„China und die imperialistischen Mächte“ – Ein neues Thema im niedersächsischen Geschichtsunterricht

Zum neuen Halbjahr steht in Klasse 12 in Niedersachsen erstmals das Wahlpflichtthema „China und die imperialistischen Mächte“ im Geschichtsunterricht auf dem Plan. In diesem Werkstattbeitrag werden die zu den Vorgaben des Kerncurriculums passenden Materialien der China-Schul-Akademie sowie weitere Angebote kurz vorgestellt.
Vorgaben des Kerncurriculums
Im Kerncurriculum werden die folgenden inhaltlichen Vorgaben gemacht:
• Selbstverständnis und Weltbild der Chinesen (u. a. Konfuzianismus, „Reich der Mitte“) und der Europäer (u. a. Folgen der Aufklärung, ökonomische und politische Folgen der Industrialisierung)
• Chinesische Kontakte mit den imperialistischen Mächten und ihre Folgen (u. a. Macartney-Mission, Erster Opiumkrieg 1839–1842, ungleiche Verträge, Missionierung, Open Door Policy), Vergleich mit Japan
• Chinesische Reaktionen auf den europäischen Einfluss zwischen Anpassung und Widerstand (u. a. Selbststärkungsbewegung, Reformversuche, „Boxeraufstand“, Gründung der Republik)
Als Dimensionen, die dabei in Betracht gezogen werden sollen, werden genannt: Kultur- und Ideengeschichte, Politikgeschichte und Wirtschaftsgeschichte.
Materialien der China-Schul-Akademie
Zu mehreren der Vorgaben des Kerncurriculums bieten wir auf der Seite der China-Schul-Akademie Materialien an:

Im Modul Zeitleiste stellen wir Ereignisse der chinesischen Geschichte seit 1800 vor. Insbesondere für den im Kerncurriculum genannten Zeitabschnitt von ca. 1839 bis 1912 finden sich in der interaktiven Zeitleiste Bilder, Videos und Texte zu verschiedenen Ereignissen, Personen oder Entwicklungen. Diese Einträge sind in verschiedene Kategorien – neben Politik und den Außenbeziehungen auch in Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft – unterteilt. Dabei werden unter dem Stichwort Greater China auch Entwicklungen in Hongkong und Taiwan vorgestellt. Ideen, wie Schüler*innen selbstständig mit der Zeitleiste sich Teile der chinesischen Geschichte erarbeiten können, finden sich in den Handreichungen für Lehrer*innen im Modul Zeitleiste.

Im Modul „China in der Kolonialzeit: Das Beispiel Qingdao“ finden sich Materialien, die Hintergrundwissen über die Beziehungen zwischen China und dem Ausland im 19. Jahrhundert und die kolonialen Ambitionen ausländischer Staaten vermitteln (z.B. ein Erklärvideo oder eine interaktive Karte ausländischer Kolonien in China). Außerdem sind dort zeitgenössische Quellen chinesischer Intellektueller zu finden, die sich zur deutschen Kolonie in China äußern. Anhand des Beispiels Qingdao kann daher das ausländische Vorgehen in China und die verschiedenen Reaktionen unter der chinesischen Bildungselite analysiert werden. Weitere im Modul vorhandene Materialien sind eine deutsche Postkarte und ein Sammelbild zu Qingdao, die zeigen wie auch der Gesellschaft im Deutschen Reich kolonialistische Gedanken vermittelt wurden. Dem deutschen Sammelbild, das von einer „Übergabe“ Qingdaos an Deutschland spricht, kann der Text des chinesischen Intellektuellen Yan Fu gegenübergestellt werden, der das deutsche Vorgehen als unzivilisiert anprangert.

Das Modul „China und das Ausland im Spiegel chinesischer Karikaturen“ bietet Anregungen anhand von Karikaturen chinesischer Künstler sich mit den Beziehungen zwischen China und dem Ausland in Vergangenheit und Gegenwart zu beschäftigen. Im Vergleich zeigen die im chinesischsprachigen Raum sehr bekannte Karikatur „Ein Bild der aktuellen Lage“ (um 1899) und eine nationalistische Karikatur aus der Volksrepublik China von 2021, wie sich die Beziehungen zum Ausland und Chinas Rolle in der Welt im letzten Jahrhundert verändert haben. Diese beiden Karikaturen werden ergänzt durch eine Karikatur eines Hongkonger Künstlers von 2022, der an die Bildsprache des „Bildes der aktuellen Lage“ um 1899 anknüpfend die Politik der Volksrepublik China unter Xi kritisiert. Zu allen Karikaturen finden sich ausführliche Hintergrundinformationen mit Erläuterungen und interaktive Versionen mit Beschriftungen auf unserer Plattform. Ein Hintergrundtext gibt außerdem Einblick, welch wichtige Rolle Geschichte für den offiziell propagierten Nationalismus in der Volksrepublik China und die Legitimität der Kommunistischen Partei Chinas spielt.

In unserem Modul „Quellen zur chinesischen Geschichte“ sammeln wir historische Quellen. Das Modul wird peu à peu mit Materialien gefüllt werden, wir freuen uns auch Ihre über Wünsche oder Vorschläge für zu übersetzende Quellen oder Themen. Zu den Vorgaben des Kerncurriculums findet sich dort aktuell ein Text über die deutsche Besetzung von Qingdao und eine Übersetzung des „Vertrags von Nanjing“ 1842 – der erste der später sogenannten „Ungleichen Verträge“, die ausländische Staaten China mit Waffengewalt aufzwangen. Welche Rolle die Erinnerung an diesen Vertrag und den vorangehenden Opiumkrieg in der Volksrepublik China spielt, haben wir auch in einem Werkstattbericht beleuchtet. In den kommentierten Literaturhinweisen des Moduls haben wir außerdem verschiedene englisch- und deutschsprachige Quellenanthologien zur chinesischen Geschichte zusammengestellt.

Die Geschichte der ehemals britischen Kolonie Hongkong in Südchina (1841-1997) ist ein spannendes Beispiel, um die Folgen des Imperialismus im 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein zu untersuchen. Das Modul „Freiheitskampf oder Separatismus? Die Hongkonger Protestbewegung 2019“ setzt sich mit den Hintergründen und den historischen Wurzeln der Proteste 2019 auseinander. Ein Überblick über die Geschichte Hongkongs kann anhand einer Zeitleiste mit Bildern, Texten und Textquellen erarbeitet werden.
Bei der Vorgabe „Selbstverständnis und Weltbild der Chinesen“ des Kerncurriculums lohnt sich ein Blick auf das Beamtenprüfungssystem im kaiserzeitlichen China, das bis zu seiner Abschaffung 1905 Generationen von chinesischen Intellektuellen prägte. Ein Text auf unserer Plattform stellt dieses Prüfungssystem vor und zeigt, wie es auch Denker und Reformen in Europa im 18. und frühen 19. Jahrhundert beeinflusst hat.

Im Glossar auf unserer Plattform erläutern wir außerdem – in möglichst knappen Einträgen und ausgehend von wissenschaftlicher Literatur – wichtige Begrifflichkeiten. Auch zu den Vorgaben im Kerncurriculum finden Sie hier Beispiele – wie „Boxer“, „Jahrhundert der Schande“, „Ungleiche Verträge“, Pachtgebiet, Selbststärkungsbewegung, Tribut, Kaiser, Kotau, konfuzianische Klassiker und viele weitere. Wie wir in einem Werkstattbericht gezeigt haben, eignen sich diese Glossareinträge auch, um die Grenzen von neuen Online-Werkzeugen wie ChatGPT zu erkennen und kritisch zu reflektieren.

In unserer Linkliste haben wir außerdem Online-Ressourcen in verschiedenen Sprachen aus verschiedenen Ländern zusammengestellt. Unter dem Schlagwort „Geschichte“ finden sich in der Kategorie „Lernmaterialien“ auch Hinweise auf englischsprachige Lernmaterialien zur chinesischen Geschichte. So finden sich auf der Webseite „Asia for Educators“ eine Vielzahl an hochwertigen von Wissenschaftlern der Columbia University zusammengestellten englischsprachigen Unterrichtsmaterialien zur chinesischen Geschichte: Zum Beispiel Materialien zur Qing-Dynastie im 18. Jahrhundert oder der Frage nach dem „Großen Auseinanderdriften“ – das heißt, wie es dazu kam, dass das ursprünglich wirtschaftlich weltweit führende China im 19. Jahrhundert ausländischen Staaten unterlegen war. (Siehe dazu auch folgenden spannenden Artikel in der Zeitschrift „Education About Asia“.) Viele Bildquellen zu den Opiumkriegen, dem sogenannten „Boxeraufstand“ und weiteren Themen hat auch das Projekt „Visualizing Cultures“ des Massachussets Institute for Technology (MIT) online zusammengestellt und kommentiert.
Fortbildungen der China-Schul-Akademie
Neben den hier vorgestellten Materialien, die bereits auf unserer Plattform zu finden sind, stellen wir in Fortbildungen auch weitere Informationen bereit oder beraten bei der Suche oder Erstellung von Materialien.

Die Folien unserer passgenau für die Vorgaben in Niedersachsen entwickelten Fortbildung „China und die imperialistischen Mächte“ oder auch anderer Fortbildungen (zum Beispiel die zum Thema „Europa im Austausch mit China – Früher Kontakt, Imperialismus, Stereotypen“) stellen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Manche Materialien sind auch noch nicht auf unserer Plattform zu finden oder können aufgrund des Urheberrechts nicht hochgeladen werden. Wir können Ihnen diese aber dennoch zur Verfügung stellen und schicken Ihnen gerne z.B. übersetzte Ausschnitte aus dem aktuell in der Volksrepublik China verwendeten Schulbuch zum Opiumkrieg oder dem „Boxeraufstand“ zu.
Melden Sie sich gerne formlos per Mail bei uns: [email protected].
Schulbücher und weitere Literatur
Abschließend noch einige Hinweise zu weiterer hilfreicher Literatur. In den vier Schulbüchern für Niedersachsen findet sich eine Vielzahl an guten Materialien für den Geschichtsunterricht. Wir empfehlen den Blick in und Vergleich mit allen vier Schulbüchern, da die Materialien und Schwerpunkte sich jeweils unterscheiden. Die China-Schul-Akademie untersucht aktuell außerdem, wie China in Schulbüchern verschiedener Bundesländern dargestellt und vermittelt wird. Falls Sie wissen wollen, wie das Thema Kolonialismus und China in Baden-Württemberg oder Berlin in den Schulbüchern dargestellt wird oder ob die Kaiserinwitwe Cixi auch noch in anderen Schulbüchern vorkommt – melden Sie sich per Mail bei uns.

Außerdem wollen wir Ihnen drei Bücher empfehlen, die auf Deutsch einen guten Überblick über den im Kerncurriculum vorgegebenen Zeitabschnitt geben (geordnet nach aufsteigendem Umfang):
- Hu Kai und Gerhard Schildt. 2014. Das moderne China: 19. und 20. Jahrhundert. Reclams Universal-Bibliothek, Nr. 17075: Kompaktwissen Geschichte. Stuttgart: Reclam.
Ein knapper Überblick über die chinesische Geschichte seit 1800 mit einigen Quellen zu wichtigen Ereignissen oder Entwicklungen im Anhang. Der Fokus liegt auf der Politik- und Ereignisgeschichte. Eignet sich als Einstieg in die Thematik für Neulinge. Im Anhang sind einige Quellen zur Zeitgeschichte Chinas zu finden, die von den Autoren ins Deutsche übersetzt wurden – der Großteil der Quellen stammt aber aus der älteren Sekundärliteratur. Mögliche Leitfragen, die auch im Unterricht zur modernen chinesischen Geschichte, die auch im Unterricht behandelt werden könnten, werden angerissen: War die Gründung der Volksrepublik China eine nationale oder eine soziale Revolution? Ist China heute noch sozialistisch? Ist China auf dem Weg zur Weltmacht?
- Thoralf Klein. 2007. Geschichte Chinas: von 1800 bis zur Gegenwart. UTB; 2838: Geschichte. Paderborn; München; Wien; Zürich: Schöningh.
Von einem Sinologen verfasste Darstellung der chinesischen Geschichte seit 1800. Ein sehr guter und knapper narrativer Überblick über die chinesische Geschichte ist auf den Seiten 31 bis 64 zu finden. Darüber hinaus analysiert Klein die moderne chinesische Geschichte aus verschiedenen thematischen Blickwinkeln: Er stellt die Veränderung der Ideologien, der Verfassungen, der politischen Elite, der sozialen Kontrolle dar und zeichnet Konflikte und Kooperation in China (beispielsweise zwischen Stadt und Land) sowie zwischen China und dem Ausland (Missionare, Weltwirtschaft, Imperialismus, UN) nach. Im Text finden sich immer wieder spannende Quellenausschnitte.
- Jonathan D. Spence. 2008. Chinas Weg in die Moderne. Erweiterte Neuausgabe. München [u.a.]: Hanser.
Ein Klassiker aus dem englischsprachigen Raum, der bis heute als Überblickslektüre für angehende Sinologiestudent*innen verwendet wird. Unterhaltsam geschrieben deckt Spence die Zeit von der späten Ming (Beginn des 17. Jahrhunderts) bis zu den Protesten 1989 ab. Darüber hinaus finden sich hier viele schön gestaltete Karten zu wesentlichen Ereignissen und Entwicklungen. Mit knapp 900 Seiten Text sehr umfangreich, gilt das Buch für das 19. und 20. Jahrhundert bis heute als das Standardwerk.
Weitere nach verschiedenen Themenfeldern (Geschichte, Gesellschaft, Politik) geordnete deutschsprachige Überblicksliteratur finden Sie auch in unseren Lektürehinweisen.
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