Japanischer Druck „Die japanische Armee besetzt das Bismarck-Fort in Tsingtau“ (1915) – Weiterführende Informationen

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AutorTitelQuelleEntstehungsdatumObjektbeschreibungEinordnung
Autor: Tanaka Ryozo 田中良三 (1874-1946)Titel: Der Fall von Qingdao und die japanische Besetzung der Bismarckfestung 青島陷落日本軍ビスマーク砲台佔領. 35. Teil der Serie: Bilder des großen europäischen Kriegschaos (Ōshū dai senran gahō 歐洲大戰亂畫報)Quelle: https://repository.library.brownEntstehungsdatum: 1915

Objektbeschreibung: Im Mittelpunkt des Druckes ist eine militärische Stellung mit zwei Kanonen auf einem Berg dargestellt. Diese militärische Stellung wird von japanischen Soldaten (erkennbar an ihrer orange-khaki-farbenen Uniform) überrannt. Die Soldaten des deutschen Kaiserreichs (erkennbar an ihren Pickelhauben) weichen zurück – ihre Gesichter in Angst verzerrt. Während die japanischen Truppen relativ geordnet angreifen, ist unter den Deutschen bereits das Chaos ausgebrochen. In der rechten Bildhälfte sind zwei Explosionen zu sehen, während ein weiteres Geschoss im Anflug ist. In der Bildmitte liegen viele deutsche Soldaten am Boden – getötet von den Säbeln und Bajonetten der japanischen Soldaten. Der Kampf scheint für die deutsche Seite verloren: Die Kanonen sind zurückgelassen, die japanischen Gegner sind zahlenmäßig überlegen und siegessicher. Die japanischen Kriegsschiffe im Hintergrund rechts oben und das Flugzeug weisen darauf hin, dass die japanische Armee zu Wasser, in der Luft und auf dem Land eine Vormachtstellung hat. Auf dem höchsten Punkt des Forts schwenkt ein japanischer Soldat als Zeichen des Sieges die Kriegsflagge der japanischen Armee, während am unteren Bildrand ein deutscher Soldat - die Kriegsflagge des deutschen Reiches in der Hand - die Flucht ergreift.

Am rechten Bildrand steht der folgende japanische Text: Wie ausgezeichnet sind unsere treuen und tapferen Soldaten in Heer und Marine, dass sie so schnell handeln wie ein plötzlicher Donnerschlag, der keine Zeit lässt, sich auch nur die Ohren zuzuhalten. Aufgrund des Ansturms unserer Truppen wollten sich die deutschen Truppen des stark befestigten Qingdao schnellstens am 7. November 1914 vor unserem Feldlager ergeben.
Die Tatsache, dass die japanische Armee in diesem Festungskrieg weltweit Hochachtung empfing, reicht aus, um zu zeigen, dass der militärische Ruhm Japans glänzend geworden ist, an diesem Punkt zu erblühen begann und sich schnell auf der ganzen Welt verbreitete.

偉なる哉我忠勇なる陸海軍諸將士、陸に海に迅雷耳を掩ふの遑なき。我軍の猛擊強襲に流石の堅塞青島の獨軍も大正三年十一月七日脆くも陷落我軍門に降伏したい
是れ日本軍が要塞戰にも世界に冠たろる事、實を表白したるものにして赫々たる日本の武名は之れにさいて益々天下に軣くべし快なる哉偉なる哉

Einordnung: Wie kam es dazu, dass am 7. November 1914 japanische Truppen Qingdao eroberten? Und welche Folgen hatte dies für Deutschland und Japan aber vor allem auch für China? Am 7. August 1914, zehn Tage nach dem Ausbruch des Kriegs in Europa bat Großbritannien Japan (die beiden Staaten waren seit 1902 verbündet und hatten sich gegenseitige Unterstützung im Kriegsfall zugesichert) um Unterstützung im Kampf gegen bewaffnete deutsche Schiffe in Ostasien – die japanische Regierung erklärte Deutschland noch am selben Tag den Krieg. Am 15. August stellte Japan Deutschland dann ein Ultimatum: Die deutsche Marine müsse sich aus Asien zurückziehen und das „Schutzgebiet Kiautschou“ bis zum 15. September an Japan übergeben. Japan sah den Ersten Weltkrieg als Chance, seinen Einfluss in China durch die Übernahme Qingdaos auszuweiten. Im neutralen China hingegen machte man sich darüber weniger Sorgen, da Großbritannien wiederholt versprochen hatte, Qingdao an China zurückzugeben. (Melzer 2017; Fenby 2014, 27-35)

Nachdem das Ultimatum verstrichen war, sandte Japan Truppen zur Eroberung Qingdaos. Für die Deutschen in Qingdao war die Lage denkbar schlecht: Das deutsche Ostasiengeschwader war auf dem Weg nach Europa im Atlantik von der britischen Marine vernichtend geschlagen worden, in Qingdao selbst waren nur noch eine Handvoll deutscher Schiffe und ein österreichischer Kreuzer. Japan hingegen sandte eine Flotte von 68 Schiffen nach Qingdao. Die Überlegenheit der japanischen Seite zeigt sich auch beim Blick auf die Anzahl der Bodentruppen: Knapp 5.000 Kombattanten aufseiten der Verteidiger in Qingdao standen 50.000 japanische Bodentruppen unterstützt von 1.500 Briten und Indern gegenüber. (Melzer 2017) Obwohl man sich so gut wie möglich auf den Angriff vorbereitet hatte – die Hafeneinfahrt war durch Minen gesperrt und an Land waren Schützengräben ausgehoben worden – waren die Geschütze doch zu wenig und veraltet. Selbst deutsche Soldaten vor Ort sprechen in ihren Aufzeichnungen von der hoffnungslosen Lage, in der sie sich in Qingdao befanden – dies wohl aber auch, um die eigene Tapferkeit der Verteidiger gegen einen übermächtigen Feind zu betonen. (Plüschow 1916, 45; Kirchner 2019, 182)
Das Wetter machte beiden Seiten zu schaffen: Langanhaltende Regenfälle seit Anfang Juli erschwerten die Errichtung von Abwehrlinien auf deutscher Seite, verzögerten aber auch den Angriff der japanischen Seite. (Fenby 2014, 37-53) Am 27. August konnte die Seeseite Qingdaos jedoch von der japanischen Marine abgeriegelt werden – die japanischen Schiffe blieben dabei allerdings außer Reichweite der deutschen Artillerie. Wenige Tage später, am 2. September, gingen japanische und britische Soldaten im Nordosten der Provinz Shandong an Land und begannen auf Qingdao vorzurücken. Nachdem die Bahnlinie unter japanische Kontrolle gebracht und die Telegraphenverbindung gekappt worden war, war die deutsche Kolonie vollständig abgeriegelt. Der Nachschub wichtiger Güter wie Kohle war nun unmöglich. Gleichzeitig begannen die Japaner auch mit ihren Flugzeugen deutsche Stellungen und Schiffe zu bombardieren. Der einzige deutsche Flieger in Qingdao, Gunther Plüschow wurde zwar später in Deutschland für seinen Wagemut als „Flieger von Tsingtau“ (die deutsche zeitgenössische Umschrift von Qingdao) berühmt, konnte aber gegen die japanische Übermacht wenig ausrichten. Nachdem die Angreifer fast alle Geschütze der Deutschen vernichtet hatten und die Vorräte zur Neige gingen, ergaben sich die Verteidiger am 7. November 1914 – eine genaue Karte der Kampfhandlungen findet sich bei Popp (2014, 275). Zur selben Zeit hatten japanische Truppen auch die deutschen Kolonien in Mikronesien eingenommen.

Der japanische Druck „Der Fall von Qingdao und die japanische Besetzung der Bismarckfestung“ von 1915 zeigt auch die moderne Seite des Kampfes um Qingdao: Die japanische Artillerie feuerte ihre Granaten sehr genau auf die in den Gräben und Geschützposten verschanzten deutschen Soldaten ab. Die Deutschen wiederum kämpften – anders als auf dem japanischen Druck dargestellt – nicht nur mit Säbeln, sondern feuerten auch mit Maschinengewehren gegen die Angreifer. Japanische Flugzeuge, die Bomben abwarfen, spielten eine wichtige Rolle. (Melzer 2017) In einem Augenzeugenbericht eines österreichischen Soldaten werden die japanischen Doppeldeckerflugzeuge – eines ist auf dem japanischen Druck zu sehen – ob ihrer Angriffe gefürchtet und gleichzeitig auch als „modernes Kriegsmittel“ bewundert. (Kirchner 2019, 184) Die japanischen Flugzeuge kommen auch in anderen japanischen Drucken über den Kampf um Qingdao prominent vor. (Kirchner 2019, 244) Dies zeigt, wie wichtig die Eroberung Qingdaos für das japanische Selbstverständnis als moderne, fortschrittliche Nation war.

Der Druck „Der Fall von Qingdao und die japanische Besetzung der Bismarckfestung“ wurde von Ryōzō Tanaka (田中良三 1874-1946), einem japanischen Künstler und Unternehmer, publiziert, der seit 1897 in Tokyo Drucke produzierte und verkaufte. Der Druck ist Teil der Serie „Bilder des großen europäischen Kriegschaos“ (Ōshū dai senran gahō 歐洲大戰亂畫報), die 42 Bilder umfasst. Fast die Hälfte aller Bilder in dieser Serie haben den Kampf um Qingdao als Motiv. Bereits während des chinesisch-japanischen Kriegs 1894-1895 und des russisch-japanischen Kriegs (1904-1905) waren japanische Drucke über das Kriegsgeschehen sehr beliebt gewesen: Als eine Mischung aus Journalismus und Propaganda verbreiteten sie ein Gefühl von Nationalstolz im ganzen Land. Nicht immer stimmten die Drucke mit der Realität überein – oftmals waren sie bereits im Vorhinein gedruckt worden und wurden veröffentlicht sobald die telegraphische Meldung eines Sieges eintraf. Um die Betrachter zu fesseln, arbeiteten die Künstler mit starken Farbkontrasten. (Virgin 2005) In den Jahren bis zum zweiten Weltkrieg änderte sich zwar die Drucktechniken in Japan, doch die japanischen Drucke wie die Serie „Bilder des großen europäischen Kriegschaos“ standen in der Tradition der früheren Kriegsdrucke. Auch der Sieg über Deutschland in Qingdao wurde in Japan propagandistisch ausgenutzt und befeuerte die innenpolitischen Debatten. (Dickinson 1999)

In China sollte die japanische Eroberung Qingdaos ebenfalls große Umwälzungen auslösen. Weniger als drei Monate später, im Januar 1915, stellte Japan gegenüber China die sogenannten 21 Forderungen. Japan forderte unter anderem, die ehemals deutsche Kolonie Qingdao behalten und seinen Einflussbereich über Eisenbahnen und Häfen in der Qingdao umgebenden Provinz Shandong ausbauen zu können. Darüber hinaus strebte Japan auch an, seinen Einfluss in der Mandschurei und Mongolei im Nordosten und Norden Chinas auszubauen und forderte, dass japanische Berater in Beijing Einfluss auf die chinesische Politik bekommen sollten. Japans Forderungen stießen in China auf lautstarke Proteste der intellektuellen Elite – bis hin zu Forderungen eines Boykotts von japanischen Waren.

Um auch mit am Verhandlungstisch über die Nachkriegsordnung sitzen zu können, erklärte China Deutschland 1917 den Krieg. Zirka 100.000 chinesische Arbeiter wurden nach Europa geschickt, um dort Schützengräben auszuheben. Doch diese chinesische Unterstützung für den Kampf gegen Deutschland in Europa half schlussendlich nichts: Bei den Friedensverhandlungen 1919 in Paris wurden Chinas Wünsche übergangen und Qingdao de facto für unbestimmte Zeit Japan zugesprochen. (Fenby 2014, 55-64) In Beijing und in anderen chinesischen Städten kam es daraufhin zu Protesten von Studierenden und großen Teilen der chinesischen Gesellschaft, die forderten, dass China den Versailler-Vertrag nicht unterzeichnen dürfe, da dieser Chinas Hoffnung auf ein Ende der Ungleichen Verträge und Ablehnung der japanischen Forderungen kein Stück erfülle. Die chinesische Regierung musste sich diesem Druck beugen. Für die kommunistische Partei spielen diese Proteste, die sogenannte „4. Mai-Bewegung“, als Symbol für ein erstarkendes Klassenbewusstsein in China bis heute eine wichtige Rolle in der chinesischen Geschichtskultur.


(Jonas Schmid, April 2021)

 

Verwendete Literatur

Best, Antony und Oliviero Frattolillo, Hrsg. 2015. Japan and the Great War. Palgrave Macmillan UK. doi:10.1057/9781137546746, https://www.palgrave.com/gp/book/9781137546739 (zugegriffen: 8. April 2021). Zitieren

Sammelband mit wissenschaftlichen Aufsätzen zu verschiedenen Aspekten des Ersten Weltkriegs und Japan.

Burdick, Charles B. 1976. The Japanese siege of Tsingtau: World War I in Asia. Hamden, Conn. Zitieren

Umfangreichstes Werk zum Kampf um Qingdao 1914, das auch deutsche Quellen mit einbezieht.

Dickinson, Frederick R. 1999. War and national reinvention: Japan in the Great War, 1914 - 1919. Harvard East Asian monographs. Cambridge, Mass. [u.a.]: Harvard Univ. Asia Center. Zitieren

Ideen- und politikgeschichtliche Darstellung der japanischen Innenpolitik während des Ersten Weltkriegs.

Fenby, Jonathan. 2014. The siege of Tsingtao. Penguin Specials. Beijing: Penguin (Beijing). Zitieren

Sehr knappe aber angenehm zu lesende Darstellung des Kampfes um Qingdao 1914, die auch auf die Vorgeschichte und Nachwirkungen des Kampfes eingeht.

Kirchner, Friedrich. 2019. Mit der S.M.S. Kaiserin Elisabeth in Ostasien: das Tagebuch eines Unteroffiziers der k.u.k. Kriegsmarine (1913-1920). Hg. von Peter Pantzer und Nana Miyata. Wien ; Köln ; Weimar: Böhlau Verlag. Zitieren

Schilderung des Kampfes um Qingdao: S. 135-288

MacMillan, Margaret. 2015. Die Friedensmacher: wie der Versailler Vertrag die Welt veränderte. 2. Auflage. Berlin: Propyläen. Zitieren

Umfangreiche, aber angenehm geschriebene und auf einer Vielzahl an Sekundärliteratur und Quellen beruhende Darstellung der Friedensverhandlungen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in Paris. Der Fokus liegt auf den globalen Auswirkungen der Verträge, die nicht nur für Deutschland, sondern auch für China und den Nahen Osten weitreichende Folgen haben sollten.

Melzer, Jürgen. 2017. Warfare 1914-1918 (Japan). 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War. http://doi.org/10.15463/ie1418.11172, https://encyclopedia.1914-1918-online.net/article/warfare_1914-1918_japan. Zitieren
Plüschow, Gunther. 1916. Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau: meine Erlebnisse in drei Erdteilen. Ullstein-Kriegsbücher. Berlin: Ullstein. Zitieren

Roman/Erlebnisbericht des Fliegers von QIngdao (während des japanischen Angriffs)b

Popp, Peter. 2014. Der Kampf um Kiautschou und Tsingtau. In: Der Erste Weltkrieg 1914–1918. Der deutsche Aufmarsch in ein kriegerisches Jahrhundert., hg. von Markus Pöhlmann, 274–275. München: Bucher. Zitieren

Karte, die den Ablauf des Kampfes um Qingdao verdeutlicht.

Virgin, Louise. 2005. Woodblock Prints as a Medium of Reportage: The Sino-Japanese and Russo-Japanese Wars. In: The Hotei Encyclopedia of Japanese Woodblock Prints, hg. von Amy Reigle Newland, 273–276. Amsterdam: Hotei Publishing. Zitieren