„Fun Chinese“: 女汉子 (nǚ hànzi) – Wenn Frauen „wie Männer“ sind?

Autorin: Yu Shiqi 喻诗琦

„Nǚ hànzi“ – Weibliche Stärke als Abweichung? 

她 („Tā“) – Entstehung eines geschlechtsspezifischen Pronomens 

Im Chinesischen existierte keine Unterscheidung zwischen männlichem und weiblichem Personalpronomen der dritten Person Singular. Diese Differenzierung wurde erst durch den Kontakt mit europäischen Sprachen notwendig. Ende des 19. Jahrhunderts schlug Guo Zansheng 郭赞生 (1878) bei der Übersetzung einer englischen Grammatik bereits die Unterscheidung „他“ (tā) für „he“, „伊“ (yī) für „she“ und „彼“ (bǐ) für „it“ vor – gut 40 Jahre vor der Schöpfung des Zeichens „她“ durch den Linguisten Liu Bannong 刘半农 (1981-1934). 

Während der Bewegung des Vierten Mai (1919) diskutierten Intellektuelle wie Liu Bannong und Zhou Zuoren 周作人 (1985-1967) ob eine spezifische weibliche Pronomenform notwendig sei. Liu Bannong schlug die Schöpfung des neuen Zeichens „她“ (tā) mit weiblichem Signifikum 
vor, um „she“ aus dem Englischen klarer zu übersetzen. Zhou Zuoren hingegen bevorzugte die japanische Variante „彼女“ (jap. kanojo) – im Chinesischen „他女“ (tānǚ). Trotz anfänglicher Skepsis etablierte sich schließlich das Zeichen „她“ und wurde 1932 offiziell im Lexikon „国音常用字汇“ (Guóyīn Chángyòng Zìhuì) der Guomindang-Regierung aufgenommen. Laut Huang Xingtao 黄兴涛 konnte sich das weibliche Personalpronomen „她“ durchsetzen, weil es den strukturellen Eigenschaften der chinesischen Schrift entspricht: Es ist einfach aufgebaut, enthält das Radikal „女“ (Frau) und ist dadurch bildhaft erkennbar. Gleichzeitig bleibt es durch die Homophonie mit „他“ (er) und „它“ (es) lautsprachlich unauffällig, was seine Akzeptanz im Schriftgebrauch erleichtert hat (vgl. Huang 2009). 

Diese Debatte um „她“ reflektierte nicht nur sprachliche Neuerungen, sondern auch umfassendere Diskussionen über Geschlechterverhältnisse und Frauenrechte in der modernen chinesischen Geschichte. 

Die Stigmatisierung durch das Radikal „女“ 

Im Chinesischen sind Berufsbezeichnungen genderneutral formuliert. Im heutigen Chinesisch werden neutrale Berufsbezeichnungen wie Wissenschaftler, Pilot, Polizist oder Fahrer aber automatisch mit einem männlichen Standard verknüpft. Männer gelten somit implizit als Norm. Und wenn Frauen diese Berufe ausüben, wird explizit ein „女“ davorgesetzt, z.B. „女作家“(nǚ zuòjiā,wörtl. weiblicher AutoR), während ein männliches Äquivalent nicht existiert. 

Die feministische Sprachwissenschaftlerin Amanda Montell verdeutlicht in ihrem Buch Wordslut(2019), dass ursprünglich linguistisch neutrale Begriffe oft erst im Laufe der Geschichte sexualisiert und abwertend gegenüber Frauen verwendet wurden. Dies zeigt sich auch in der chinesischen Sprache: 

  • „女强人“ (nǚ qiángrén, wörtlich „starke Frau“, sinngemäß „Karrierefrau“) trägt eine doppelte Stigmatisierung in sich: Zum einen impliziert sie, dass beruflicher Erfolg, Durchsetzungsvermögen und Führungsanspruch bei Frauen etwas Außergewöhnliches seien – Eigenschaften, die bei Männern als selbstverständlich gelten und keiner besonderen sprachlichen Markierung bedürfen. Zum anderen wird mit dem Begriff häufig auch eine Abweichung von traditionellen Weiblichkeitsidealen assoziiert: „Karrierefrauen“ gelten im populären Diskurs oft als kühl, beziehungsunfähig oder „weniger weiblich“
  • „女博士“ (nǚ bóshì, „Doktorin“) trägt die implizite Annahme, akademische Exzellenz sei primär männlich. Doktorinnen gelten demnach wie starke Frauen als Ausnahme und Abweichung des heteronormativen weiblichen Bildes, die „unweiblich“ und sogar „schwierig zu verheiraten“ seien.
  • „小姐“ (xiǎojiě, ursprünglich „Fräulein“ und deutet auf einen zivilen Status), heute oft mit Prostituierten assoziiert.
  • „美女作家“ (měinǚ zuòjiā, „schöne Schriftstellerin“): Auch hier werden Frauen auf ihre äußere Erscheinung reduziert, während ihre professionellen Qualitäten nebensächlich werden.
  • „媛“ (yuàn, ursprünglich Bezeichnung für Frauen aus gehobenen Schichten): In sozialen Medien inzwischen oft abwertend verwendet, um Frauen zu bezeichnen, die ihre geschlechtliche Attraktivität gezielt für gesellschaftlichen Aufstieg einsetzen.
  • „三八“ (sānbā, eine umgangssprachliche Abwertung für als lästig empfundene Frauen), zeigen deutlich eine sprachliche Stigmatisierung von Weiblichkeit. Das Wort leitet sich vom Weltfrauentag, dem 8. März = 3/8, ab und wurde zum Schimpfwort, um Frauen als geschwätzig, hysterisch oder streitlustig zu stigmatisieren.

„Wenn du eine Frau beleidigen willst, nenn sie eine Schlampe. Wenn du einen Mann beleidigen willst, nenn ihn eine Frau.“ So Amanda Montell (2019). Sie analysiert, wie Sprache tief in geschlechtsspezifische Abwertung eingebettet ist: Weiblichkeit erscheint in vielen Kontexten nicht als neutrale Kategorie, sondern als abwertendes Adjektiv. Auch im Chinesischen spiegelt sich diese Logik in zahlreichen Beleidigungen wider: Formulierungen wie „qu tā mā de“ 去他妈的 („Scheiß auf seine Mutter“) oder „nǐ mā de“ 你妈的 („deine Mutter!“) zeigen, wie Angriffe oft über die Sexualisierung oder Herabwürdigung weiblicher Verwandter erfolgen – besonders der Mutterfigur. Auffällig ist: Fast nie wird „sein Vater“ (tā bà de 他爸的) als Schimpfwort gebraucht. 

Der Schriftsteller Lu Xun 鲁迅 (1881–1936) nannte diese Art der Beschimpfung bereits 1925 in seinem Essay „Lun ‚tā mā de!’“《论他妈的!”》 das „nationale Schimpfwort“ (guómà 国骂). Er beschreibt, dass diese Ausdrucksweise fast ausschließlich „die Mutter“ ins Visier nehme – als sei dies gesellschaftlich besonders wirksam. Lu Xun vermutete, dass diese Formulierung aus einem sozialen Machtgefälle stamme, bei dem untergeordnete Schichten Angehörige höhergestellter Familien diffamieren – etwa nach dem Motto: „Ich kann dich nicht direkt angreifen, aber ich kann deine Mutter beschimpfen.“ Diese Beobachtungen werfen eine grundlegende Frage auf: Warum gelten weiblich konnotierte Schimpfwörter als besonders verletzend? Die Antwort liegt in tief verankerten patriarchalen Sprach- und Denkstrukturen, die Weiblichkeit als das „Andere“, das „Niedrigere“ markieren – und dieses Konzept mittels Sprache machtvoll tradieren. Negative Konnotationen finden sich ebenso in zahlreichen Schriftzeichen mit dem Radikal „女“ wie 奸 (jiān, heimtückisch/verräterisch), 姘 (pīn, außereheliches Verhältnis), 嫖 (piáo, Bordellbesuch), 妖 (yāo, dämonisch/verführerisch), 娼 (chāng, Prostituierte), 嫌 (xián, Abneigung), 妄 (wàng, anmaßend), 奴 (nú, Sklave/Sklavin) und嫉 (jí, Eifersucht). Diese Zeichen reproduzieren subtil ein negatives Frauenbild, das bereits in der Phase frühschulischer Entwicklung beim Erlernen der Schrift internalisiert wird. 

Sprache neu besetzen – feministische Widerstände und Subversion 

Feministische Sprachkritik schlägt vor, patriarchale Sprache durch ironische Aneignung subversiv umzugestalten (Fang Mei 1999; Cai Pei 2005). Insbesondere im Internet experimentieren viele mit Wörtern, bei denen die negativ konnotierten Begriffe und stereotype Zuschreibungen ironisch umgedeutet oder kritisch reflektiert werden z.B.   

  • „爹味儿“ (diē wèi’er, wörtl. „väterlicher Tonfall“) und „爹言爹语“ (diē yán diē yǔ, „väterliche Sprache“), mit denen bevormundende, herablassende und patriarchal-autoritär geprägte Kommunikationsweisen (Mansplaining) angeprangert werden.
  • „贤惠“ (xiánhui, wörtl. „fürsorglich“): Hier wird ein traditionell weiblich konnotiertes Attribut auf Männer übertragen („这个男的真贤惠“- „Dieser Mann ist wirklich xiánhuì – Wäsche waschen, kochen, sich um die Kinder kümmern – alles kann er.“). Diese ironische Zuschreibung dient in vielen Fällen dazu, auf die unausgewogene Verteilung von Sorgearbeit (care work) hinzuweisen: Wenn Männer sogenannte „Frauenarbeit“ leisten, gelten sie schnell als besonders gut oder bewundernswert – während Frauen, die dasselbe tun, nur eine „Pflicht“ erfüllen. 
  • „高知泼妇“ (gāozhī pōfù, wörtl. „gebildete hysterische Frau“): Einige Aktivistinnen verwenden diesen Begriff, um klarzumachen, dass Frauen durchaus intellektuell und zugleich konfrontativ sein dürfen. Damit wird die negative Konnotation („ hysterische Frau“) selbstermächtigend umgekehrt. Allerdings bleibt das Risiko, dass dadurch neue Abgrenzungen zwischen gebildeten und weniger gebildeten Frauen geschaffen werden.

Gendergerechte Sprache in der Praxis 

Im chinesisch-sprachigen Internet wird als genderneutraler Ausdruck die Pinyin-Form „ta“ genutzt, die den geschlechtsspezifischen Unterschied zwischen „他“ und „她“ bewusst verwischt. Im kantonesischen Sprachraum wird der vorhandene geschlechtsneutrale Ausdruck „佢“ (keui5) genutzt. 


Literaturverzeinis 

Fang Mei 芳玫. 1999. „Zouchu ‚gan‘ yu ‚beigan‘ de jiangju – nüxing zhuyi dui seqing meijie de zhengyi“ 走出「干」与「被干」的僵局——女性主义对色情媒介的争议 [Aus dem Dilemma von ‚Aktiv‘ und ‚Passiv‘ herauskommen – feministische Debatten über pornografische Medien]. In: Gu Yanling 顾燕翎 und Zheng Zhihui 郑至慧 (Hrsg.): Nüxing zhuyi jingdian 女性主义经典 [Feministische Klassiker], 1. Aufl. Taibei: Nüshu wenhua. 

Huang Xingtao 黄兴涛. 2009. „’Ta‘ zi de wenhua shi“ „她”字的文化史 [Kulturgeschichte des Zeichens „ta“]. Shanghai: Shanghai renmin chubanshe. 

Lu Xun 鲁迅. 1925. „Lun ‚Ta ma de!’“ 论“他妈的!” [Über den Ausdruck „Verdammt nochmal!“]. In: Lu Xun Quanji 鲁迅全集 [Gesammelte Werke von Lu Xun]. Beijing: Renmin wenxue chubanshe. 

Montell, Amanda. 2020. Wordslut: A Feminist Guide to Taking Back the English Language. New York: Harper Wave. 

Tsai Pei 蔡珮. 2005. „Cong wuhua nüxing zanghua kan fuqian zai yuyan shiyong de quanli zhanxian“ 从污化女性脏话看父权在语言使用的权力展现 [Zur patriarchalen Machtausübung in der Sprache am Beispiel frauenfeindlicher Schimpfwörter]. Xinwenxue yanjiu 新闻学研究 82, S. 133–170.