China in der Kolonialzeit: Das Beispiel Qingdao
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- Lerneinheit 4: Quiz zu Qingdao als Kolonie1 Aufgabe
- Ergänzende Materialien8 Materialien
- Ausländische Kolonien und Einflussgebiete in Qing-China
- Sammelbild „Uebergabe des Fort“ (um 1900)
- Die Besetzung Qingdaos 1897
- Japanischer Druck „Die japanische Armee besetzt das Bismarck-Fort in Tsingtau“ (1915)
- Die Eroberung Qingdaos 1914
- Kolonien des deutschen Kaiserreiches
- Informeller Imperialismus und Halbkolonie
- Der Gelehrte Yan Fu über die deutsche Besetzung Qingdaos (1897)
- Ausländische Kolonien und Einflussgebiete in Qing-China
Die Besetzung Qingdaos 1897
Jonas Schmid 16.11.2021
Die Besetzung Qingdaos
Neben Japan, Frankreich, Großbritannien und Russland forderten auch deutsche Handelsverbände einen eigenen Stützpunkt in China und fanden Unterstützung beim kolonialbegeisterten Kaiser Wilhelm II. Bereits im November 1896 hatte man sich innerhalb der deutschen Regierung geeinigt, einen Stützpunkt in der Jiaozhou-Bucht zu errichten und erste Vorbereitungen zur Besetzung getroffen: Deutsche Marinesoldaten sollten dort an Land gehen, als Hoheitszeichen die Flagge des Deutschen Reiches hissen, Land ankaufen und mit der Errichtung von Gebäuden beginnen. Erst nach dieser Besitznahme sollten dann Verhandlungen mit China über eine vertragliche Regelung begonnen werden. (Leutner 1997, 105-106)
Der Mord an zwei deutschen Missionaren am 01. November 1897 Süden der Provinz Shandong (der Provinz, in der auch die Jiaozhou-Bucht liegt) diente der deutschen Regierung und Kaiser Wilhelm II. dann als Vorwand, um den Hafen Qingdao in der Jiaozhou-Bucht zu besetzen. (Leutner 1997, 119) Angesichts der militärischen Übermacht der deutschen Flotte lenkte die chinesische Regierung ein und unterzeichnete im März 1898 einen Vertrag, der die Jiaozhou-Bucht mitsamt des Hafens Qingdao für 99 Jahre an Deutschland verpachtete. (Leutner 1997, 164-168)
Der genaue Ablauf der Besetzung Qingdaos aus deutscher Sicht wird in einem Bericht vom 15. November 1897 des Chefs des Kreuzergeschwaders in Ostasien, Otto von Diederichs (1843-1918), an den Oberkommandierenden der deutschen Marine beschrieben. (Leutner 1997, 124-128) Beim Vergleich der Ereignisse mit der Darstellung auf dem Sammelbild, scheinen auf den ersten Blick viele Details übereinzustimmen: Am frühen Morgen des 14. Novembers ankerten drei Schiffe der kaiserlichen Marine – S.M.S. Cormoran, S.M.S. Kaiser und S.M.S Prinzeß Wilhelm. Daraufhin gingen die deutschen Soldaten an Land und marschierten zum Exerzierplatz des nahegelegenen chinesischen Forts, wo gerade eine Abteilung chinesischer Soldaten am Trainieren war. Da deutsche Truppen bereits in der Vergangenheit zu Besuchen bei Qingdao vorbeigeschaut hatten, schöpfte der befehlshabende chinesische General vor Ort Zhang Gaoyuan 章高元 (1843-1912) keinen Verdacht und stellte sogar Pferde zum Ausreiten der Deutschen in die Umgebung zur Verfügung. An Land gegangen überreichten die deutschen Soldaten General Zhang ein Ultimatum: Alle Soldaten mussten innerhalb von drei Stunden die Lager räumen. Gleichzeitig hatten die Deutschen die Telegraphenkabel gekappt, sodass Zhang keine Rücksprache mit seinen Vorgesetzten halten konnte. Daraufhin gab Zhang den Befehl, die Lager zu räumen und die chinesischen Soldaten zogen sich zurück – gegen Mittag waren die chinesischen Militäranlagen bei Qingdao ohne Blutvergießen von Deutschland besetzt worden. Daraufhin wurde die Kriegsflagge (die Flagge der Streitkräfte des deutschen Kaiserreichs) gehisst, wie auch auf dem Sammelbild abgebildet. Im chinesischen Artillerielager fanden die Deutschen außerdem Kanonen der Firma Krupp aus den 1870er-Jahren – zwei Geschütze die den Krupp’schen Geschützen der 1870er-Jahre ähneln, finden sich ebenfalls auf dem Sammelbild.
Doch nicht alle Details des Sammelbilds treffen zu: Im Zentrum des Sammelbilds ist nicht der Vizeadmiral Otto von Diederichs, der die Besetzung anführte, zu sehen, sondern ein Korvettenkapitän (erkennbar an den drei mittelbreiten Ärmeltressen der Uniform). Und auch bei der Beschriftung des Porträts links oben auf dem Sammelbild ist dem Zeichner ein Fehler unterlaufen: Einen Capitän Rosentahl gab es in der deutschen Marine nicht. Gemeint ist vielmehr Carl Rosendahl (1852-1917), von 1898 bis 1899 der erste Gouverneur der deutschen Kolonie in Qingdao. Auch die Darstellung der chinesischen Soldaten mit Kopfbedeckung, Bart und Schwert entspricht weniger der Uniform chinesischer Soldaten um 1900, sondern erinnert eher an Abbildungen mandschurischer Bannersoldaten aus dem 18. Jahrhundert. (Bügener 2015, 20-23)
Die Küste bei Qingdao war zwar durchaus karg und baumlos – das heißt jedoch nicht, dass die von Deutschland besetzte Gegend eine Ödnis fernab der Zivilisation war. (Rathjen 2021, 37-41) Qingdao selbst war zum Zeitpunkt der deutschen Besetzung zwar nur ein Dorf am Rande der Jiaozhou-Bucht. Die Jiaozhou-Bucht selbst war jedoch bereits seit Jahrhunderten ein wichtiger Hafen für die kommerzielle und militärische Seefahrt Chinas gewesen und fungierte als wichtiger Knotenpunkt des interregionalen und internationalen Handels. Ebenso war die außerhalb der deutschen Kolonie – dem Schutzgebiet Kiautschou (Jiaozhou) – liegende Stadt Jiaozhou seit Jahrhunderten eine florierende Stadt gewesen. Auch die Tatsache, dass in Qingdao ein Fort der chinesischen Armee bestand, bestätigt die Wichtigkeit der Jiaozhou-Bucht. Der Qing-Regierung war außerdem das Interesse Deutschlands und anderer ausländischer Staaten an der Bucht nicht verborgen geblieben. In den Jahren vor der Besetzung hatte China daher versucht, die Bucht zu einem modernen Seehafen zu entwickeln – finanzielle Schwierigkeiten verhinderten dies jedoch. (Leutner 1997, 67-76)
Anders als das Sammelbild suggeriert, war Qingdao bzw. die Jiaozhou-Bucht also nicht einfach irgendein unbesiedelter Fleck in der chinesischen Provinz, sondern aus wirtschaftlicher und militärischer Sicht durchaus bedeutsam für das Qing-Reich. Gestik und Mimik der Personen im Zentrum des Sammelbilds lassen es auch wirken als sei die Besetzung Qingdaos durch die Deutschen ein ehrenhafter und gerechtfertigter Prozess gewesen. Besonders sticht hervor, dass von einer „Übergabe“ die Rede ist – diese Wortwahl betont ebenfalls nochmals die scheinbare Rechtmäßigkeit des deutschen Vorgehens. Der oben knapp zusammengefasste Bericht Otto von Diederichs hinterlässt im Vergleich zum Sammelbild jedoch eher den Eindruck, dass das deutsche Vorgehen am 14. November 1897 eine Überrumpelung der chinesischen Soldaten vor Ort war, also weniger ehrenvoll und rechtmäßig als das Sammelbild glauben machen will.
Verwendete Literatur