Tian’anmen-Massaker

Am 15. April 1989 verstarb der frühere Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) Hu Yaobang. Er war ein Befürworter von wirtschaftlichen und politischen Reformen und war 1987 aus seinem Amt gedrängt worden. In die Trauer der Bevölkerung um Hus Tod mischten sich auch politische Forderungen. Student*innen der Beijinger Universitäten forderten beispielsweise die Rehabilitierung Hus, eine Bekämpfung der Korruption innerhalb der Partei, ein Ende der Pressezensur, höhere Bildungsausgaben und höhere Löhne für Akademiker sowie Gespräche mit der Regierung. Diese Forderungen sind einerseits auf das im Vergleich zur Zeit unter Mao freiere politische Klima zurückzuführen, andererseits aber auch auf den Unmut in der Bevölkerung (vor allem in gebildeten Schichten) über die negativen Folgen der wirtschaftlichen Reformpolitik, wie beispielsweise eine starke Inflation und die persönliche Unsicherheit in einem plötzlich immer stärker marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftssystem.In den auf den Tod Hus folgenden Apriltagen gründeten sich unabhängige Studentenvertretungen, die zum Unterrichtsboykott aufriefen und immer mehr Student*innen unterstützten die Proteste auf dem Tian’anmen-Platz – also mitten im politischen Zentrum der Volksrepublik China. Die erste offizielle Reaktion der Regierung bezog klar Stellung gegen die Proteste: Eine "kleine Anzahl von Leuten" habe – so ein Leitartikel in der Volkszeitung – die Trauer um Hus Tod "ausgenutzt, um durch Gerüchte und Unruhen das Land in Chaos zu stürzen." Angesichts dieser harten, ablehnenden Haltung der Regierung gegenüber den Forderungen nach weniger Pressezensur und Bekämpfung der Korruption innerhalb der KPCh gewannen die Protestierenden in der gesamten Gesellschaft und auch außerhalb der Hauptstadt Beijing große Unterstützung. Ein erstes Treffen mit Regierungsvertretern am 29. April wurde von den Studenten ergebnislos abgebrochen.
Der Generalsekretär der KPCh Zhao Ziyang hielt am 05. Mai eine Rede, in der er die Kritik der Protestierenden für berechtigt erklärte und zu einer Lösung durch Dialog aufrief. Die meisten Studentinnen und Studenten kehrten daraufhin in den Unterricht an ihre Universitäten zurück. Am 13. Mai traten circa 300 auf dem Tian’anmen-Platz verbliebene Student*innen in einen Hungerstreik – um so die Annahme ihrer Forderungen durch die Regierung zu erzwingen. Die Hungerstreikenden gewannen die Unterstützung der Bevölkerung und, angesichts des Besuchs von Michail Gorbatschow, vom 15. bis zum 18. Mai in Beijing und der damit verbundenen Anwesenheit vieler ausländischer Journalisten, auch internationale Bekanntheit.
In der Partei kam es daraufhin zu einem Machtkampf zwischen den Moderaten um Zhao Ziyang und den Hardlinern um Premierminister Li Peng, den die Befürworter*innen von Verhandlungen mit den Student*innen verloren. Am 20. Mai zog Zhao sich zurück – nicht ohne vorher auf dem Tian’anmenplatz Solidarität mit den Demonstrierenden zu zeigen – und Li Peng verkündete die Verhängung des Kriegsrechts. Die nach Beijing einmarschierenden Truppen der Volksbefreiungsarmee (VBA) wurden jedoch von Beijinger Bürger*innen unter anderem durch gewaltvolle Barrikaden und friedliche Proteste gestoppt und zogen sich am 23. Mai zurück. In der Nacht vom dritten auf den vierten Juni versuchte die Armee erneut den von den Protestierenden besetzten Platz zu räumen. Vor allem auf den Zufahrtsstraßen (und nicht auf dem Platz selbst) starben viele – auch unbeteiligte Bürger*innen – durch Militärgewalt. Schätzungen zur Anzahl der Todesopfer schwanken zwischen 300 und 3.000 Personen. Außerhalb Chinas wird das Ereignis mit dem Begriff Tian’anmen Massaker bezeichnet, im offiziellen Sprachgebrauch wird es als "Zwischenfall des 4. Juni" (liusi shijian 六四事件) oder noch kürzer einfach "4.6." (liusi 六四) genannt.Die Anzahl der während der Niederschlagung verhafteten Personen – darunter insbesondere Arbeiter*innen, die die Proteste unterstützt hatten – ist unbekannt. In seinem Buch „Die Kugel und das Opium“ hat der mittlerweile in Berlin lebende chinesische Schriftsteller Liao Yiwu einige dieser Einzelschicksale festgehalten. Eine offizielle Erinnerung an die Proteste und ihre Niederschlagung 1989 ist in der Volksrepublik China bis heute nicht (und seit 2022 auch in Hongkong nicht mehr) möglich.Dies ist ein Eintrag aus unserem Modul Zeitleiste.

Weiterführende Informationen:

https://www.worldcat.org/de/title/studentenprotest-und-repression-in-china-april-juni-1989-chronologie-dokumente-analyse/oclc/29611543

Synonyme:
Tian'anmen-Massaker, Tian'anmen-Proteste, Tiananmen-Massaker, Beijing-Massaker, liusi shijian, 六四事件, liusi, 六四