Proteste in Hongkong 2019/2020
Nach den “Regenschirm-Protesten” in Hongkong 2014 kam es 2019 erneut zu Massendemonstrationen. Konkret richteten sich diese zunächst gegen eine geplante Gesetzesänderung, die unter anderem Auslieferungen an das chinesische Festland erlaubt hätte, dessen Justizsystem nicht an rechtsstaatliche Prinzipien gebunden ist. Schnell wurden diese Proteste jedoch zu einem umfangreicheren Ruf nach mehr Demokratie, allgemeinem Wahlrecht und einer generellen Einschränkung des zunehmenden Einflusses Beijings in Hongkong. Konkret forderten die Demonstrant*innen: die Rücknahme des Auslieferungsgesetzes; die Beendigung der Bezeichnung der Demonstrat*innen als “Aufrührer*innen/Randalierer*innen”; die Anklagen gegen Demonstrant*innen fallen zu lassen; die Durchführung unabhängiger Untersuchungen des Verhaltens der Polizei und die Einführung des allgemeinen Wahlrechts sowohl für den Legislativrat als auch für das Amt des Regierungschefs (chief executive). Obwohl der Gesetzesentwurf infolge der Proteste zunächst zurückgestellt und schließlich auch formell zurückgezogen wurde, riss der öffentliche Widerstand im Laufe des Sommers 2019 nicht ab. Im November 2019 erhielt das pro-demokratische Camp in den Kommunalwahlen erheblichen Zulauf, was vielerorts als Ausdruck der Zustimmung eines Großteils der Bevölkerung zu den Protesten gewertet wurde. Die Demonstrationen verliefen überwiegend friedlich, aber immer wieder kam es auch zu Ausschreitungen wie etwa den Gefechten zwischen Polizei und Demonstrant*innen im New Town Plaza-Einkaufszentrum oder den Angriffen maskierter, weiß gekleideter Unbekannter auf Demonstrant*innen. Die Polizei wurde in Medien und von internationalen Organisationen massiv für ihr unverhältnismäßig gewaltsames Vorgehen gegen Demonstrant*innen kritisiert, sprach sich jedoch vehement gegen eine unabhängige externe Untersuchung ihres Vorgehens aus. Die Proteste wurden zwar besonders von jüngeren Hongkonger*innen getragen, in ihrem Verlauf waren jedoch auch große Teile der weiteren Hongkonger Bevölkerung und aller ihrer Schichten beteiligt. Einige der zentralen Persönlichkeiten, die bereits 2014 als teilweise sehr junge Schüler*innen an den Occupy Central-Protesten beteiligt waren, nahmen auch an den Protesten 2019 teil und spielten dort eine zentrale Rolle. Besonders bekannt geworden sind unter anderem Joshua Wong, Nathan Law und Agnes Chow, die Gründer der demokratischen Gruppierung Demosistō.
Die Beijinger Regierung startete im Verlauf der Proteste eine Image-Kampagne, die darauf abzielte, die Protestbewegung als radikale und separatistische Splittergruppe von Unruhestiftern außerhalb der vermeintlich „schweigenden Mehrheit“ zu porträtieren, gegen die die heroischen Polizisten und die chinesische Regierung die „Stabilität“ des Landes verteidigen mussten. Mit Ausbruch der COVID19-Pandemie in Hongkong Anfang 2020 wurden von den Behörden im Laufe der Zeit immer mehr Protestaktionen mit Verweis auf eine bestehende Infektionsgefahr untersagt. So wurde die alljährlich stattfindende Tian’anmen-Mahnwache 2020 erstmals verboten. Gleichzeitig trat ebenfalls im Juni mit Verweis auf eine mögliche Gefährdung der nationalen Sicherheit durch die Proteste und mit dem Ziel, „subversive“ Elemente auszuschalten, ein neues Gesetz in Kraft, das Gesetz der Volksrepublik China zum Schutz der Nationalen Sicherheit in der Sonderverwaltungszone Hongkong, kurz: Nationales Sicherheitsgesetz (Zhonghua renmin gongheguo tebie xingzhengqu weihu guojia anquan fa 中華人民共和國香港特別行政區維護國家安全法). Mit dieser Gesetzgebung wurde der Beijinger Regierung größeres Mitspracherecht in den Hongkonger Regierungsgeschäften eingeräumt als je zuvor und die autonomen Kompetenzen der Hongkonger Regierung wurden deutlich eingeschränkt. Auf der Grundlage des Nationalen Sicherheitsgesetzes können Verurteilte zudem an das Festland ausgeliefert werden. Nach dem Ausschluss von vier pro-demokratischen Abgeordneten aus dem Parlament trat ebenfalls noch im Herbst 2020 die Opposition im Legislativrat geschlossen zurück. Einige prominente Figuren der Proteste, darunter Nathan Law, flohen im Zuge des Inkrafttretens des Nationalen Sicherheitsgesetzes aus Hongkong mit dem Ziel, aus dem Exil heraus die Opposition weiterzuführen. Viele Parteien und Gruppierungen, darunter Demosistō, lösten sich selbst auf. Im Frühjahr 2021 wurden viele prominente Figuren der Protestbewegung wie Joshua Wong, Agnes Chow und Jimmi Lai aufgrund ihrer Rolle in der Organisation der Proteste zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Zudem wurden neue Gesetzgebungen beschlossen: für den Bildungssektor mit dem Ziel einer „patriotischen Bildung“, für die Umstrukturierung der – bislang weitgehend freien – Hongkonger Medienlandschaft und zur Neugestaltung des Wahlrechts. Diese Gesetze weiten den Einfluss Beijings in Hongkong erheblich aus.