Ein-China-Prinzip
Nach der Gründung der VR China im Jahr 1949 und dem Rückzug der Nationalen Volkspartei unter Chiang Kai-shek vom Festland auf die Insel Taiwan beanspruchten beide Regierungen, die der VR China in Beijing unter Mao Zedong (毛泽东 1893-1976) und die der Republik China auf Taiwan in Taipeh (臺北, Pinyin: Taibei) unter Chiang Kai-Shek (蒋介石 1887-1975,Pinyin: Jiang Jieshi), für sich, ganz („Ein“) China zu vertreten.
Aus Sicht der Nationalen Volkspartei/Guomindang war die Republik China (Taiwan), in Fortsetzung der 1911 gegründeten Republik China, der Souverän über ganz China, deswegen hatte das Parlament auch für jede Provinz auch des Festlandes einen Vertreter. Aus Sicht der VR China war Taiwan ebenfalls ein Teil Chinas (Provinz). Effektive Gerichtshoheit hatten die Regierungen beider Eintitäten seit 1949 nur über das jeweils unter ihrer Kontrolle stehende Territorium.
Mit der Resolution 2758 der VN-Generalversammlung im Jahr 1971 wechselte die Vertretungsmacht für China in den Vereinten Nationen von der Republik China (Taiwan) zur VR China. Die USA signalisierten 1972, im sog. Kommuniqué von Shanghai, ihr Einverständnis mit der Sicht der beiden Seiten – beide Chinas erkennen nur ein China an, von dem Taiwan jeweils einen Teil darstellt (Ein-China-Prinzip).
Nach dem politischen Wandel in Taiwan im Laufe der 1980er Jahre beschlossen auf einem informellen politischen Treffen 1992 Vertreter beider Seiten, die unterschiedlichen Sichten auf das „Ein-China-Prinzip“ weiter nebeneinander stehen zu lassen („Ein China, verschiedene Interpretationen“ – später auch „Konsens von 1992“ (jiu’er gongshi 九二共識 genannt).
Der Vorteil der Verwendung dieses Begriffs lag aus Sicht der Nationalen Volkspartei/Guomindang (國民黨) in der Flexibilität der Interpretationsmöglichkeiten, die eine Basis für eine Vertiefung der Beziehungen zwischen der VR China und der Republik China (Taiwan) schafften. Die Demokratische Fortschrittspartei DPP lehnte die mit dem Konsens verbundene Idee der Akzeptanz von Mehrdeutigkeit hingegen mehrheitlich ab, da der „Konsens“ nicht der Mehrheitsmeinung der taiwanesischen Gesellschaft entspreche. Die veränderten politischen Vorgaben der Volksrepublik China, die z.B. im Antisezessionsgesetz von 2005 und im Weißbuch der Volksrepublik China zu Taiwan 2022 formuliert werden, stellen in Frage, ob der „Konsens“ tatsächlich auch heute noch beide Deutungen nebeneinander bestehen lässt.
Beide Staaten unterhalten bis heute gemäß der Logik der Ein-China-Politik keine diplomatischen Beziehungen miteinander und dritte Staaten können jeweils nur eines der beiden Länder als legitime Vertretung von ganz China anerkennen.
Weiterführende Informationen:
Romberg, Alan D. 1.04.2016. „The “1992 Consensus” – Adapting to the Future?“ China Leadership Monitor, China Leadership Monitor, 49. https://www.hoover.org/research/1992-consensus-adapting-future.
Hsieh, Pasha L. “The Taiwan Question and the One-China Policy: Legal Challenges with Renewed Momentum.” Die Friedens-Warte 84, no. 3 (2009): 59–81. http://www.jstor.org/stable/23773999.