Kolonien des deutschen Kaiserreiches – Weiterführende Informationen

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Urheber: ChrischerfTitel: Map of the German Empire – 1914Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Map_of_the_German_Empire_-_1914.PNGEntstehungsdatum: 2015Bildrechte: CC BY-SA

Einordnung: In den Jahren von 1884 bis 1899 errichtete das Deutsche Reich Kolonien in Afrika, Asien (China) und im Pazifik. Um 1900 verfügte Deutschland damit flächenmäßig über das viertgrößte europäische Kolonialreich nach Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden. Deutsche koloniale Ambitionen reichten jedoch bis ins 16. („Klein-Venedig“ in Venezuela) und 17. Jahrhundert (brandenburgische Kolonien in der Karibik und Westafrika) zurück. Im deutschsprachigen Raum war Ende des 18. Jahrhunderts auch die Idee, dass Südamerika und seine Bewohner durch Europäer „zivilisiert“ werden müssten, weit verbreitet. (Zantop 1999, 144-164)

Der deutsche Kolonialismus im 19. Jahrhundert war Teil eines internationalen Wettrennens um die Aufteilung Afrikas und weiter Teile Asiens seit zirka den 1880er-Jahren. Zuvor hatte das Deutsche Reich unter dem Einfluss Bismarcks keine staatliche Kolonialpolitik betrieben, sondern auf privatwirtschaftliche Initiativen gesetzt, die von staatlicher Seite durch Handelsstützpunkte unterstützt werden sollten. Bismarck sprach daher auch von „Schutzgebieten“, nicht von Kolonien, um die Bedeutung staatlicher Intervention geringer wirken zu lassen. In den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in Deutschland eine rege Kolonialbewegung, die angesichts des Vorgehens anderer europäischer Staaten auch „echte“ Kolonien für das Deutsche Reich forderte. Einer der Gründe für die Errichtung deutscher Kolonien waren die deutschen Handelsinteressen – außereuropäische Gebiete erschienen als vielversprechende Absatzmärkte zum Verkauf deutscher Waren und als Quelle von Ressourcen. Die Kolonien waren auch interessant, da sie ein alternatives Ziel für die ansteigende Bevölkerung, von der viele ins Ausland (u.a. die USA) auswanderten, darstellten und versprachen die Gefahren sozialer Probleme im Deutschen Reich entschärfen zu können. Auch bereits seit langem verbreitete Ideen von einer deutschen bzw. europäischen Überlegenheit, aus der sich der Auftrag einer Zivilisierungsmission gegenüber den „Anderen“ ableiten ließ, bestärkten die deutsche Lust nach Kolonien. Besonders Berichte einzelner Missionare, Geographen und Unternehmer über Gebiete im Ausland führten in Gesellschaft und Politik des deutschen Reiches zu einem Interesse an der Errichtung von Kolonien. (Conrad 2012, 22-27)

Der Schwerpunkt der deutschen Kolonien und der Beginn des Kolonialerwerbs lag dabei in Afrika. 1882 hatte der Bremer Tabakhändler Adolf Lüderitz (1834–1886) mit dem Auswärtigen Amt in Berlin Kontakt aufgenommen und um Schutz seiner Handelsniederlassung an der Südwestküste Afrikas gebeten. Dies geschah 1884 und weitere Handelsniederlassungen deutscher Händler in Afrika folgten in den darauffolgenden Monaten. Durch Waffengewalt wurden lokale Herrscher zum Abschluss von Verträgen gezwungen und das Kolonialgebiet dadurch vergrößert. Im Frühjahr 1885 hatten die wesentlichen Züge des deutschen kolonialen Territoriums bereits Form angenommen – kleinere Gebiete in China und im Pazifik kamen erst 1897 bzw. 1899 hinzu.

Die deutschen Kolonien waren nicht nur was Bevölkerung und Wirtschaft anging sehr unterschiedlich, auch geografisch unterschieden sie sich stark: Von Pazifikinseln, gemäßigtem Klima in China hin zu Wüstengebieten in Namibia, Regenwald in Kamerun und Savannen in Ostafrika – die deutschen Kolonien waren geografisch sehr verschieden. Auch was Bevölkerung und Wirtschaft anging, unterschieden sie sich stark (Conrad 2012, 28-34; Gründer 2018, 121-235):

  • Deutsch-Südwestafrika, das heutige Namibia, war anderthalbmal so groß wie das Deutsche Kaiserreich, allerdings nur dünn besiedelt (ca. 200.000 Einwohner*innen vs. über 46 Millionen im Deutschen Kaiserreich 1884). Es sollte als einzige deutsche Siedlungskolonie dienen, weshalb 70% des Landes konfisziert und deutschen Bauern zur langfristigen „Ansiedlung“ in der Kolonie gegeben wurden. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs lebten zirka 12.000 deutsche Siedler in der Kolonie. Landwirtschaft war dort jedoch nicht ertragreich, stattdessen wurde vor allem Viehzucht betrieben. Der Gewinn aus dem Abbau von Kupfer und Diamanten ging vor allem an Geschäftsleute, für die Reichsregierung war die Kolonie ein Verlustgeschäft.
  • Auch die Kolonie Kamerun war größer als das Deutsche Kaiserreich selbst. Die deutsche Kolonialherrschaft über zirka 3,85 Millionen Einwohner*innen fokussierte sich auf das Küstengebiet. Das Hinterland wurde gewaltsam unterworfen, lokale Herrscher blieben dort jedoch weiterhin sehr einflussreich. Aufgrund des heißen Klimas blieb die Anzahl der Siedler in der Kolonie gering (1913: 1.871 Europäer*innen). Nach einer gewaltsamen Landenteignung durch die Kolonialverwaltung wurden viele Plantagen eingerichtet, die vor allem Kakao produzierten. Vor allem auch die Ressourcenexporte wie Kautschuk und Palmöl für die deutsche Industrie machten Kamerun zur wirtschaftlich bedeutendsten Kolonie des deutschen Reiches.
  • Togo in Westafrika gelegen und knapp doppelt so groß wie das heutige Bundesland Brandenburg war vor allem eine Handelskolonie. Nur wenige Hundert Deutsche lebten dort vor allem entlang der Küste, das Hinterland konnte nicht unter Kontrolle der Kolonialregierung gestellt werden. Aus Togo wurden vor allem Palmöl exportiert, welches die Kosten der deutschen Kolonialherrschaft in Togo decken konnte.
  • Deutsch-Ostafrika, aus dem später die heutigen Staaten Tansania, Burundi und Ruanda“ entstehen sollten, war mit einer Bevölkerung von zirka 7,7 Millionen Einwohner*innen die bevölkerungsstärkste Kolonie des Deutschen Reiches. Deutsche Plantagen und die einheimische Wirtschaft machten die Kolonie wirtschaftlich bedeutsam, die Einfuhren aus Deutschland blieben jedoch immer höher als die Exporte aus Deutsch-Ostafrika.
  • Die Kolonien Neuguinea (1899 von der Deutschen Neuguinea-Kompagnie übernomme Kolonie) und Samoa (1900 deutsche Kolonie geworden) im Pazifik waren wirtschaftlich und strategisch von geringer Bedeutung. Auch die Bevölkerung war dort (Neuginea: 600.000; Samoa: 40.000) relativ gering – die Anzahl der Deutschen noch kleiner. Die Kolonien in der „Südsee“ waren vor allem auch ein exotischer Sehnsuchtsort wo die deutsche Kolonialverwaltung glaubt die zu „edlen Wilden“ stilisierten Einwohner behutsam zivilisieren und modernisieren zu müssen.
  • Kiautschou (China) mit seinem Zentrum Qingdao unterstand als einzige deutsche Kolonie direkt dem Marineministerium und nicht dem Auswärtigen Amt bzw. später dem Reichskolonialamt. Das Ziel der Marineführung Qingdao, das Zentrum der Kolonie, zu einer „Musterstadt“ deutschen Stils auszubauen forderte hohe Ausgaben, die durch Exporte oder Handelszölle nicht wieder eingespielt werden konnten. Qingdao wurde zwar zu einem nicht unbedeutenden Knotenpunkt des innerchinesischen und innerasiatischen Handels, doch die Exporte ins Deutsche Reich fielen kaum ins Gewicht.

Auf die Wirtschaft des Deutschen Reiches bezogen spielten die Kolonien keine große Rolle: Der Anteil privater Investitionen in die Kolonie, der Importe aus den Kolonien nach Deutschland und der Exporte deutscher Produkte in die Kolonie an der Gesamtwirtschaft lagen im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Die Kolonien blieben auf Zuschüsse angewiesen und damit ein Verlustgeschäft. (Conrad 2012:, 59-61)

In mehreren (jedoch nicht allen) der Kolonien kam es auch zu Aufständen, die blutig niedergeschlagen wurden – in Deutsch-Südwestafrika wurden zwischen 1904–1907 große Teile der Bevölkerung der Herero und Nama getötet, in Ostafrika forderte der Maji-Maji-Krieg mit der darauffolgenden Hungersnot rund 300.000 Tote und auch in China gab es viele Opfer durch die Niederschlagung der in „Rechtschaffenheit vereinten Fäuste“ Yihequan 義和拳, im Ausland als „Boxer“ bezeichnet. Hinzu kommen kleinere Fälle von Gewalt im kolonialen Alltag – wie beispielsweise Strafexpeditionen deutscher Soldaten in Dörfer. (Kuß 2010, 49-126)

Neuere Ansätze in der Forschung (Conrad 2012, 14-22; Grewe 2016; Haschemi Yekani/Schaper 2017) betonen, dass der Blick auf die kolonialen Territorien allein wichtige Entwicklungen und Wechselwirkungen zwischen den Kolonien und dem Deutschen Reich verdeckt. Kolonialismus war mehr als nur der Besitz von Territorien, sondern hatte auch eine kulturelle Dimension: Bilder über die „Anderen“ in den Kolonien waren in der deutschen Gesellschaft weit verbreitet. In der Alltagskultur durch Brettspiele, Reklamesammelbilder, Postkarten, Reiseliteratur oder Romane beispielsweise. Auch Völkerschauen verbreiteten die koloniale Ideologie, in der die Bevölkerung in den Kolonien als rückständig oder zumindest fremd dargestellt wurde. Diese Bilder und Stereotypen über ausländische Regionen und deren Bevölkerung wurden auch beeinflusst durch die kolonialen Aktivitäten anderer Länder. Obwohl das Deutsche Reich im Vergleich nur für kurze Zeit Kolonien besaß, beeinflussten koloniale Vorstellung die deutsche Gesellschaft stark – bereits vor der offiziellen Errichtung der ersten deutschen Kolonie 1884 und auch nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und der Rückgabe der Kolonien noch.


(Jonas Schmid, April 2021)

 

Verwendete Literatur

Conrad, Sebastian. 2012. Deutsche Kolonialgeschichte. 2., durchges. Aufl., Orig.-Ausg. C. H. Beck Wissen in der Beck’schen Reihe ; 2448. München: Beck. Zitieren

Knappe Darstellung der neueren Forschung und Debatten zur deutschen Kolonialgeschichte von einem ausgewiesenen Experten. Sehr guter Überblick als Einstieg ins Thema.

Grewe, Bernd-Stefan. 2016. Geschichtsdidaktik postkolonial – Eine Herausforderung. Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 15, Nr. 1 (1. September): 5–30. http://doi.org/10.13109/zfgd.2016.15.1.5, https://www.vr-elibrary.de/doi/abs/10.13109/zfgd.2016.15.1.5 (zugegriffen: 28. Oktober 2020). Zitieren

Wissenschaftlicher Artikel eines Geschichtsdidaktikers, der sich mit der Frage auseindersetzt, wie Geschichtsunterricht postkolonial stattfinden kann.

Grewe, Bernd-Stefan und Thomas Lange. 2015. Kolonialismus. Hg. von Gerhard Henke-Bockschatz. Reclams Universal-Bibliothek Nr. 17082 : Kompaktwissen Geschichte. Stuttgart: Reclam. Zitieren

Kurzer Überblick für Schüler*innen und Lehrer*innen über den Kolonialismus, der einen Fokus auf die kulturelle Dimension lenkt. Im Anhang finden sich ins Deutsche übersetzte Quellen.

Literaturangaben
Gründer, Horst. 2018. Geschichte der deutschen Kolonien. 7., aktualisierte und erweiterte Auflage. UTB ; 1332 : Geschichte. Paderborn: Ferdinand Schöningh. Zitieren

Einführungswerk zur deutschen Kolonialgeschichte mit einem Fokus auf der Politik- und Ereignisgeschichte der deutschen Kolonien.

Gründer, Horst, Hrsg. 1999. „...da und dort ein junges Deutschland gründen“: Rassismus, Kolonien und kolonialer Gedanke vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Orig.-Ausg. dtv ; 30713. München: Deutscher Taschenbuch-Verl. Zitieren

Quellensammlung mit über 100 Quellen zu verschiedenen Aspekten der deutschen Kolonialgeschichte.

Haschemi Yekani, Minu und Ulrike Schaper. 2017. Pictures, Postcards, Points of Contact: New Approaches to Cultural Histories of German Colonialism. German history 35, Nr. 4: 603–623. Zitieren

Rezensionsartikel, der einen Überblick über neuere Erscheinungen zur kulturellen Dimension des deutschen Kolonialismus gibt. Ein Fokus des Artikels liegt auf neuen Forschungsergebnissen zu visuellen Quellen wie Postkarten oder Werbung, die hier prägnant zusammengefasst werden.

Kuß, Susanne. 2010. Deutsches Militär auf kolonialen Kriegsschauplätzen: Eskalation von Gewalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. 1. Aufl. Studien zur Kolonialgeschichte. Berlin: Links. Zitieren

Vergleichende Studie der deutschen Niederschlagung der Aufstände in Südwestafrika (1904–1907), Ostafrika (1905-1907) und China (1900-1901).