige Recherche zeigte, dass in Dissertationen aus der Volksrepublik China der letzten ca. 10 Jahre, die in der Datenbank China Academic Journals erfasst wurden, im Blick auf Xinjiang z.B. v.a. die Themen Terrorismus und Wirtschaft (Tourismus, Baumwolle, Seidenstraßen-Initiative) aufgegriffen wurden. Eine Sammlung chinesischer Originalquellen zu Xinjiang (darunter auch wissenschaftliche Arbeiten wie Dissertationen), die in englischer Sprache kommentiert und ausgewertet werden, bietet das Xinjiang Documentation Project [am Institute for Asian Research Home – Xinjiang Documentation Project (ubc.ca)], University of British Columbia.
Für dieses Modul nicht genutzt wurden aufgrund der eingeschränkten sprachlichen Zugänglichkeit Originalquellen in den unterschiedlichen Minderheitensprachen. Beispiele, die zugänglich sind, sind aber Originalstimmen in Literatur und Film, die in übersetzter Form vorliegen (ein Überblick über aktuelle Filme in tibetischer Sprache mit englischen Untertiteln findet sich z.B. hier: https://www.tibetfilmfestival.org/festival-20; auch das Beijing International Film Festival hat einen dem Minderheitenfilm gewidmeten Teil, siehe (Lo 03.01.2018)).
Fokus Geschichte: Die Entwicklung vom System der Kaiserdynastien hin zum Nationalstaat ist Teil aller Standardüberblickswerke zur chinesischen Geschichte. Daher sei hier nur auf Vogelsang 2013 für einen überblicksartigen Einstieg verwiesen. Viele der Werke, die sich mit aktuell relevanten politischen Fragestellungen (z.B. im Blick auf Tibet und Xinjiang) beschäftigen, beinhalten ausführliche Darstellungen zu den historischen Entwicklungen und werden unten (Fokus Politik) präsentiert. Erwähnenswert ist an dieser Stelle aber der Diskurs, der sich v.a. in den USA ab Mitte der 1990er Jahre zur sog. New Qing History entwickelt hat – vgl. Elliott (2006) und Wu (2016). Durch die Lektüre nicht-chinesischsprachiger Texte (d.h. mandschurische, tibetische und mongolische) ergab sich ein neuer Blick auf die vermeintlich gelungene kulturelle und institutionelle Sinisierung der letzten kaiserlichen Dynastie der Mandschus. Die Qing werden in diesem Kontext als ein multikulturelles und kolonial ausgerichtetes Imperium gesehen, das den eigenen Herrschaftsraum weit über das chinesische Kernland hinaus gehend definierte und nicht von diesem Zentrum aus dachte. Die Han-chinesische Bevölkerung war also nur ein Teil des Qing-Reiches neben Mandschur[*innen], Mongol[*innen], Tibeter[*innen] und Muslim[*innen] – gegenüber welchen die Qing-Herrscher jeweils unterschiedliche politische und kulturelle Methoden der Herrschaftssicherung anwendeten. Ein kurzer Abriss über die Rezeption der New Qing History in China, die auf Seiten der chinesischen Regierung durchweg negativ war, ist enthalten in Jacobs (2016, 25).
Fokus “Rasse”: Vor allem in der späten Qing-Dynastie und der Republikzeit wurden Rassentheorien, die in Europa und Amerika entwickelt wurden und dort wissenschaftlich und politisch en vogue waren, auch in China rezipiert. Ein Beispiel hierfür sind die von Yan Fu (嚴復 / 严复 1853-1921) erstellten Übersetzungen der Werke von Thomas Huxley („Evolution and Ethics“), Charles Darwin („Natural Selection“) sowie Herbert Spencer („The Principles of Sociology“). Eine Aufarbeitung der historischen Bezüge ebenso wie der politischen Konsequenzen aus der Adaption dieser Konzepte im chinesischen Kontext erfolgte für den Begriff der „Rasse“ v.a. durch den niederländischen Sinologen Frank Dikötter (2013; 2019) sowie u.a. in Werken des amerikanischen Historikers T. Mullaney (2012) und dem australischen Sinologen C. Mackerras, (Mackerras 2004).
Fokus Ethnologie: Ein wissenschaftliches Interesse an den verschiedenen ethnischen Gruppen entstand spätestens im 19. Jahrhundert im Inland vor allem in Kreisen der staatstragenden politischen Elite, aber auch unter denjenigen, die sich dem aus dem Ausland übernommenen Konzept der „Völkerkunde“ verschrieben. Die resultierenden Dokumentationen sind heute teilweise zugänglich über online verfügbare Sammlungen („Zhuang Xueben in Western China: Anthropological Photography from the Early 20th Century“ o. J.; M.-K. Wang u. a. o. J.). Interessierte Ausländer[*innen] – Wissenschaftler[*innen], christliche Missionar[*innen] und Reisende – erhielten durch die politischen Entwicklungen im 19. Jahrhundert erstmals einen einfacheren Zugang zu den entsprechenden Regionen. Ein Fokus lag dabei zunächst auf der Identifizierung und dem Studieren von einzelnen, voneinander abgrenzbaren Gruppen. Parallel dazu erfolgte auch eine erste linguistische Annäherung an die Sprachenvielfalt. (Yang 2019, 165,166) Dieses Interesse wuchs v.a. aufgrund der Bedarfe des Aufbaus eines neuen Staates und wurde im Rahmen von staatlicherseits unterstützter Feldforschung vor allem in südwestlichen Landesregionen in der Republikzeit angegangen (Yang 2019, 166, 167; Lam 2011, 1–74). Nach der Gründung der VR China erfolgte die Zuwendung zu Nicht-Han-Gruppen erneut vor allem aus der Motivation heraus, die Mitglieder des neuen Staatskörpers zu definieren (Mackerras 2004). Colin Mackerras verweist darauf, dass die Kulturrevolution von 1966 bis 1976 sozialwissenschaftliche Forschung weitestgehend zum Erliegen brachte und erst die politischen Öffnungen unter Deng Xiaoping diesen Zustand beendeten, zumal zu dieser Zeit auch westliche Wissenschaftler[*innen] wieder Zugang zum Land und den Regionen erhielten, die mehrheitlich von Minderheiten bewohnt waren. Zudem hatten viele landverschickte Akademiker*innen während der Kulturrevolution persönliche Einblicke in den Lebensalltag in Minderheitengebieten gewonnen. Die wiederaufgenommenen Studien widmeten sich dem Alltag von Minderheitenangehörigen, aber auch der Frage, wie passend die staatlichen Vorgaben zur ethnischen Einteilung gewählt waren. Dies ging so weit, dass einzelne Gruppeneinteilungen -entsprechend den von den Wissenschaftler[*innen] wahrgenommenen Selbstzuschreibungen der Betroffenen- hinterfragt wurden. (Mackerras 2004, 5) Sowohl der historische Prozess der Gruppenfestlegung als auch die Folgen für die so definierten Gruppen werden in zahlreichen Übersichtswerken und Portraits einzelner Gruppen analysiert: Neben den in diesem Modul verwendeten Quellen (vor allem Yeh 2020; Litzinger 2000) ist z.B. Stevan Harrell zu nennen, der sich mit den (teilweise zumindest essentialisierenden) historischen und aktuellen Vorstellungen von den Yi als Gruppe auseinandersetzt: „Die Frage, „Wer sind die Yi?“ war für mich, einem Neuling in Yi-Studien, sehr viel verwirrender als sie es für alle Chinesen war, die vor oder nach 1949 über diesen Sachverhalt schrieben. Die Chinesen, unabhängig davon, ob Wissenschaftler oder gewöhnliche Bauern im Südwesten des Landes, scheinen in der Tat schon immer gewusst zu haben, wer die Yi (oder vor 1949, die [zuvor als solche benannten] Lolo) waren.“ (Harrell 1995, 63)
Ein kostenloser Online-Zugang zu einer größeren Anzahl Studien zum weiteren Themenfeld ethnischer Gruppen in China ist möglich über die Universität Washington: https://uw.manifoldapp.org/projects/project-collection/studies-on-ethnic-groups-in-china.
Auf Deutsch liegt z.B. (Göttner-Abendroth 1998) über die in der südwestlichen Provinz Yunnan lebenden Mosuo 摩梭 vor, wobei die Interpretation des Matriarchats durch die Autorin aber durchaus kritisch beurteilt wird (vgl. kommentierte Bibliographie).
Fokus Geographie: Ein allgemeiner Übersichtsartikel, der herangezogen werden kann, ist Wünnemann 2014 – von den Autonomen Regionen wird hier nur Xinjiang ausführlicher beschrieben (28-31), daneben ist eine Karte enthalten, die die wichtigsten Rohstoff-Lagerstätten zeigt (49) und die Auseinandersetzung mit den im Modul enthaltenen Karten ergänzen kann. Daneben gibt es eine Vielzahl an Titeln, die sich einzelnen Provinzen zuwenden – z.B. für Xinjiang: (Kinzley 2018; Shen und Lein 2005) oder einzelne Aspekte aufgreifen, z.B. Wasser: (Toops 2004), oder die Nutzung von naturräumlichen Ressourcen durch Tourismus in Minderheitenregionen (Mapping Shangrila 2014).
Fokus Politik: Mit der Nationalstaatsgründung eng verbunden war die Frage der Zugehörigkeit zum Staatskörper. Akademisch wurden hier v.a. der Aufbau des neuen multi-ethnischen Staates und die daraus resultierenden Folgen für die politische Stabilität des Staatskörpers analysiert (Heberer 2017; 01.10.2005; Yan Sun 31.08.2020). Zu Tage tretende Konflikte wurden und werden analysiert (z.B. Angmo 2019; Alpermann 2016) und leiteten eine Auseinandersetzung mit der sich wandelnden Nationalitätenpolitik der VR China ein (Bandeira 2020; Hoshino 2019; Leibold 06.07.2012; 2013; 31.12.2019; Mackerras 2003; Mullaney 2011; Roche und Leibold 07.09.2020; Scharping 2014).
Ein weiterer Aspekt, der nicht zuletzt aufgrund der Konflikte in Tibet und Xinjiang stärkere Beachtung findet, ist die Frage, wie sich der Prozess der Festlegung ethnischer Gruppen, die vom Staat als dazugehörig kategorisiert wurden, auf ethnische Identitäten von Han-Chines*innen und den Angehörigen der staatlich anerkannten Minderheiten sowie Angehörigen von nicht anerkannten Minderheiten ausgewirkt hat. Diese Quellen verweisen im Kern darauf, dass das Zugehörigkeitsempfinden als zu den Han stark durch das den Nicht-Han zugeschriebene Anderssein und durch Exotisierung des Andersseins geprägt wurde (Mackerras 2004; Gladney 1998a; Mullaney 2012; Francis-Tan und Mu 2019; Bellér-Hann 2021).
Forschungsperspektiven
B: Xinjiang
Sehr empfehlenswert als Übersichtswerk und zum Zeitpunkt der Modulfertigstellung gerade erst erschienen ist ein auf Deutsch verfasstes Werk des Würzburger Chinawissenschaftlers Björn Alpermann, „Xinjiang — China und die Uiguren“, das via Würzburg University Press kostenlos online zur Verfügung gestellt wird (Alpermann 2021) In drei Kapiteln werden hier Geschichte, politische und wirtschaftliche Entwicklung Xinjiangs sowie der aktuelle Konflikt aufgearbeitet.
Fokus Geschichte, Ethnologie: Viele der nach dem Jahr 2000 erschienenen akademischen Arbeiten zu Xinjiang kombinieren eine geschichtliche Aufarbeitung mit politischen und/oder ethnologisch relevanten Aspekten. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf einer Analyse von Faktoren, die zur heutigen Krisenlage beigetragen haben (Clarke 2007; J. A. Millward 2007b; Starr 2004; Gladney 1998a) Das Buch „Eurasian Crossroads“ des amerikanischen Historikers J. Millward beispielsweise deckt mit der heute als Xinjiang bezeichneten Region verbundene kulturelle, sprachliche und religiöse ebenso wie politische, demographische, ökonomische und ökologische Aspekte ab und spannt einen Bogen von frühen archäologischen Funden bis zum Erscheinungsjahr des Buches (J. A. Millward 2007b; M. Liu 2008). Der in diesem Modul als Material verwendete Auszug aus R. Thums Buch „The sacred routes of Uyghur history“ (Thum 2014) benennt historisch wichtige Eckdaten und ordnet sie ein mit Hilfe von persönlichen Gesprächen und Beobachtungen, die im Rahmen längerer Feldforschung getätigt wurden. Der Sammelband „Xinjiang: China’s Muslim Borderland”, entstand im Rahmen eines Fächer-übergreifenden „Xinjiang-Projekts“ (Starr und Fuller, o. J., Introduction) an der John Hopkins University. Der Band enthält Beiträge vieler renommierter Autor*innen (u.a. Millward, Perdue, Gladney, Roberts, Toops), die bei der Modulerstellung hilfreich waren, schließt aber politikberatende Elemente explizit aus (Starr und Fuller, o. J., 2).
Viele der zuvor genannten Autor*innen sind elementar (auf beruflicher und auf persönlicher Ebene) von den Einschränkungen betroffen, die die aktuelle Politik der Zugangsbeschränkungen zu Personen und Orten in Xinjiang mit sich bringen und äußern sich daher auch zu ihrer Sicht auf die aktuelle Krise (vgl. z.B. folgendes, vom Hudson Institute (Washington D.C.) aufgezeichnete Video aus dem Jahr 2018, das u.a. den an der Georgetown University (Washington D.C.) tätigen Geschichtsprofessor J. Millward (05:48 – 21:44 ) und den an der Loyola University (New Orleans) sowie an der University of Manchester (GB) angebundenen R. Thum (21:44 – 37:35) im Gespräch zeigt: (Millward, James A., Thum, und u.a. 4. Mai 2018). Interessant ist dieser Beitrag u.a. auch deshalb, weil mit dem Beitrag von J. Millward über eine Analyse der damaligen Situation in Xinjiang hinaus ein Einordnungsversuch unternommen wird, der Vorstellungen wie tianxia (天下 Übersetzung: alles unter dem Himmel) und Begriffe wie „Sinisierung“ (in diesem Kontext: hanhua 汉化 – Han-werden) neu in den Blick nimmt.
Fokus Wirtschaft: Xinjiang ist ein wichtiger Standort im Rahmen der Seidenstraßen-Initiative. Da ein separates Modul (Chinas Neue Seidenstraßen-Initiative) diesen Kontext aufgreift, sei an dieser Stelle nur auf zwei Arbeiten verwiesen, die jeweils Xinjiang in den Mittelpunkt ihrer Analyse stellen: D. O’Brien bietet im Kapitel „Chancen und Risiken entlang der neuen Seidenstraße: Perspektiven und Wahrnehmungen zur Belt and Road Initiative (BRI) aus der Uigurischen Autonomen Region Xinjiang“ (O’Brien 2020) einen guten Einstieg in wirtschaftliche Fragestellungen. Daneben enthält der Sammelband, aus dem dieses Kapitel entnommen ist, einen guten Überblick über den Forschungsstand zur Seidenstraßen-Initiative allgemein: (H. K. Chan, Chan, und O’Brien 2020, 1–16). Eine von der deutschen Nichtregierungsorganisation Südwind e.V. in Auftrag gegebene Studie „FAST FASHION AUF DER SEIDENSTRASSE“ beleuchtet sehr aktuell Facetten der wirtschaftlichen Entwicklung Xinjiangs im Bereich der Bekleidungsindustrie und ihrer Zulieferbetriebe, einschließlich der Baumwollproduktion, die im Modul in M 4.6 aufgegriffen wird (Ferenschild 2021).
Fokus Politik/Recht/aktueller Konflikt: Die akademische Analyse ist in diesem Bereich naturgemäß noch nicht weit fortgeschritten. Bereits vorliegende Veröffentlichungen stammen vor allem aus den USA (A. Zenz 02.2020; 2019; A. Zenz und Jamestown Foundation (Va.) 2020) und Australien (Ruser u. a. 24.09.2020; 01.03.2020; Ruser 09.2020). Die Autor*innen analysieren die aktuelle Lage teilweise basierend auf indirekten Nachweisen (vgl. Hintergrundinformationen zu Xinjiang). Ein Projekt, das wissenschaftliche Artikel und Arbeiten zu Xinjiang-bezogenen Kampagnen aus der VR China auswertet und die Originaldokumente veröffentlicht ist das Xinjiang Data Project der University of British Columbia (Link: https://xinjiang.sppga.ubc.ca/ Institute of Asian Research in the School of Public Policy and Global Affairs in Kooperation mit dem Women’s Studies Department at Simon Faser University); kurze, erläuternde Zusammenfassungen in englischer Sprache ermöglichen einen Einblick in den aktuellen Forschungsstand. Zugleich werden Informationen derzeit aber im Rahmen von Anhörungen und juristischen Prozessen gesammelt und gesichtet, die eine Auswertung ermöglichen. Viele der Wissenschaftler[*innen], deren Arbeiten in diesem Modul zitiert werden, werden als Expert[*innen] von nationalen Parlamenten angehört (z.B. J. Smith Finley, N. Ruser, A. Zenz, D. Byler in Großbritannien, A. Zenz in Deutschland) – die jeweiligen Aussagen werden fallweise nachgelagert dann auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht, z.B. (D. A. Zenz 8.11.2020)
Einen guten Überblick über die rechtliche Verankerung der aktuellen Politik bieten der in Deutschland an einem Max-Planck-Institut promovierte Rechtswissenschaftler Zhou Zunyou, der in Köln im Bereich des chinesischen Strafrechts forschende Daniel Sprick und die in Singapur forschende Irene Chan. Alle drei legen dar, wie das staatliche Streben nach der Legitimierung des eigenen Handelns durch eine Herrschaft des Rechts (rule of law) im Kontext Xinjiangs durch die Rechtspraxis (sowohl was die Qualität der Gesetzgebung angeht wie auch deren unzureichende Umsetzung in der Praxis) konterkariert wird. (Sprick 2020; Zhou 2014; 2019; I. Chan 17.11.2020)
Erste akademische Ansätze ergeben sich aber dort, wo z.B. eine spezifische Sachlage wie die Frage des Vorliegens eines Genozids den wissenschaftlichen Forschungsstand in Verbindung setzt mit den vorliegenden Informationen. Diesen Ansatz wählt z.B. die die an der University of Newcastle arbeitende J. Smith Finley in ihrem Artikel „Why Scholars and Activists Increasingly Fear a Uyghur Genocide in Xinjiang“ (J. Smith Finley 2020): Basierend auf ihrer langjährigen Forschungsarbeit zu Xinjiang (siehe u.a. (J. N. Smith Finley 2013)) erörtert sie, warum der Tatbestand „Genozid“ von verschiedenen Gruppen als wichtig empfunden wird und welche Konsequenzen sich auf rechtlichem oder diplomatischem Wege erzielen lassen.
Fokus Transkulturalität: Für den Kontext des Moduls kann es hilfreich sein, sich – jenseits der Auseinandersetzung mit China – mit dem übergeordneten Konzept der Transkulturalität auseinanderzusetzen. Einen ausführlichen Einstieg ermöglicht der Nachdruck eines Titels aus dem Jahr 1969; der norwegische Sozialanthropologe F. Barth trug hier in einem einleitenden Essay zur Auseinandersetzung mit den seiner Darstellung gemäß dauerhaft permanent verhandelbaren Grenzen zwischen Gruppen/Ethnien bei. (Barth 1998) Eine gute Einführung in deutscher Sprache liefert die Webseite kulturshaker.de, die auf viele weiterführende Quellen verweist (Kolle o. J.) Einen Überblick über den Forschungsstand zum Thema Rasse und Ethnizität bieten Francis-Tan und Zheng (Francis-Tan und Mu 2019, 735,736). Vor dem Hintergrund der Minderheiten- (hier: Indigenen-)Politik in den USA, Canada, Lateinamerika, Afrika und Südostasien (Cadena und Starn 2020) liefert E. Yeh (2020) einen Blick auf die spezifische Situation in Tibet.
Verwendete Literatur
Das online kostenlos verfügbare Buch des Würzburger Sinologen B. Alpermann enthält die aktuellste deutschsprachige Übersicht zu Geschichte, Entwicklung und aktueller Situation in Xinjiang. Es ist als Hintergrundlektüre uneingeschränkt empfehlenswert.
Der Artikel sollte zusammen gelesen werden mit der Übersetzung des folgenden, von lokalen Lehrern und Schülern verfassten Textes:
Überlegungen zu den Schwierigkeiten, mit denen sich der mongolischsprachige Unterricht in der Autonomen Region Innere Mongolei gegenwärtig konfrontiert sieht (关于当前内蒙古自治区蒙古语授课教育遇到困境的反映)
Gut geeignet als Einstieg zur Dekonstruktion von Kulturbegriff, Minderheitenstatus.
Diese Quelle ist unbedingt lesenswert aufgrund der guten Informationen zum Forschungsstand! Die eigentliche Auswertung ist sehr Statistik-lastig.
Diese Veröffentlichung hat medial große Diskussionen hervorgerufen, siehe z.B. Strittmatter, Kai. 2023. „Aufruhr in der deutschen Chinawissenschaft: Beschämend leichtgläubig“. Süddeutsche.de. 24. September 2023. https://www.sueddeutsche.de/kultur/deutsche-sinologie-pro-chinesisch-aufruhr-thomas-heberer-helwig-schmidt-glintzer-1.6252806.
Die Grundlagenarbeit der Autorin zum Matriarchat wird kritisch diskutiert (vgl. https://www.nzz.ch/steuergelder_zum_wohl_des_matriarchats-1.10505689 oder Stefanie Knauß: Heide Göttner-Abendroth (geb. 1941). Eine kritische Vorstellung der Klassikerin der Matriarchatforschung. In: A.-K. Höpflinger, A. Jeffers, D. Pezzoli-Olgiati (Hrsg.): Handbuch Gender und Religion. UTB / Vandenhoeck & Ruprecht, Stuttgart 2008, S. 96-106.
Der Autor, heute Prof. für Ethnologie und Professor für Umwelt- und Forstwissenschaft an der University of Washington, fokussiert in diesem sehr gut lesbaren Buchkapitel auf die Identitätsbildung der Gruppe der Yi, die im Verlauf der Zeit in- sowie ausländische Fremdzuschreibungen sowie darauf basierend Selbstzuschreibungen beinhaltet. Im gleichen Buch "Cultural Encounters on China’s Ethnic Frontiers" enthalten sind Kapitel anderer Autoren zu u.a. den Naxi, Mandschu, Mogolen.
Auf dieser Webseite werden kontinuierlich alle Weißbücher in englischer Sprache eingepflegt, die das Informationsbüro des Staatsrates veröffentlicht. Unterhalb der Weißbücher sind unter der Überschrift "Related Stories" jeweils Xinhua-Meldungen und andere staatliche Verlautbarungen verlinkt, die im inhaltlichen Kontext der Weißbücher stehen. Das Informationsbüro des Staatsrates ist eng mit der Partei verknüpft und folgt inhaltlich den politischen Vorgaben, die die Partei entwickelt.
Die Webseite vermittelt einen kurzen Überblick über den Begriff „Transkulturalität“ und informiert zu den Konzepten Eigen- und Fremdbilder sowie zum Kulturbegriff allgemein.
Diese Monografie untersucht, wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in China eine „Süchtigkeit nach Wissenschaft“ entstand und das Sammeln von Fakten, die Erhebungen von Statistiken und Volkszählungen von chinesischen Intellektuellen propagiert wurde, um sich dem Ausland anzunähern. Dabei wird auch auf den Umgang mit Minderheiten eingegangen, die in den 1920er und 1930er Jahren auch "Objekte" der verschiedenen Bemühungen um Erhebungen von Bevölkerungszahlen waren.
Das Buch ist 2013 erschienen, erfasst aber schon die ersten Ansätze der "zweiten Generation" der Minderheitenpolitik in der VR China in ihren Grundzügen.
Der Autor ist Außerordentlicher Professor für Kulturanthropologie an der Duke Universität (USA). Forschungsschwerpunkte sind u.a. Kultur und Politik von Ethnizität und Nationalismus in China. Neben dem vorliegenden Titel ist v.a. ein Artikel zu Tibet empfehlenswert: “Self-Immolation as Protest in Tibet”. Das vorliegende Buch basiert auf Feldforschungsaufenthalten des Autors in den 1980er und 1990er Jahren in Guangxi. Der Autor hinterfragt zunächst einleitend, wie seine ersten persönlichen Kontakte mit Yao-Angehörigen in thailändischen Flüchtlingscamps -en route in die USA in den frühen 80er Jahren- und seine persönliche Stellung als ethnologisch interessierter Wissenschaftler seinen Forschungsansatz prägen. Im Buch werden dann im Bezug auf die VR-chinesischen Yao die sich wandelnden Selbst- und Fremdwahrnehmungen sowie die aktive Rolle einer Yao-Elite als prägende Elemente für die Identität der unter dem Begriff Yao zusammengefassten Gruppen einander gegenübergestellt. Herrschte zur Republikzeit eine Wahrnehmung der Yao als "gefährlich" vor, da sich die Yao staatlichen "Zivilisierungsbemühungen" entzogen, änderte sich mit Beginn der Volksrepublik diese Wahrnehmung u.a. aufgrund der im Textausschnitt beschriebenen Betonung der traditionell gegenüber den imperialien Kräften, zuletzt dann auch gegenüber der republikanischen Regierung selbstbewussten Haltung der Yao (die Yao als "Bauernkrieger").
Die Quelle bietet einen kurzen Überblick über Filmproduktion in Minderheiten-Sprachen.
Die Ausgabe von China Information, in der dieser Artikel erschienen ist, ist dem Definitionsprozess der Minderheiten im Jahr 1954 gewidmet. Der Fokus liegt dabei auf Yunnan, historisch die Provinz mit der größten Vielfalt unter den staatlich anerkannten Minoritäten.
Zentrales Werk über die Kreierung eines Konzepts von Han-Chinesen zum Ende der Qing-Dynastie, denen "die Anderen" (ausländische Barbaren, inländische Nicht-Han-Gruppen) gegenübergestellt sind. Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen widmen sich Facetten des Konstrukts, in dessen Kontext Begriffe wie "Rasse", "Ethnizität", "Kultur", "Nationalität" etc. gesetzt werden. Zentraler Herausgeber des Werkes ist Thomas Mullaney, Professor für chinesische Geschichte an der Standord University. Daneben sind Kapitel von AutorInnen enthalten, die für das Modulthema "Minderheiten" und "Xinjiang" entscheidende Beiträge liefern (Elliott, Leibold, Bulag etc.).
Der Titel enthält im Kapitel "Introduction – What Is Destabilizing about China’s Ethnic Regions" eine gute Darstellung der Vorkommnisse in Urumqi 2009.
Diese Datenbank wird vom Institut für Geschichte und Philologie der Academia Sinica in Taipei unterhalten (siehe http://ethno.ihp.sinica.edu.tw/en/webintro/index.html). Unter dem Reiter https://ndweb.iis.sinica.edu.tw/race_public/System/frame_1.htm findet sich eine Fotodatenbank mit Aufnahmen von Minderheiten aus den südwestlichen Landesteilen, ihren Lebensumständen und ihnen gehörenden Alltagsgegenständen, die zwischen 1928 und 1943 gemacht wurden.
Der Aufsatz analyisiert die Medienstategie der chinesischen Regierung via Inhalten von mehr als 600 Youtube-Videos (in Festland-China gesperrt!), die die beiden zentralstaatlichen Netzwerke China Global Television Network (CGTN) und New China TV (Xinhua) zwischen 2018 und 09/2020 als Gegenposition zu den westlichen medialen Darstellungen über die Situation in Xinjiang erstellt haben. Festgestellt wird eine quantitative Erhöhung der produzierten Beiträge, aber auch eine Diversifizierung der Inhalte.
Das online kostenlos verfügbare Buch des Würzburger Sinologen B. Alpermann enthält die aktuellste deutschsprachige Übersicht zu Geschichte, Entwicklung und aktueller Situation in Xinjiang. Es ist als Hintergrundlektüre uneingeschränkt empfehlenswert.
Der Artikel sollte zusammen gelesen werden mit der Übersetzung des folgenden, von lokalen Lehrern und Schülern verfassten Textes:
Überlegungen zu den Schwierigkeiten, mit denen sich der mongolischsprachige Unterricht in der Autonomen Region Innere Mongolei gegenwärtig konfrontiert sieht (关于当前内蒙古自治区蒙古语授课教育遇到困境的反映)
Gut geeignet als Einstieg zur Dekonstruktion von Kulturbegriff, Minderheitenstatus.
Der Text enthält nach einer kurzen Einführung der Autorin, J. Blanchette (Center for Strategic and International Studies, Washington) die Übersetzung eines Artikels, den ein chinesischer Wissenschaftler an einer Trainingseinrichtung der KP China in Xinjiang im Oktober 2017 verfasst hat. Der Artikel von Chen Hong beinhaltet eine Auslegung von Xi Jinpings Strategien für Xinjiang und geht u.a. ausführlicher darauf ein, dass Xi Jinping neben einem harten politischen Durchgreifen die wirtschaftlichen Weiterentwicklung der Autonomen Region (u.a. im Rahmen der Neuen Seidenstraßen-Initiative) als für die soziale Stabilität elementar erachtet (v.a. Absatz 3, S. 4).
Das Kapitel beschreibt die Veränderungen in der gegenseitigen Wahrnehmung von Han-Chinesen und Minderheiten im Umfeld der KP China, illustriert an konkreten, historischen Beispielen. Der Autor hält fest, dass die ethnischen Beziehungen trotz des Bewusstseins um die Problematik der Überlegenheitsgefühle der Han (großer Han-Chauvinismus) und dem Nationalismus (einiger) Minderheiten nicht verhindert hat, dass Nationlismus der Minderheiten bis heute als negativ angesehen wird, während die Einstellung der Han als legitimer Patriotismus gesehen wird.
Der Autor ist Associate Professor an der Australian National University. Er forscht im Bereich Politikwissenschaft zu Chinas AUßen- und Sicherheitspolitik, insbesondere zur Historie und aktuellen politischen Lage in der Autonomen Region Xinjiang. Der Artikel erörtert, wie die Machtausübung über Xinjiang während der letzten chinesischen Dynastie und die chinesische Wahrnehmung von Xinjiang bis heute die Herangehensweise an die von der Zentralregierung in Beijing gewünschte Einbindung des Territoriums prägen. Das Werk ist sehr hilfreich, um die politische Historie aufzuarbeiten, dazu v.a. S. 261-289.
Dieser schon etwas ältere englischsprachige Artikel eignet sich, um einen Einblick in Formen der Proteste uigurischer Minderheiten in der VR China zu erhalten.
Diese Quelle ist unbedingt lesenswert aufgrund der guten Informationen zum Forschungsstand! Die eigentliche Auswertung ist sehr Statistik-lastig.
Die Grundlagenarbeit der Autorin zum Matriarchat wird kritisch diskutiert (vgl. https://www.nzz.ch/steuergelder_zum_wohl_des_matriarchats-1.10505689 oder Stefanie Knauß: Heide Göttner-Abendroth (geb. 1941). Eine kritische Vorstellung der Klassikerin der Matriarchatforschung. In: A.-K. Höpflinger, A. Jeffers, D. Pezzoli-Olgiati (Hrsg.): Handbuch Gender und Religion. UTB / Vandenhoeck & Ruprecht, Stuttgart 2008, S. 96-106.
Der Autor des Blogs ist Professor an der FU Berlin. Via Twitter präsentiert er seit Beginn der Corona-Krise täglich ein Schriftzeichen, beginnend mit den häufigsten. Eine alphabetische Sortierung ist geplant, es gibt aber auch eine Suchfunktion. Zu beachten ist, dass eine Herleitung der Bedeutung von Schriftzeichen nicht immer sachlich korrekt vorgenommen wird – es sollten also nur qualifizierte Quellen wie dieser Blog dafür zu Rate gezogen werden.
Der Autor, heute Prof. für Ethnologie und Professor für Umwelt- und Forstwissenschaft an der University of Washington, fokussiert in diesem sehr gut lesbaren Buchkapitel auf die Identitätsbildung der Gruppe der Yi, die im Verlauf der Zeit in- sowie ausländische Fremdzuschreibungen sowie darauf basierend Selbstzuschreibungen beinhaltet. Im gleichen Buch "Cultural Encounters on China’s Ethnic Frontiers" enthalten sind Kapitel anderer Autoren zu u.a. den Naxi, Mandschu, Mogolen.
Auf dieser Webseite werden kontinuierlich alle Weißbücher in englischer Sprache eingepflegt, die das Informationsbüro des Staatsrates veröffentlicht. Unterhalb der Weißbücher sind unter der Überschrift "Related Stories" jeweils Xinhua-Meldungen und andere staatliche Verlautbarungen verlinkt, die im inhaltlichen Kontext der Weißbücher stehen. Das Informationsbüro des Staatsrates ist eng mit der Partei verknüpft und folgt inhaltlich den politischen Vorgaben, die die Partei entwickelt.
Es gibt sehr wenig akademische Literatur, die sich mit dem Einfluss von Tourismus auf die Entwicklung der Autonomen Region Xinjiang bzw. seine Wirkung auf die dort lebenden Minderheiten auseinandersetzt. Die drei an chinesischen Universitäten ausgebildeten Autoren dieses Aritkels forschen in den USA an verschiedenen Universitäten und geben im Artikel sowohl einen Überblick über den Forschungsstand, die sozio-kulturelle Ausgangslage in Xinjiang und die Defizite, die sie hinsichtlich des von der Regierung propagierten Potenzials von Tourismus als Entwicklungstreiber in Xinjiang in der Realität sehen. Der Artikel verdeutlicht, wie über vond er Zentralregierung in Beijing initiierte Provinz-Patenschaften (z.B. zwischen Guangdong und Kashgar) massiv bilaterale Entwicklungshilfe nach Xinjiang kanalisiert wird, die unterschiedlichste Formen annehmen kann: von Ausbildungsmöglichkeiten für TouristenführerInnen über konkrete Verkehrsanbindungen und Marketingstrategien bis hin zu Baumaßnahmen in Form von Wohnstättenrenovierung oder Sanitäranlagen.
Die Kritik der Autoren an der Vorgehensweise beschränkt sich allerdings auf die als unzureichend beschriebene kulturelle Seinsibilität der Han-Chinesen gegenüber den Minderheiten der Region: unzureichende Beteiligung (ownership) der lokalen Bevölkerung an den Entwicklungsmaßnahmen, weil Verantwortung nicht delegiert wird, sondern von nicht-lokalen Personen der Partnerprovinzen übernommen wird; durch die hohe Gewichtung von Sicherheit und Stabilität verliert das Angebot vor Ort an Attraktivität (z.B. Unzugänglichkeit als sensibel eingestufter Regionen).
Die Autoren umgehen eine Positionierung zu der Frage, in wieweit Forderungen nach einer stärkeren Einbeziehung lokaler Interessen durch die Zentralregierung realistisch ist.
Die Webseite vermittelt einen kurzen Überblick über den Begriff „Transkulturalität“ und informiert zu den Konzepten Eigen- und Fremdbilder sowie zum Kulturbegriff allgemein.
Diese Monografie untersucht, wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in China eine „Süchtigkeit nach Wissenschaft“ entstand und das Sammeln von Fakten, die Erhebungen von Statistiken und Volkszählungen von chinesischen Intellektuellen propagiert wurde, um sich dem Ausland anzunähern. Dabei wird auch auf den Umgang mit Minderheiten eingegangen, die in den 1920er und 1930er Jahren auch "Objekte" der verschiedenen Bemühungen um Erhebungen von Bevölkerungszahlen waren.
Das Buch ist 2013 erschienen, erfasst aber schon die ersten Ansätze der "zweiten Generation" der Minderheitenpolitik in der VR China in ihren Grundzügen.
Der Autor ist Außerordentlicher Professor für Kulturanthropologie an der Duke Universität (USA). Forschungsschwerpunkte sind u.a. Kultur und Politik von Ethnizität und Nationalismus in China. Neben dem vorliegenden Titel ist v.a. ein Artikel zu Tibet empfehlenswert: “Self-Immolation as Protest in Tibet”. Das vorliegende Buch basiert auf Feldforschungsaufenthalten des Autors in den 1980er und 1990er Jahren in Guangxi. Der Autor hinterfragt zunächst einleitend, wie seine ersten persönlichen Kontakte mit Yao-Angehörigen in thailändischen Flüchtlingscamps -en route in die USA in den frühen 80er Jahren- und seine persönliche Stellung als ethnologisch interessierter Wissenschaftler seinen Forschungsansatz prägen. Im Buch werden dann im Bezug auf die VR-chinesischen Yao die sich wandelnden Selbst- und Fremdwahrnehmungen sowie die aktive Rolle einer Yao-Elite als prägende Elemente für die Identität der unter dem Begriff Yao zusammengefassten Gruppen einander gegenübergestellt. Herrschte zur Republikzeit eine Wahrnehmung der Yao als "gefährlich" vor, da sich die Yao staatlichen "Zivilisierungsbemühungen" entzogen, änderte sich mit Beginn der Volksrepublik diese Wahrnehmung u.a. aufgrund der im Textausschnitt beschriebenen Betonung der traditionell gegenüber den imperialien Kräften, zuletzt dann auch gegenüber der republikanischen Regierung selbstbewussten Haltung der Yao (die Yao als "Bauernkrieger").
Der Artikel geht u.a. auf die Rezeptionsgeschichte des Liedes und die Einstellung der jeweiligen Sängerinnen gegenüber dem Liedtext ein. Thematisiert wird auch die Bedeutung bzw. Auswirkung der individuellen Zugehörigkeit zur Mehrheit der Han-Chines*innen.
Die Quelle bietet einen kurzen Überblick über Filmproduktion in Minderheiten-Sprachen.
Es handelt sich um eine 1990 aus dem Chinesischen übersetzte Version des Originaltitels aus dem Jahr 1984.
Sinotibetische Sprachfamilie (Zhuang- und Dong-Sprachgruppe, Tibeto-birmanische Sprachgruppe, Miao- und Yao-Sprachgruppe, Han-Sprache (Hui und Mandschu), Altaische Sprachfamilie (Turksprachen, mongolische Sprachgruppe, Mandschu-Tungus), Austroasiatische Sprachfamilie (Wa, Benglong, Blang), austronesische Sprachfamilie (Gaoshan, taiwanes. Ureinwohner), Indoeuropäische Sprachfamilie (slawische Sprachgruppe (Russisch), Iranische Sprachgruppe: Tadschikisch
In Sprachfamilie unidentifizierbare Sprache: Jin-Sprache
Die Ausgabe von China Information, in der dieser Artikel erschienen ist, ist dem Definitionsprozess der Minderheiten im Jahr 1954 gewidmet. Der Fokus liegt dabei auf Yunnan, historisch die Provinz mit der größten Vielfalt unter den staatlich anerkannten Minoritäten.
In Kapitel 2 dieses Buches – Chinas Musik, politische Musik? finden sich die philosophischen Hintergründe/Klassikertexte zu der Idee, dass Kunst politischen Wandel herbeiführen und politische Harmonie herstellen kann, die bis heute Wirkmacht haben.Die Autorin ist Professorin am Institut für Sinologie der Universität Heidelberg.
Das Buch enthält eine Übersetzung und Kommentierung eines Zeitungsartikels, der am 1. Januar 1912 in der sich der Modernität verschreibenden chinesischen Zeitung Shenbao erschien. Er ist formuliert als Grußbotschaft an den neu gewählten Übergangspräsidenten Sun Zhongshan (Sun Yat-sen), die zwar eine neue Regierungsform (minzhu, Volksherrschaft) und damit eine neue Ära ankündigt, dies aber unter Zuhilfenahme von klassischen Anspielungen und Zitaten tut.
Zentrales Werk über die Kreierung eines Konzepts von Han-Chinesen zum Ende der Qing-Dynastie, denen "die Anderen" (ausländische Barbaren, inländische Nicht-Han-Gruppen) gegenübergestellt sind. Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen widmen sich Facetten des Konstrukts, in dessen Kontext Begriffe wie "Rasse", "Ethnizität", "Kultur", "Nationalität" etc. gesetzt werden. Zentraler Herausgeber des Werkes ist Thomas Mullaney, Professor für chinesische Geschichte an der Standord University. Daneben sind Kapitel von AutorInnen enthalten, die für das Modulthema "Minderheiten" und "Xinjiang" entscheidende Beiträge liefern (Elliott, Leibold, Bulag etc.).
Der amerikanische Autor des Artikels ist Ethnologe mit Forschungsschwerpunkt Zentralasien/Xinjiang sowie International Development Studies.
Die Kurzversion des Berichts, die für das Material M 4.5 genutzt wurde, findet sich unter: Cultural erasure (aspi.org.au)
Im deutschen Newsletter von ChinaTable erläutert Jeffrey D. Sachs, Professor und Leiter des Center for Sustainable Development an der Columbia University und Vorsitzender des Netzwerks der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklungslösungen, seinen Blick auf die Frage, ob die aktuelle Situation in Xinjiang als Genozid bezeichnet werden sollte.
Die Webseite enthält Links zu den Stellungnahmen der angehörten Expert*innen.
Die Autorin Su Fu ist Professorin für Interkulturelle Kommunikation an der Capital Normal University (CNU), Beijing. Sie stellt Informationen zu Tibet aus dem Brockhaus Multi-medial und der chinesischen Enzyklopädie Chinas einander gegenüber, um dem Leser einen Überblick über die in den Veröffentlichungen zum Ausdruck kommenden Geschichtsbilder und Diskurse zu verschaffen.
Der Titel enthält im Kapitel "Introduction – What Is Destabilizing about China’s Ethnic Regions" eine gute Darstellung der Vorkommnisse in Urumqi 2009.
H. v. Ess ist deutscher Sinologe und Mongolist (Ludwig-Maximilians-Universität München). Das Kapitel "Sprache und Schrift" (S. 98 – 112) vermittelt einen guten Überblick über ethnische Gruppen (einschl. der Han-Majorität) und ihre Sprachen und Dialekte.
Hörenswert (nicht ausschließich mit Bezug zu China):
Vreni vom Blog Fashion Changers über die Probleme in den Textilfabriken (02:54);
Eva von der Initiative Lieferkettengesetz zum aktuellen Lieferkettengesetz (10:43).
Um seinen Durchgang durch die chinesische Geschichte von ihren mythischen Anfängen vor tausenden von Jahren bis in die Gegenwart zu illustrieren, liefert der Autor auch viele kurze Auszüge aus chinesischen historischen Quellen, die sonst nicht in übersetzter Form auf Deutsch vorliegen. Seine Bewertungen historischer Ereignisse sollten jedoch nicht immer als abschließender Forschungsstand verstanden werden (beispielsweise kämpften im Opiumkrieg keine chinesischen Bauernmilizen sondern schlecht ausgestattete und schlecht organisierte Berufssoldaten gegen Großbritannien).
Diese Datenbank wird vom Institut für Geschichte und Philologie der Academia Sinica in Taipei unterhalten (siehe http://ethno.ihp.sinica.edu.tw/en/webintro/index.html). Unter dem Reiter https://ndweb.iis.sinica.edu.tw/race_public/System/frame_1.htm findet sich eine Fotodatenbank mit Aufnahmen von Minderheiten aus den südwestlichen Landesteilen, ihren Lebensumständen und ihnen gehörenden Alltagsgegenständen, die zwischen 1928 und 1943 gemacht wurden.
Das Xinjiang Documentation Project sammelt, übersetzt und stellt Informationen zur Situation von Uiguren, Kasachen und anderen ethnischen Gruppen in Xinjiang im Nordwesten Chinas online frei zugänglich zur Verfügung. Neben übersetzten chinesischen Quellen, Augenzeugenberichten, Zeitleisten, Verweisen auf Forschungstexte, einem Glossar mit chinesischen Begriffen und weiteren Ressourcen wie Infografiken und Abbildungen finden sich auch Materialien für den Unterricht wie ein Rollenspiel. Das Projekt ist an der University of British Columbia in Kanada angesiedelt.
Das Xinjiang Documentation Project sammelt, übersetzt und stellt Informationen zur Situation von Uiguren, Kasachen und anderen ethnischen Gruppen in Xinjiang im Nordwesten Chinas online frei zugänglich zur Verfügung. Neben übersetzten chinesischen Quellen, Augenzeugenberichten, Zeitleisten, Verweisen auf Forschungstexte, einem Glossar mit chinesischen Begriffen und weiteren Ressourcen wie Infografiken und Abbildungen finden sich auch Materialien für den Unterricht wie ein Rollenspiel. Das Projekt ist an der University of British Columbia in Kanada angesiedelt.
Das Xinjiang Documentation Project sammelt, übersetzt und stellt Informationen zur Situation von Uiguren, Kasachen und anderen ethnischen Gruppen in Xinjiang im Nordwesten Chinas online frei zugänglich zur Verfügung. Neben übersetzten chinesischen Quellen, Augenzeugenberichten, Zeitleisten, Verweisen auf Forschungstexte, einem Glossar mit chinesischen Begriffen und weiteren Ressourcen wie Infografiken und Abbildungen finden sich auch Materialien für den Unterricht wie ein Rollenspiel. Das Projekt ist an der University of British Columbia in Kanada angesiedelt.
Angehängt an die Analyse ist
A) eine rechtliche Stellungnahme einer ehemaligen Mitarbeiterin des Internationalen Strafgerichtshofs ICC, die die Situation in Xinjiang in Bezug setzt zu verschiedenen Tatbeständen (Verbrechen gegen die Menschlichkeit – zwangsweise Überführung, systematische Verfolgung)
B) die Übersetzung des sog. Nankai-Reports, benannt nach der Universität in Tianjin (Nordost-China), an der der Bericht von einem Team chinesischer Wissenschaftler herausgegeben wurde. Er analysiert den Erfolg der staatlichen Arbeitskräftetransfer-Programme für die Präfektur Hotan im Süden Xinjiangs. ("Work Report on Poverty Alleviation Work of Uyghur Labor Force Transfer in Hotan, Xinjiang [新疆和田地区维族劳动力转移就业扶贫工作报告].
Projekt am "Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht". Der Autor vergleicht die chinesische und deutsche Anti-Terror-Gesetzgebung der Jahre 2006 – 2012.
Zentrales Argument des Autors, der in Deutschland an einem Max-Planck-Institut promoviert hat, ist, dass der chinesische Rechtsrahmen nicht dazu geeignet ist, die Einhaltung von Menschenrechtsstandards in der Terrorbekämpfung zu gewährleisten.
Der Autor (ehem. Leiter des Instituts für Weltreligionen der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften) wendet sich nach einem Einblick in die frühen Jahre des 20. Jahrhunderts ab Seite 57 der Religionspolitik der KP China zu.
Es handelt sich um einen von der staatlichen Medienagentur Xinhua erstellten, siebenminütigen Propagandafilm über die staatlichen Bemühungen um Armutsbekämpfung durch Umsiedelungsprogramme der letzten 8 Jahre, der auf die südwestchinesische Provinz Guizhou 贵州 fokussiert. Aufgrund der hohen Anzahl an dort lebenden Angehörigen ethnischer Minderheiten nimmt der Film die besondere Situation dieser Bevölkerungsgruppen in den Blick und stellt die Frage, ob die Traditionen der ethnischen Minoritäten „koexistieren können mit den durch die Entwicklung erzeugten Veränderungen?“ (2:51). Die Ausdrucksweise ist dabei auf ein westliches Publikum ausgerichtet (die gezeigte Frau „identifiziert sich als ethnisch den Miao zugehörig“ 2:56) und die Verquickung von traditioneller Kultur und wirtschaftlicher Nutzbarmachung wird deutlich. Eine Diskussionsgrundlage für den Unterricht können auch die Kommentare zum Film auf Youtube bieten.
Autor | Kategorie | Schlagworte | Dauer | Fächerbezug | Klassenstufe(n) | Bezug zu Lehrplänen |
---|---|---|---|---|---|---|
Autor*in: Stefanie Elbern (Alle nicht anders ausgezeichneten Texte wurden vom Autor/von der Autorin verfasst oder von ihm/von ihr übersetzt.) | Kategorie: Politik, Politik und Wirtschaft, Politikwissenschaften, Geschichte, Sozialwissenschaft, Geographie, Wirtschaft(-swissenschaften), Wirtschaft und Recht, Gemeinschaftskunde, Sozialkunde | Schlagworte: Minoritäten, Separatismus, Xinjiang, Quellenanalyse | Dauer: ca. 90 min Einführung zu Minderheiten plus Erweiterung Xinjiang (ca. 90 min.) | Fächerbezug: Alle Materialien können (ggf. nach Anpassung) jahrgangsstufen- und fächerübergreifend eingesetzt werden, die Alters- bzw. Schulfächer-Zuordnung ist lediglich als Empfehlung zu verstehen.
Geeignete Fächer: Politik, Politik und Wirtschaft, Politikwissenschaften, Geschichte, Sozialwissenschaft, Geographie, Wirtschaft(-swissenschaften), Wirtschaft und Recht, Gemeinschaftskunde, Sozialkunde | Klassenstufe(n): 10-12 | Bezug zu Lehrplänen: Fachbereich Geschichte:
Geographie:
Sozialwissenschaften:
Wirtschaft:
Wirtschaft und Recht:
Wirtschaftswissenschaften:
Politik:
Politikwissenschaften:
Politik und Wirtschaft:
Gemeinschaftskunde:
Sozialkunde:
ChaF: die Materialien werden separat bereitgestellt! Es gibt vielfältige Möglichkeiten zum Andocken!
|
Lernziele/Kompetenzen
Die Schüler*innen können…
1 | 2 | 3 | 4 |
---|---|---|---|
Inhaltliche Kompetenzen | Erkennen | …Fachterminologie analysieren und sich kritisch damit auseinandersetzen (Dekonstruktion zentraler Begriffe: Nationalität(en); Kultur; Mehrheiten/Minderheiten) | Informationsbeschaffung und -verarbeitung |
…Handlungsebenen voneinander unterscheiden: Handlungsebenen vom Individuum bis zur Weltebene in ihrer jeweiligen Funktion für Entwicklungsprozesse erkennen. | Unterscheidung von Handlungsebenen | ||
Bewerten | …kritisch reflektieren und Stellung beziehen: durch kritische Reflexion zu Globalisierungs- und Entwicklungsfragen Stellung beziehen und sich dabei an der internationalen Konsensbildung, am Leitbild nachhaltiger Entwicklung und an den Menschenrechten orientieren. | Informationsbeschaffung und -verarbeitung | |
…Entwicklungsmaßnahmen beurteilen: Ansätze zur Beurteilung von Entwicklungsmaßnahmen unter Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen und Rahmenbedingungen erarbeiten und zu eigenständigen Bewertungen kommen (Beispiel: Tourismus als Element der chin. Entwicklungsbemühungen in Minderheitengebieten) | Kritische Reflexion und Stellungnahme; Beurteilung von Entwicklungsmaßnahmen | ||
Handeln | …Bereiche persönlicher Mitverantwortung erkennen und als Herausforderung annehmen. | Perspektivenwechsel und Empathie; Solidarität und Mitverantwortung | |
…aufgrund ihrer mündigen Entscheidung auf gesellschaftlicher und politischer Ebene am Diskurs teilhaben. | Partizipation und Mitgestaltung | ||
Methodische Kompetenzen | Erkennen | …verschiedene Materialsorten analysieren und interpretieren (kritische Quellenwürdigung unterschiedlicher Arten von Quellen: Zeitungsartikel, wiss. Fachartikel, Publikationen von Nichtregierungsorganisationen, Regierungsdokumente) | |
…empirische Verfahren identifizieren: Beobachtung, Befragung (z.B. im Rahmen von akademischen Studien vor Ort); Nutzung von Satellitenbildern (z.B. im Bereich Tourismus oder zu Forschungszwecken) | |||
Bewerten | …ideologiekritisch mit Texten umgehen | ||
Handeln | …Argumentationszusammenhänge (z.B. pro und contra Sanktionen, Verwendung des Begriffs Genozid) entwickeln | ||
Soziale und personale Kompetenzen | Umgang mit Nichtverstehen
| Perspektivenwechsel und Empathie Verständigung und Konfliktlösung Handlungsfähigkeit im globalen Wandel Partizipation und Mitgestaltung | |
Umgang mit Widersprüchen Selbstreflexion (auch kulturelle Selbstreflexion) Fähigkeit sich in andere versetzen zu können
Personale Kompetenzen wie:
|
Anmerkung: Nicht bei jedem in den Materialien abgehandelten Aspekt ist inhaltlich unmittelbar ein Bezug zum Globalen Lernen/Bildung für nachhaltige Entwicklung sichtbar. Wir wollen dies in den Modulen in der Herangehensweise aber wo immer möglich verankern. Die Lernziel-/Kompetenzfestlegung ist daher entsprechend dem Dreiklang Erkennen-Bewerten-Handeln aufgebaut.
Didaktisch-methodischer Kommentar
Eine Kernkompetenz, zu deren Erlangung die Bearbeitung der Materialien beitragen sollte, ist die Befähigung zu einer kritischen Quellenwürdigung: dazu zählt die Frage nach der Art der Quelle/Quellengattung. Daneben aber auch die Fragen: Wer genau ist der/die Autor*in? Wer ist das intendierte Publikum? Sind die Aussagen plausibel? Wie (gut) sind die Aussagen belegt, auf wen bezieht sich der/die Autor*in? Welche Methodik wurde zur Erhebung eingesetzt? Lassen sich Rückschlüsse auf die Motivation des Autors/der Autorin ziehen? Welche abweichenden Meinungen/Einwände gibt es von Seiten Dritter? Gelingt es dem Leser/der Leserin, eine kritische Distanz zu den Quellen zu wahren? Woran liegt es, wenn das gelingt/nicht gelingt? Welchen Wert hat die Quelle für die Fragestellung/für den Leser[/die Leserin] persönlich?
Da die Thematik sehr vielschichtig ist, erscheint es empfehlenswert, das Modul über zwei Unterrichtseinheiten hinweg zu bearbeiten. Dies erlaubt eine Fokussierung sowohl auf transkulturelle Elemente (über die Dekonstruktion von Begriffen wie Kultur, Minderheit/Mehrheit) wie auch auf eine Kompetenzerweiterung in den dargestellten Teilbereichen der für das Globale Lernen zentralen Trias von Erkennen-Bewerten-Handeln (vgl. Lernziele/Kompetenzen in der Lehrerhandreichung).
Der Einstieg in den ersten Teil (Fokus Minderheitenpolitik allgemein) kann über M 1 – einen visuellen Eindruck von Minderheiten(-klischees) – erfolgen. Dabei kann keine ausführliche Filmanalyse geleistet werden, vielmehr sollten erste audio-visuelle Eindrücke gesammelt und gemeinsam besprochen werden. Die Frage der Kategorisierung/politischen Festlegung von Minderheiten im chinesischen Kontext sowie die Dekonstruktion von Begriffen wie Mehrheit/Minderheiten werden in M 2 aufgegriffen: Das zu bearbeitende Material umfasst zum einen zwei Karten der VR China: M 2.1/1 zeigt die traditionellen Siedlungsgebiete der 55 Minderheiten. M 2.1/2 gibt eine Übersicht über die wichtigsten in China gesprochenen Minderheitensprachen. Das Diagramm M 2.2 regt dazu an, die in M 2.1/1 und M 2.1/2 zum Ausdruck kommende Statik von Aufenthaltsorten zu hinterfragen. Dem gegenübergestellt fasst M 2.3, ein auf einem amerikanischen, ethnologischen Werk basierender Text, beispielhaft zusammen, wie es im Falle der Yao-Minorität nach Gründung der Volksrepublik China dazu kam, dass die als Yao bezeichneten Menschen zur Ethnie der Yao zusammengefasst wurden. Die Bearbeitung erfolgt, je nach verfügbarem Zeitrahmen, entsprechend dem Ablaufplan sukzessive oder in Gruppenarbeit. Die auswertende Diskussion kann dabei von der Lehrkraft gezielt über den chinesischen Kontext hinaus gesteuert werden und Fragen der Entstehung von Eigen- und Fremdbildern sowie der Fluidität des Kulturbegriffs einschließen. Hilfreich hierfür ist die Webseite Kulturshaker von G. Kolle zum Konzept /Perspektive der Transkulturalität https://kulturshaker.de/kulturkonzepte/transkulturalitaet/ (Kolle o. J.). Damit kann die Leitfrage der Unterrichtseinheit – welchen Gewinn bringt unabhängig vom Länderkontext die Auseinandersetzung mit dem Konzept ethnischer Minderheiten – bearbeitet werden.
Im zweiten Teil (Fokus Xinjiang) gehen die Schüler*innen unter Heranziehung unterschiedlichster Quellenformate der Frage nach, wie die aktuellen Ereignisse in Xinjiang westliche Länder und ihre Bewohner*innen auf politischer und individueller Ebene tangieren. Die Vielfalt der Teilmaterialien M 4 soll hier einen möglichst breiten Einblick in die Facetten des Konflikts ermöglichen. Dabei sollte je nach Lerngruppe explizit darauf hingewiesen werden, dass die Gegenüberstellung der Quellen keine Gleichwertigkeit der vertretenen Positionen suggerieren soll. Die Bereitstellung von Propagandatexten als Lernmaterial (z.B. M 4.3) erfolgt in der Annahme, dass im Unterricht eine Kontextualisierung erfolgt, die die Schüler*innen eine kritische, auf den Grundwerten (z.B. Menschenrechten) basierende eigene Position entwickeln lässt. Der Einstieg in die Stunde erfolgt in der Großgruppe über eine Zusammenstellung von Schlagzeilen nationaler und internationaler Medien (M 3). In Kleingruppenarbeit werden dann neben westlichen Quellen auch Originalstimmen aus China (M 4.1, M 4.3 und M 4.7) zugänglich gemacht, die den Schüler*innen nach der Gesamtbetrachtung eine persönliche Positionierung ermöglichen sollen:
Gruppe 1 setzt sich in M 4.2 mit einem Kommentar eines chinesischen Xinjiang-Touristen auseinander und ordnet ihn ein vor dem Hintergrund eines westlichen Zeitungsartikels (The Economist/Chaguan, M 4.1 ), der über das gleiche touristische Ziel berichtet.
Gruppe 2 setzt sich in M 4.3 mit Aussagen des chinesischen Botschafters in Deutschland zur Lage in Xinjiang und zum religiösen Kontext der Region auseinander.
Gruppe 3 liest in M 4.4 Zitate aus The New York Times (Ai Weiwei) und The Economist (Kolumne Leaders) zur Frage eines Genozids an Uigur[*innen].
Gruppe 4 erhält in M 4.5 Auszüge aus einem der Berichte, die die aktuelle internationale Diskussion über Xinjiang entscheidend mit vorangetrieben haben: "Kulturelle Auslöschung" – Auf den Spuren der Zerstörung von uigurischen und islamischen Orten in Xinjiang“ des australischen Instituts für strategische Politik (ASPI).
Gruppe 5 wendet sich mit M 4.6 einem im zivilgesellschaftlichen Kontext entstandenen Factsheet zum Thema Zwangsarbeit im Textilsektor zu (Südwind e.V.), einem der zentralen Wirtschaftsfaktoren in der Autonomen Region. Dieses Material erlaubt einen guten lebensweltlichen Bezug, da die hier in den Blick genommene Baumwolle aus Xinjiang von zahlreichen international bekannten Modeketten verwendet wird.
Gruppe 6 arbeitet in M 4.7 mit zwei Texten, einem chinesischen Zeitungsbericht über die staatlicherseits forcierte Annäherung von Han und Uigur[*innen] und einem Text der amerikanischen NRO Human Rights Watch zum gleichen Thema.
Als alternatives/zusätzliches Material für die Gruppenarbeit (mit etwas längerem Text und inhaltlich anspruchsvoller) wird ZM 1 (Auszüge aus einem wissenschaftlichen Text zur Entstehung des Gartens der Xiangfei in Kashgar, Xinjiang, der auch in M 4.1 und M4.2 adressiert wird) angeboten.
Die Lerneinheit 5 fokussiert auf Dokumentationsquellen zur Situation von Uigur*innen in Xinjiang (M 5.1) sowie eine Sammlung uigurischer Stimmen, die künstlerisch Exil und Unterdrückung verarbeiten (M 5.2). Der Einsatz dieser Quellen im Unterricht kann für Schüler*innen und Lehrkräfte psychisch belastend sein. Nichts desto trotz stellen die Stimmen eine wertvolle Informationsquelle dar, auf die die Schüler*innen bei der Recherche zu Xinjiang vermutlich stoßen werden, weshalb im Modul eine kommentierte Auswahl präsentiert wird.
Ablauf
Der hier präsentierte Unterrichtsverlauf ist ein Vorschlag, der mit den im Modul enthaltenen Materialien umsetzbar ist und auf den im didaktisch-methodischen Kommentar dargelegten Überlegungen basiert. Unsere Vorschläge werden im Laufe unserer Schulpatenschaften an die Erfahrungen aus der Praxis angepasst. Geben Sie uns gerne auch informell Rückmeldung zu Ihren Unterrichtserfahrungen mit den im Modul enthaltenen Materialien: [email protected]
Unterrichtsverlauf 2 mal 90 min, Fokus 1: 55 Minderheiten, 1 Mehrheit; Fokus 2: Die Autonome Region Xinjiang im Blick der Weltöffentlichkeit
Phase | Dauer | Inhalt | Sozialform | Material |
---|---|---|---|---|
55 Minderheiten, 1 Mehrheit | ||||
Einstieg | 25 min | Leitfrage: Welchen Erkenntnisgewinn bringt die Auseinandersetzung mit dem Begriff „ethnische Minderheiten“, unabhängig vom Länderkontext China? Lehrkraft zeigt Video M1 mit staatlich propagiertem Blick auf Minderheiten (ohne Fokus auf Xinjiang); anschließend Kurze Einführung durch Lehrkraft in Genese der 55 Minderheiten | Lehrervortrag, Unterrichtsgespräch | L1 M1 |
Erarbeitung | 50 min | Dekonstruktion der Begriffe Minderheit, Mehrheit mit Hilfe von – Karten (M2.1/1 und M2.1/2 , Verteilung von Sprachen und Siedlungsgebiete) sowie – einer Grafik M2.2 (Statik von Aufenthaltsorten) und – einem Auszug aus einem wissensch. Text (M2.3) | Karten- und Textarbeit (sukzessive oder in Gruppenarbeit) | L2 M2.1/1 und M2.1/2 sowie M2.2 und M2.3 |
Sicherung | 15 min | Zunächst Auswertung der gesammelten Erkenntnisse (z.B. Tafelbild); dann Ausweitung über den chinesischen Kontext – Diskussion über Fluidität des Kulturbegriffs; moderne Nationen und analog auch Ethnien als Produkt eines gesellschaftlichen Konstruktionsprozesses | Auswertung via Tafelbild, Unterrichtsgespräch | |
Fokus 2: Die Autonome Region Xinjiang im Blick der Weltöffentlichkeit | ||||
Einstieg | 15 min | Leitfrage: Welcher Kenntnisstand besteht hinsichtlich Xinjiang und was hat die Lage dort mit den SuS/mit Deutschland zu tun? Einstieg via M3: Medienüberblick – Blicke auf Xinjiang | Unterrichtsgespräch | L3 |
Erarbeitung | 45 min | Gruppenarbeit mit verschiedenen Formen von Quellen und zu verschiedenen inhaltlichen Aspekten der aktuellen Situation in Xinjiang (M4): – Tourismus (M4.1 und M4.2) – politische und religiöse Situation in Xinjiang (M4.3); – Genozid-Frage (M4.4) – Kulturelle Auslöschung (M4.5) – Baumwollindustrie/Zwangsarbeit (M4.6) – Interaktion zwischen Mehr- und Minderheit (M4.7) (wissenschaftliche Texte, Zeitungsausschnitte, zivilgesellschaftliche Stimmen (NRO), Einzelpersonen, Regierungsstatements) | Gruppenarbeit in 6 Kleingruppen (einschl. Festhalten der jew. Ergebnisse via Tafelbild) | L4 M4.1 – M4.7 |
Sicherung | 30 min | Kurzer Austausch über Tafelbild; dann Übergang zu Positionierung anhand von Leitfragen: Welche Voraussetzungen sind für Sach- und Werturteile notwendig? Welches Bild haben die SuS gewonnen? Können sie eine Position formulieren? Sehen sie Handlungsbedarf und wenn ja, auf welcher Ebene (individuell, gesellschaftlich, staatlich)? | Auswertung via Tafelbild, Unterrichtsgespräch | |
Erweiterung | 45 min | Informationsquellen über Einzelpersonen in Xinjiang, zu denen kein Kontakt/Zugang mehr besteht (M 5.1) sowie (Exil-)Stimmen von uigurischen Künstler*innen (M 5.2) Quellenanalyse: Welche Informationen werden online von wem breitgestellt? Welche Emotionen entstehen bei der Auseinandersetzung mit Einzelschicksalen? | Gruppengespräche | L 5 |
Stefanie Elbern
Inhalt
55 Minderheiten, eine Mehrheit?
Autor*in
Stefanie Elbern
3 Lernmodule
Beinhaltet
- 6 Lerneinheiten
- 16 Materialien
- 16 Aufgaben