China in der Kolonialzeit: Das Beispiel Qingdao
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- Lerneinheit 2: Hintergrundwissen: China und der Kolonialismus2 Materialien|1 Aufgabe
- Lerneinheit 3: Chinesische Stimmen über die deutsche Kolonialherrschaft in Qingdao4 Materialien|2 Aufgaben
- Lerneinheit 4: Quiz zu Qingdao als Kolonie1 Aufgabe
- Ergänzende Materialien8 Materialien
- Ausländische Kolonien und Einflussgebiete in Qing-China
- Sammelbild „Uebergabe des Fort“ (um 1900)
- Die Besetzung Qingdaos 1897
- Japanischer Druck „Die japanische Armee besetzt das Bismarck-Fort in Tsingtau“ (1915)
- Die Eroberung Qingdaos 1914
- Kolonien des deutschen Kaiserreiches
- Informeller Imperialismus und Halbkolonie
- Der Gelehrte Yan Fu über die deutsche Besetzung Qingdaos (1897)
- Ausländische Kolonien und Einflussgebiete in Qing-China
M3.4: Zhu Qi über die Kolonialherrschaft in Qingdao (1908)
Zhu Qi (朱淇, 1858-1931), war ein chinesische Journalist und Zeitungsherausgeber. Von 1900 bis 1904 lebte er in der deutschen Kolonie Qingdao und gab dort eine chinesische Tageszeitung heraus. Der folgende Leitartikel Zhus erschien 1908 und wurde an der deutschen Botschaft in Beijing ins Deutsche übersetzt.
Die Geringschätzung, die von den Deutschen in Shandong den Chinesen gegenüber zur Schau getragen wird, spricht in jeder Beziehung allen vernünftigen Erwägungen Hohn. […]
Zunächst ist im allgemeinen der deutsche Nationalcharakter ein anderer, als z.B. der der Engländer. Die Engländer könnte man vergleichen mit den Abkömmlingen alter Familien, deren Generationen im Staatsdienst grau geworden sind. Zwar haben sie Macht und Einfluß; aber sie sind frei von Kastengeist und Engherzigkeit. Die Deutschen dagegen sind die Parvenüs, aufgeblasen und in ihrem Glänze sich sonnend und hochmütig gegen andere. Darum benehmen sie sich Chinesen gegenüber wie rohe Tyrannen. Dazu kommt noch, daß […] [b]ei der Garnison aber, die von den Deutschen in Qingdao unterhalten wird, jedes Jahr ein großer Teil der Mannschaften gewechselt [wird]. Bei der jedesmaligen Ablösung aber fallen immer einige Leute ab, die in China bleiben und die natürlich suchen, sich hier ihren Lebensunterhalt zu erwerben. Daher kommt es, daß es in Shandong eine Menge Leute gibt, die den unteren Volksschichten in Deutschland entstammen. Wenn diese Leute sich dann rowdymäßig benehmen, kann man sich nicht wundern. […]
Die zweite Ursache liegt darin, daß Shandong verhältnismäßig spät kulturell fortschreitet. Die Guangdong-Leute haben durch das Zusammenleben mit den Engländern in Hongkong seit einigen Dutzend Jahren diese kennengelernt und wissen im allgemeinen Bescheid mit ihren Sitten und Gesetzen. […] Die Beziehungen zwischen Chinesen und Deutschen in Shandong datieren dagegen erst aus neuerer Zeit. Von deutschem Recht und Gesetz haben die Shandong-Leute daher kaum eine blasse Ahnung. Sie sind also nicht imstande, Streitigkeiten mit jenen im Rechtswege durchzufechten. Die Folge ist, daß die Deutschen glauben, die Chinesen vergewaltigen zu können und daß die Rücksichtslosigkeit diesen gegenüber allmählich zu einer Art von Gewohnheitsrecht geworden ist. Besonders schamlose Chinesen aber machen sich sogar die Macht der Deutschen zunutze, um ihre eigenen Stammesgenossen zu vergewaltigen, wodurch den Deutschen der Kamm noch sehr geschwollen ist. Auf diese Weise hat sich also die auf allen möglichen Gebieten zutage tretende harte Bedrückung der Chinesen herausgebildet.
Die dritte Ursache ist die Behandlung, welche die deutsche Regierung den Chinesen angedeihen läßt, und die von grausamer Härte nicht weit entfernt ist. Wenn Deutsche vor einer Behörde erscheinen, so sprechen sie stehend. Wenn aber Chinesen vor Gericht erscheinen, so werden sie gezwungen, vor dem deutschen Beamten niederzuknien. Die Deutschen werden nur mit Geld bestraft; Chinesen aber werden mit einem Ochsenzieher auf das Hinterteil geschlagen; auch gibt es für sie die Strafe der Enthauptung. Die Guangdong-Leute können in Hongkong englische Beamte werden. Den Shandong-Leuten aber ist jede einigermaßen bessere amtliche Stellung in Qingdao verschlossen. Wenn es hochkommt, so können sie Schreiber werden; das ist alles. Wenn aber schon die deutsche Regierung die Chinesen so hart behandelt, wie mag es da auch in dem, was bei jener selbst noch gut ist, bei den unteren Stellen aussehen! Die Folge ist, daß die Unterdrückung und Verachtung der Chinesen ganz unbewußt zur gewohnheitsmäßigen Übung geworden ist.
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