Ungleiche Verträge

Als „Ungleiche Verträge“ (bu pingdeng tiaoyue 不平等條約) werden die Verträge bezeichnet, zu deren Unterzeichnung europäische Staaten, die USA und Japan China seit dem 19. Jahrhundert mit Waffengewalt gezwungen hatte. Durch diese Verträge wurde die Souveränität Chinas in Feldern wie Politik (Einrichtung von Stützpunktkolonien), Verwaltung, Wirtschaft (Verlust der Zollautonomie) und Rechtssprechung (ausländische Richter sprachen über Ausländer Recht) eingeschränkt.Der Begriff „Ungleiche Verträge“ wurde allerdings erst in den 1920er-Jahren in China geprägt – knapp 80 Jahre nach der Unterzeichnung des Vertrags von Nanjing 1842, dem ersten dieser Verträge. In den 1920er-Jahren hatten sich verschiedene politische Gruppierungen in China (sowohl Nationalisten als auch Kommunisten) den Kampf gegen den Imperialismus auf die Fahnen geschrieben. Das Schlagwort der „Ungleichen Verträge“ war ideal, um die Massen zu mobilisieren und politische Legitimität zu gewinnen. Gleichzeitig argumentierten chinesische Diplomaten, dass die Verträge – da China mit Waffengewalt aufgezwungen – völkerrechtlich nicht wirksam seien. Die Niederlage im ersten Weltkrieg führte dazu, dass als erste ausländische Staaten Deutschland un Österreich-Ungarn 1917 ihre in den Verträgen gesicherten Rechte in China verloren. Die Sowjetunion folgte kurz darauf. Trotz der anti-imperialistischen Stimmung in der chinesischen Politik und Gesellschaft der 1920er- und 1930er-Jahre und der Rückgabe einiger kleiner Privilegien behielten viele mächtige Staaten ihre durch die Verträge zugesicherten Vorrechte in China weiterhin. Schlussendlich war es der zweite Weltkrieg, der das Ende des Imperialismus in China herbeiführte. 1942 zeigten die USA und Großbritannien sich gegenüber der nationalistischen Regierung Chinas unter Chiang Kai-shek, ihrem wichtigen Verbündeten im Kampf gegen Japan, bereit, alle Vertragsprivilegien zurückzugeben. Japan und andere Achsenmächte beendeten während des Kriegs zugunsten der pro-japanischen Marionettenregierung in Nanjing ihre Verträge. Kleinere Länder folgten dem Beispiel der Großmächte, sodass 1947 – also noch vor der Gründung der Volksrepublik China – die meisten der „Ungleichen Verträge“ revidiert worden waren. In der Darstellung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) war es jedoch die Volksrepublik China, die die „Ungleichen Verträge“ endgültig beendete. Die britische Kronkolonie Hong Kong beispielsweise, die auch nach 1947 noch britisch blieb, wurde 1997 schließlich an die Volksrepublik China zurückgegeben – was die KPCh groß feiern ließ. Die Tatsache, dass auch die Grenzen im Nordosten der Volksrepublik ein Ergebnis ungleicher Verträge mit Russland 1858 und 1860 sind, wird verschwiegen. Was also als „Ungleicher Vertrag“ gilt und erinnert werden soll, ist immer auch eine politische Frage.

Weiterführende Informationen:

books.google.de/books/about/China_s_Unequal_Treaties.html?id=mTVZjRfek2IC

Synonyme:
bu pingdeng tiaoyue, 不平等條約, 不平等条约, unequal treaties